"Ergibt das Sinn?", fragt SWEG-Chef Tobias Harms mit Blick auf die weiterhin geltende Maskenpflicht in Bussen. Foto: Maier

Die SWEG wird am morgigen Samstag 60 Jahre alt. Zum Geburtstag blickt der Chef des Verkehrsunternehmens, Tobias Harms, zurück, aber vor allem nach vorne. Im Gespräch mit der LZ erklärt der 49-Jährige die Auswirkungen der Energiekrise, wie er Personalprobleme lösen will und wie er sich den Nahverkehr der Zukunft vorstellt.

Herr Harms, wie hat sich der ÖPNV in den vergangenen 60 Jahren verändert?

Der größte Wandel, den wir erleben, ist die Entwicklung weg vom unternehmerischen Dasein hin zu einem Carrier im Rahmen von Vergabeverfahren und Ausschreibungswettbewerben. Früher war man für alles selbst verantwortlich, es gab aber auch keine staatliche Unterstützung. Jetzt gibt es eine Entwicklung weg vom direkten Kunden, dem Fahrgast, hin zum Kunden Land oder Landkreis.

Was hat sich beim Fahrgastverhalten verändert?

Seit dem Januar 2020, dem Beginn von Corona, hat sich alles verändert. Jetzt erleben wir, dass sich das langsam wieder normalisiert.

Immerhin hat Corona zum 9-Euro-Ticket und mutmaßlich zum 49-Euro-Ticket geführt ...

Das 9-Euro-Ticket war das richtige Marketinginstrument zur richtigen Zeit. Vor der Pandemie wurde der ÖPNV als wichtig für die Mobilitätswende und den Kampf gegen den Klimawandel angesehen. Wir hatten starke Fahrgaststeigerungen, und dann kam Corona. Das war ein Absturz von Hundert auf Null. Das 9-Euro-Ticket hat den ÖPNV wieder in ein positives Bild gerückt. Es ist deshalb folgerichtig, dass dieses Angebot fortgeführt wird – natürlich nicht zum Preis von neun Euro. Das geplante Deutschlandticket ist ein wichtiges Angebot, das hoffentlich dazu dient, dass der Tarifdschungel gelichtet wird. Wichtig ist, dass die Politik, die das initiiert, auch die Kosten trägt.

Wie stehen Sie zur Maskenpflicht in Bus und Bahn?

Der Nahverkehr wird eigentlich bis heute als Pandemie-Treiber stigmatisiert, und gefühlt als einzige Einrichtung des öffentlichen Lebens gilt hier noch die Maskenpflicht. Wenn man sich etwa große Volksfeste anschaut, stellt sich schon die Frage: Macht das Sinn?

Inwieweit spüren Sie die Energiekrise?

Im Schienenverkehr sind wir ein Großabnehmer von Strom. Der Preis für die Megawattstunde hat sich verachtfacht. Der Dieselpreis hat sich auf einem hohen Niveau stabilisiert.

Hat das Auswirkungen auf die Preise?

Mit Sicherheit. Die Preise bestimmen nicht wir, sondern der jeweilige Tarifverbund, hier in der Ortenau die Tarifgemeinschaft Ortenau, aber da wird natürlich eine Diskussion stattfinden.

Was tun Sie gegen den Personalmangel?

Für den Schienenverkehr bilden wir seit Jahren selbst aus. Das war beim Busverkehr bisher nicht notwendig. Das hat sich verändert. Deshalb haben wir uns entschlossen, eine eigene Bus-Fahrschule zu gründen. Wir bilden also auch hier selbst aus. Wir suchen Menschen, die sich für den spannenden Beruf des Busfahrers interessieren, und qualifizieren sie. Die Busfahrschul-GmbH startet im neuen Jahr.

Wie kann das Busfahren im ländlichen Raum attraktiver gemacht werden?

Der Nahverkehr dort muss attraktiver gemacht werden, denn die Mobilitätswende findet für mich hauptsächlich im ländlichen Raum statt. Da nutzt das Deutschlandticket zu einem günstigen Preis nur bedingt, denn man kann kein Angebot nutzen, wenn keines da ist. In Ballungsräumen wie Stuttgart gibt es ein hervorragend ausgebautes ÖPNV-System, da würde ich kein Auto brauchen. Aber im ländlichen Raum gibt es kein attraktives Angebot. Das ist sicher die größte Herausforderung: Wie kann man zu einem günstigen Tarif ein vernünftiges Angebot schaffen, das genutzt wird. Da stellt sich schon die Frage: Ist es zielführend, nach starrem Fahrplan einen Zwölf-Meter-Bus fahren zu lassen, oder gehe ich auf die On-Demand-Verkehre, fahre also nach Bedarf mit kleineren Fahrzeugen. Das ist für mich die Zukunft.

Wie könnte das funktionieren – per App auf dem Handy?

Genau. Wir wollen eine Plattform anbieten, bei der man sich über eine App für eine Fahrt anmelden kann. Dann entscheidet ein Hintergrundsystem über die optimale Route und gibt Informationen über die Abfahrts- oder Ankunftszeit, das Ganze idealerweise auch nicht haltestellenbasiert, sondern dort, wo man ein- oder aussteigen will. Das neue Personenbeförderungsgesetz gibt uns die Möglichkeit. Wir haben bereits erste Aktivitäten in diesem Bereich gestartet. Im Prinzip ist dies das Anruf-Sammel-Taxi 2.0. Da wird es auch eine Möglichkeit geben, über ein Callcenter eine Fahrt zu buchen. Der richtige Erfolg für den Nahverkehr kommt dann, wenn die Fahrzeuge autonom fahren. Das dauert sicherlich noch ein paar Jahre.

Die SWEG und ihr Vorstandsvorsitzender

Die Südwestdeutsche Landesverkehrs-GmbH (SWEG) wurde am 10. Dezember 1962 gegründet. Der Landesbetrieb mit Hauptsitz in Lahr betreibt in Baden-Württemberg und teilweise angrenzenden Gebieten Busverkehr im Stadt- und Überlandverkehr sowie Schienengüter- und Schienenpersonennahverkehr. Die SWEG hat mehr als 1800 Mitarbeiter.Tobias Harms hat am 1. April 2020 den Vorsitz im Vorstand der SWEG übernommen. Er ist seit 2016 Mitglied des Vorstands der SWEG. Seit 2001 war Harms in verschiedenen Leitungsfunktionen bei Eisenbahnverkehrsunternehmen sowie Stadtverkehrsunternehmen tätig, unter anderem in Offenbach und Bremen. Vor seiner Tätigkeit bei der SWEG verantwortete der gebürtige Karlsruher zwölf Jahre lang als Prokurist sowie Bereichsleiter bei den Stadtwerken Augsburg. Harms ist Mitglied im Präsidium des Verbands deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Der 49-Jährige ist verheiratet und hat eine Tochter.