Im Schlossgarten probieren Stuttgart-21-Gegner den gewaltfreien zivilen Ungehorsam.
Stuttgart - Um Stuttgart 21 zu stoppen, wollen sie Sitzblockaden bilden, sich an Bäume anketten oder Baumaschinen blockieren: Am Sonntag haben 50 sogenannte Parkschützer am künftigen Baufeld im Schlossgarten für den Ernstfall geprobt.
Etwa 15 Frauen und Männer sitzen am Boden, die Arme untergehakt, die Beine verschränkt. Hinter ihnen, am Fuß eines haushohen Baumes, stehen zehn weitere Menschen. Sie haben sich mit Ketten und Vorhängeschlössern an den Baum gefesselt. Die Menge stimmt ein Lied an: "Wehrt euch, leistet Widerstand, gegen das Milliardengrab im Land..."
Das ist die Szenerie am Sonntagmittag im Schlossgarten. So soll es freilich auch aussehen, wenn die Deutsche Bahn im Mittleren Schlossgarten zwischen Hauptbahnhof und Planetarium beginnt, 280 alte Parkbäume für die Baugrube des Tiefbahnhofs abzuholzen. Den Termin für die Fällarbeiten nennt die Bahn noch nicht; vermutlich wird es um die Jahreswende 2010/2011 sein.
Gesetze übertreten: Ziviler Ungehorsam an Tag X
"Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem Bürger auf die Barrikaden gehen wollen", sagt Matthias von Herrmann. Man werde am Tag X beim zivilen Ungehorsam "bewusst Gesetze übertreten", kündigt der 36-jährige Politologe an. "Trotzdem muss der Protest absolut gewaltfrei ablaufen." Von Herrmann ist Pressesprecher der Parkschützer-Aktiven. So bezeichnen sich diejenigen Bürger, die auf der Homepage www.parkschuetzer.de erklärt haben, sich Bauarbeiten für Stuttgart21 offen entgegenzustellen. Zurzeit sind von 10.000 Parkschützern 1100 als Aktive registriert.
Um das "erste öffentliche Aktionstraining gegen Stuttgart 21" (von Herrmann) am Sonntag so realistisch wie möglich zu gestalten, übernehmen zehn weitere Aktive die Rolle der Polizei. Sie tragen gelbe Warnwesten und haben Kabelbinder in der Hosentasche - bei Demonstrationen das übliche Mittel anstelle von Handschellen.
"Wir sehen uns gezwungen, die Versammlung aufzulösen", ruft ein kräftiger Mann in Warnweste der Sitzblockade zu. Drei kräftige Polizisten haben viel Mühe, den ersten Mann aus der Sitzreihe zu lösen. Auch beim Losbrechen der angeketteten Aktiven gibt es ein wildes Gerangel mit Händen, Füßen - und mit Gesang: "Wehrt euch, leistet Widerstand", schallt es lauthals über die Wiese.
"Bei einem massiven Polizeiaufgebot können wir mit unseren gewaltfreien Mitteln nichts mehr ausrichten", schätzt von Herrmann. "Dann fallen die Bäume. Aber wir werden noch unseren Protest zeigen."
Wollen uns ernsthaft wehren
"Die Möglichkeiten, Stuttgart 21 auf der politischen Ebene oder über den Bürgerentscheid zu stoppen, sind ausgeschöpft", meint Renate Knapper. Darum hockt die 61-jährige Stuttgarterin in der Sitzblockade: "Wir wollen uns ernsthaft wehren."
Der 30-jährige Christoph Reinstadler hat sich an den Baum gekettet. Er fühlt sich mit dem Schulterschluss der Aktiven bestärkt: "Wir sind viele, das macht Mut." Knapper und Reinstadler hoffen, dass Stuttgart 21 noch an den Kosten scheitert. Andernfalls sei man gut gerüstet: "Wir sind keine Chaoten. Wir vertreten einen Standpunkt."
"Die Aktion der Parkschützer ist bei uns nicht angemeldet worden", erklärt am Sonntagnachmittag Alfons Nastold vom Ordnungsamt. Laut Versammlungsrecht war die Aktion demnach nicht erlaubt. Auch das Anketten an Bäume wird beim Ordnungsamt als Sachbeschädigung gewertet. Allerdings müsste dazu eine Anzeige des Landes erfolgen, dem der Park gehört.
"Wir haben die Aktion beobachtet und mit einem Verantwortlichen Kontakt aufgenommen", sagt Polizeipressesprecher Stefan Keilbach. Sein vorläufiges Fazit: "Hier werden Grenzen des Erlaubten ausgelotet."