„Nein zu den Schließungen“ steht auf einer Mauer der Firmenzentrale von Peugeot-Citroën Foto: AP

Noch vor zehn Jahren rangierte Frankreich unter den Autonationen auf Platz 4, jetzt ist das Land weltweit auf Platz 10 abgerutscht. Allein Peugeot-Ci­troën streicht Tausende Arbeitsplätze. Die Mitarbeiter befürchten weitere Sparmaßnahmen.

Paris - Typisch Karl Lagerfeld. Der Modezar genießt zwar nicht den Ruf, ein ausgewiesener Kenner der französischen Automobilindustrie zu sein. Trotzdem wirkte sein Urteil wie ein Stich ins Herz der autoverliebten Nation. „Wer kauft schon französische Autos? Ich nicht!“, bekannte der Chefdesigner des Hauses Chanel neulich. Und traf damit eine verbreitete Stimmung. Frankreichs stolze Autobauer stecken in der wohl schlimmsten Krise ihrer ruhmreichen Geschichte. Die dramatische Absatzkrise in Europa trifft besonders den Massenhersteller Peugeot-Citroën (PSA) mit voller Wucht: Die immense Überproduktion zwingt den zweitgrößten Autobauer des Kontinents zum Abbau von über 11 000 Arbeitsplätzen und zu Werkschließungen. Für Premierminister Jean-Marc Ayrault ist dies ein „Schock“, für die kampfbereiten Gewerkschaften gar eine „Kriegserklärung“.

Dem Löwen – so das Firmenlogo – geht’s gar nicht gut. Die Hiobsbotschaften aus der PSA-Zentrale reißen nicht ab und wühlen die gereizte Belegschaft jedes Mal aufs Neue auf. Im Spätherbst 2011 hatte das Unternehmen bereits den Abbau von 6000 Arbeitsplätzen angekündigt, in diesem Sommer kamen weitere 8000 sowie die Schließung des Traditionswerks Aulnay bei Paris 2014 hinzu. Damit nicht genug: Erst vor wenigen Tagen wurde verkündet, dass zusätzlich 1500 Jobs gestrichen würden. Die Wut der Gewerkschafter mischt sich allmählich mit Resignation. „Das ist ein echter Skandal“, stöhnte Jean-Pierre Mercier von der den Kommunisten nahestehenden CGT. Egal ob es Managementfehler waren oder Versäumnisse der Politik: Nun rächt sich, dass Peugeot-Citroën die Wachstumsmärkte in China, Russland und Lateinamerika sowie das US-Geschäft viel zu lange sträflich vernachlässigt hat.

Noch 2006 bestritt PSA 68 Prozent seines Absatzes und den Löwenanteil des Gewinns auf dem Kernmarkt Europa – neben Frankreich vornehmlich in Südeuropa. Erst 2009 eröffnete PSA neue Fabriken in China – zu spät, um den Einbruch in Europa abfedern zu können. Renault bewies mehr perspektivisches Gespür. Die Folge: Seit 2005 schnellte der Fahrzeugverkauf außerhalb Europas von 26,9 auf 46,7 Prozent in die Höhe. Auf dem heimischen Markt sieht es angesichts steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Kaufkraft weiterhin düster aus für Frankreichs Autobauer. Angesichts der ungewissen Zukunft schieben die Franzosen große Anschaffungen auf die lange Bank.

Das zweite Problem: Das Angebot stimmt nicht mehr. Die glorreichen Zeiten, als Peugeot mit dem innovativen Bestseller 205 die Verkaufscharts stürmte, sind längst vorbei. Ein Kult-Auto, zugleich ein Symbol für französische Avantgarde, war in den 60ern der Citroën DS („déesse“ heißt Göttin), eine schnittige Limousine mit hydropneumatischer Federung. Filme, in denen Inspektor Colombo im zerbeulten 403-Cabrio vorfuhr sowie Louis de Funès im 2CV, wecken ebenfalls starke nostalgische Gefühle. Heute bedienen die Franzosen mit ihren Clio und Mégane, 207, 309, C3 und C4 vornehmlich den hart umkämpften Markt für Klein- und Mittelklassewagen. Bitter: Die Konkurrenz ist groß und die Gewinnspanne klein. Ein Hoffnungsschimmer für Renault: Die attraktive Billig-Tochter Dacia hat das Zeug, um in der Türkei, Nordafrika und Lateinamerika nach vorn zu fahren. Den profitablen Trend zu Geländewagen hat Peugeot verschlafen.

Noch vor zehn Jahren rangierte Frankreich unter den Autonationen auf Platz 4, jetzt ist das Land weltweit auf Platz 10 abgerutscht. Der Marktanteil in Europa schrumpfte 2011 von 14,3 auf 13,3 Prozent. PSA, Nummer zwei hinter Volkswagen, schmiert weiter ab, während die Wolfsburger dabei sind, die 30-Prozent-Marke zu knacken. Allein bei Peugeot sank der Absatz im ersten Halbjahr 2012 um 13 Prozent (Renault fuhr ein Minus von drei Prozent ein). PSA hat in der jüngsten Vergangenheit einen jährlichen Verlust von 200 Millionen Euro zu beklagen, in den ersten sechs Monaten dieses Jahres waren es sogar über 800 Millionen Euro.

Sind strategische Allianzen ein Mittel, um aus der Krise herauszufahren? Renault sucht bei Kleinwagen und spritsparenden Motoren die Zusammenarbeit mit Daimler, PSA wiederum hat sich mit der General-Motors-Tochter Opel zusammengetan. Was die einen für einen resoluten Befreiungsschlag halten, tun andere – im Fall PSA-Opel – mit einer abfälligen Handbewegung als „Allianz der Schwachen“ ab. Zusammen mit den Opelanern planen die Franzosen vier gemeinsame Plattformen. Die große Sorge auf beiden Seiten des Rheins: Die Schließungen in Bochum und Aulnay sind nur ein Anfang, weitere Werke könnten beim Gesundschrumpfen auf der Strecke bleiben.

Während der allgegenwärtige Staat seit Jahrzehnten bei Renault mit am Steuer sitzt, pflegt das Familienunternehmen Peugeot traditionell seine Unabhängigkeit. Neben Aufsichtsratschef Thierry Peugeot bekleiden weitere Familienmitglieder wichtige Funktionen im Konzern, und zusammen halten sie 25 Prozent am Unternehmen. Als PSA im Sommer den radikalen Sanierungsplan verkündete, ging die neue sozialistische Regierung prompt zum Angriff über. Dieser sei „in der gegenwärtigen Form nicht hinnehmbar“, schimpfte Staatschef François Hollande. Darauf gab Thierry Peugeot Contra, die Attacken der Regierung seien „unfair“ und „schockierend“.

Wie angespannt das Verhältnis zwischen Unternehmensführung und Belegschaft nach der jüngsten Entlassungsankündigung ist, zeigt ein schwerwiegender Vorfall vor einigen Tagen. Mehrere Dutzend wütende PSA-Beschäftigte, die meisten aus dem Werk Aulnay, drangen in die Firmenzentrale in Poissy ein und randalierten. Computer gingen zu Bruch, dann zündeten sie auf der Straße einen Reifenstapel an.