Im Rapsanbau werden mehr Pestizide eingesetzt als bei vielen anderenNutzpflanzen. Foto: imago/Jens Koehler

Im Rahmen des Green Deal will die Europäische Union bis 2050 klimaneutral werden. Dazu plant sie auch Änderungen in der Landwirtschaft: weniger Pestizide, weniger Dünger, mehr Bioanbau. Ist das realistisch?

Die EU-Kommission plant eine neue Verordnung zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Damit sollen die Mitgliedsländer verpflichtet werden, den Pestizideinsatz bis zum Jahr 2030 zu halbieren. Im Rahmen des „Green Deal“ sollen zudem 20 Prozent der synthetischen Düngemittel eingespart und die Bioanbauflächen von zehn auf 25 Prozent ausgeweitet werden. Was bedeutet das für Bauern, Verbraucher und Umwelt? Die wichtigsten Antworten dazu.

 

Wie viel Pestizide werden eingesetzt, und wo liegen die Anwendungsschwerpunkte? 2020 wurden hierzulande rund 100 000 Tonnen Pestizide an Landwirte abgegeben. Die reine Wirkstoffmenge liegt bei knapp 30 000 Tonnen und hat sich damit seit 1995 nur wenig verändert. Den größten Anteil haben Herbizide, also Mittel gegen Unkräuter. Dahinter rangieren Fungizide zur Bekämpfung von Pilzkrankheiten und Insektizide gegen Schädlinge. Besonders viele Pestizide werden im Obst- und Weinbau eingesetzt. Unter den Ackerkulturen werden Kartoffeln, Zuckerrüben und Raps am intensivsten behandelt. Auf Getreide- und Maisfeldern wird nur relativ wenig gespritzt. Aus ökologischer Sicht kommt es aber nicht nur auf die Mengen an, sondern auch auf die Art der Wirkstoffe und ihr Verhalten in Ökosystemen.

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Wie wirken sich Pestizide auf Naturhaushalt und Gesundheit aus? Der Einsatz von Herbiziden und Insektiziden führe „in vielen Fällen nicht nur zur gewollten Minimierung der sogenannten Unkräuter und Schadinsekten“, schreibt das Umweltbundesamt (UBA). Eine unerwünschte Wirkung sei die Verarmung der Ackerbegleitflora, wodurch vielen Vögeln und anderen Tieren die Nahrungsgrundlage entzogen werde. Das UBA verweist auf die schrumpfenden Bestände von Feldvogelarten wie Feldlerche oder Rebhuhn sowie auf den Rückgang blütenbestäubender Insekten. Zudem können Pestizidwirkstoffe in Gewässer gelangen oder als Rückstände in Lebensmitteln auftauchen. Grenzwerte sollen die Gesundheitsrisiken begrenzen. Positiv wertet das UBA, dass die Grundwasserbelastung mit Pflanzenschutzmitteln in den vergangenen Jahren deutlich gesunken ist.

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Wie können die Ziele der EU bei der Einsparung von Pestiziden erreicht werden? „Einen Teil des Reduktionsziels können wir erreichen, in dem wir Pflanzenschutzmittel gezielter einsetzen“, sagt Bärbel Gerowitt, Professorin für Phytomedizin an der Uni Rostock. Dabei könnten etwa bessere Diagnosemethoden und Prognosemodelle für Krankheiten und Schädlinge helfen. „Auf dieser Basis können Landwirte bessere Entscheidungen treffen.“ Auch Digitalisierung und Präzisionslandwirtschaft können laut Gerowitt dazu beitragen, dass die Mittel vor allem dort ankommen, wo es nötig ist und nicht gleichmäßig auf Äckern verteilt werden. Gefräßige Insekten könnten teilweise auch mit biologischen Methoden bekämpft werden – etwa durch Nützlinge oder Parasiten. Am einfachsten ließen sich Herbizide einsparen, sagt Christoph Schäfers vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie in Schmallenberg. Statt mit der Spritze ließen sich Unkräuter durch Hacken und andere mechanische Verfahren in Zaum halten. Schäfers hält es prinzipiell für möglich, den Pestizideinsatz in der EU zu halbieren. Dazu werde auch die Ausweitung des Bioanbaus beitragen.

Wie wirkt es sich auf die Erträge aus, wenn weniger gespritzt und gedüngt wird? Eine Studie aus Frankreich, nach der es möglich wäre, ohne Ertragsverluste gut 40 Prozent der Pflanzenschutzmittel einzusparen, stieß in der Fachwelt teilweise auf Kritik. „Das lässt sich nicht ohne Weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragen“, sagt auch Marcel Dehler vom Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei in Braunschweig. Das Problem sei, dass Landwirte oft erst hinterher wüssten, ob etwa der Einsatz eines Insektizids tatsächlich nötig gewesen sei. Die Rostocker Expertin Gerowitt erwartet, dass bei einer deutlichen Verringerung des Pestizideinsatzes das Risiko von Ernteverlusten durch Krankheiten und Schädlinge steigt – mit stärkeren Schwankungen zwischen den Jahren.

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Könnten alle Bauern auf Bio umstellen? Bei Biogetreide lägen Erträge im Mittel 30 bis 40 Prozent niedriger als im konventionellen Anbau, sagt der Weizenforscher Friedrich Longin von der Uni Hohenheim. Bei einer flächendeckenden Umstellung müsste daher mehr importiert werden, sofern der Bedarf auf dem heutigen Niveau bleibt. Rechnerisch ließe sich der Rückgang auch dadurch ausgleichen, dass weniger Getreide verfüttert wird. Weltweit geht der Trend allerdings in die umgekehrte Richtung. Longin schwebt eine Art Mittelweg zwischen Bio und konventioneller Landwirtschaft vor – mit einer größeren Vielfalt an Nutzpflanzen und deutlich weniger Dünger und Spritzmittel. So ließen sich bei Weizen etwa 20 Prozent des Stickstoffdüngers einsparen, wenn die Qualitätsanforderungen von Mühlen und Bäckern angepasst würden. Diese verlangten hohe Proteingehalte, die sich nur mit zusätzlicher Düngung erreichen ließen. Die hohen Proteingehalte seien aber für viele Zwecke nicht nötig, so Longin. Zudem könne man auch aus weniger proteinreichem Getreide mit ein paar Änderungen in der Verarbeitung hochwertige Backwaren herstellen.

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EU-Ziele
Bislang gibt es nur eine EU-Richtlinie, die eine Halbierung des Pestizideinsatzes und der damit verbundenen Risiken vorsieht. Diese wurde bisher nicht konsequent durch die Mitgliedstaaten umgesetzt. Mit der entsprechenden EU-Verordnung wächst der Druck. Verordnungen sind unmittelbar wirksam und müssen von EU-Ländern umgesetzt werden.

Spritzmittel
In Deutschland sind 980 Pflanzenschutzmittel gegen Unkräuter, Pilzkrankheiten und Schädlinge zugelassen. Sie enthalten 283 verschiedene Wirkstoffe. Den größten Anteil nehmen Herbizide zur Unkrautbekämpfung ein und hier vor allem der viel diskutierte Wirkstoff Glyphosat, dessen Genehmigung im Dezember auslaufen soll. Auch im Bioanbau wird teilweise gespritzt – etwa mit kupferhaltigen Präparaten gegen Pilzkrankheiten.

Dünger
 Die EU will auch den Einsatz synthetischer Düngemittel verringern. Hintergrund ist die zunehmende Wasserbelastung in einigen Regionen. Zudem ist die Herstellung von Stickstoffdünger energieintensiv und mit hohen Treibhausgasemissionen verbunden.