Er träumt von einer letzten großen Ausstellung. Doch eigentlich ist sein ganzes Haus, die Paulusgalerie in der Paulusstraße, eine einzige große Ausstellung: Bernd Zimmermann ist vor kurzem 85 geworden und immer noch fleißig.
Albstadt-Tailfingen - Die Sprühtechnik hat Bernd Zimmermann erst in späteren Jahren für sich entdeckt. Während andere im Teenageralter durch nächtliche Straßen ziehen und Wände vollschmieren, schafft er mit der Sprühdose Kunst. Und mit ruhiger Hand – für einen, der vor kurzem 85 Jahre alt geworden ist, nicht selbstverständlich.
Die feinen Schattierungen seiner Werke zeigen, dass er diese Ausdrucksform inzwischen genau so gut beherrscht wie all die anderen, die ihn zu einem der großen Künstler im Südwesten gemacht haben: Zeichnungen und Grafiken, Ölbilder und Aquarelle, Holzschnitte, Plastiken aus Ton, Bronze, Eisen, manche gegossen, manche gesägt, manche gebrannt – es ist ein Meer voller Vielfalt, das von der großen Schaffenskraft und der enormen Kreativität des Albstädters zeugt.
Sein Lebensthema ist der Mensch in seinen Beziehungen
Der Mensch in seinen Bezügen ist Bernd Zimmermanns prägendes Lebensthema. Gesichter, Hände, Augen und Ohren greifen ineinander, spielen miteinander, sind verschlungen, treten in Beziehung. Die Motive finden sich in fast allen seinen Werken, angefangen bei seinen Zeichnungen und Malereien in frühen Jahren.
Der Junge sollte erst etwas "Richtiges" lernen
Schon in jungen Jahren hat Bernd Zimmermann seine künstlerische Kreativität entdeckt, wollte sie beruflich nutzen. Doch wie so oft in damaligen Jahren: Seine Eltern wollten, dass er "äbbes Räachts" lernt, und so wurde ein Einzelhandelskaufmann aus ihm. In der Textilbranche, natürlich. Mit einem Garnhandel machte er sich selbstständig, und der florierte auch viele Jahre, bis der Strukturwandel kam. Seine Frau Sofie führte die Firma noch einige Jahre weiter, während Zimmermann sich mehr und mehr auf das konzentrierte, was er am liebsten tat. Endlich. Er gab Kunst-Kurse bei der Volkshochschule. Vor allem aber ließ er seiner eigenen Schaffenskraft ungebremsten Lauf.
Im Ebinger Bürgerturm dreht sich alles um seine Skulptur
Seine Tochter Daniela, die mit ihrem Mann Christian gekommen ist, erinnert sich noch gut an ein Werk, das ihr Vater sehr früh geschaffen hat: Im Ebinger Bürgerturm führt die Wendeltreppe um seine Holzskulptur herum. 1964 wurde sie dort eingebaut.
Vor allem aber sind es Ton, Bronze und Eisen, die er bearbeitet, wobei Zimmermann unwesentliches eliminiert und die wesentlichen Elemente des Menschen, seine Sinnesorgane, übergroß in Beziehung setzt, dabei Hohlräume lässt, Durchbrüche schafft, Beziehungen greifbar macht.
Mit der Paulusgalerie endlich frei
Schon 1978 hat er die Paulusgalerie gegründet, sich als freischaffender Bildhauer, Maler und Grafiker selbstständig gemacht. Seine Kunst findet sich dort an jeder Wand, in jeder Ecke zwischen Keller und Dach, ja sogar an den Decken – der Platz geht ihm aus, die Kreativität noch lange nicht.
Mit 85 wünscht er sich eine "Retrospektive II"
Im November 2019 hat er sein Lebenswerk ausgestellt unter dem Titel "Retrospektive". Nun, mit 85, wünscht er sich eine letzte große Ausstellung, die "Retrospektive II", verrät Ilse Setzepfand. Sie und ihr Mann kennen Zimmermann und seine Paulusgalerie seit fast 40 Jahren und "staunen immer wieder, wie viel er im Lauf seines Lebens geschaffen hat" verrät sie bei der Vernissage, die Zimmermann nur für seine Freunde vom Kulturverein "Tal-Gang-Art" gibt.
Im Rotkäppchen-Korb ist spanischer Wein
Dessen stellvertretende Vorsitzende Anette Ganter hat ein "Rotkäppchen-Körbchen" als nachträgliches Geburtstagsgeschenk mitgebracht – und Erinnerungen an ihre Zeit im Kunst-Leistungskurs, da ihr Kunstlehrer Fritz Leibfritz sie mit Zimmermann bekannt machte und sie dieses "El Dorado an Vielfalt" entdeckte. Die selbst gestaltete Einladung zu einer Vernissage damals hält Anette Ganter seit damals in Ehren und hat sie mitgebracht, weil sie so schön zeige, wofür die Kunst wichtig sei: "Kunst braucht’s für die Freiheit des Denkens", sagt Ganter und trifft damit genau den Kern von Zimmermanns Kunst, für die sein "Technologismus" ein so aussagekräftiges Beispiel ist: Die silberne Skulptur steht vor der Technologiewerkstatt Tailfingen und zeigt den Menschen, der von der Technik bestimmt wird und versucht, sie im Griff zu behalten.
Seine zweite Heimat liegt in Katalonien
In das Körbchen hat Anette Ganter einen spanischen Rotwein gepackt, denn dort ist Zimmermann auch zu Hause, oft für viele Monate im Jahr. Im katalonischen Corcá hat er ein Haus in einem kleinen Künstlerdorf, lässt dort auch Skulpturen gießen – auch den "Technologismus". Kleinere Werke entstehen in seinem Brennofen im Atelier der Paulusgalerie, in der am Sonntag seine Freunde versammelt sind, um sich vor ihm zu verneigen, wie Ganter betont.
Der Lebensbaum zeigt die Abhängigkeit des Menschen
Ist unter den unzähligen Werken ein Lieblingswerk? Der "Lebensbaum" vielleicht – sechs Holzschnitte, die Zimmermann fugenlos aneinandergehängt hat und die zeigen, "wie abhängig der Mensch ist von anderen Menschen". Nur manchmal, da fliege er davon, in die Freiheit, sagt Zimmermann und schmunzelt. Die Freiheit, weiterhin kreativ zu sein, nimmt er sich, auch wenn die Kräfte inzwischen etwas nachgelassen haben. Nicht so sehr freilich, dass er keine Sprühgrafiken mehr schaffen könnte – im Gegenteil. Und die Seinen sind wirklich Kunst.