Montenegro war Schauplatz blutiger Fehden der Drogenmafia. Nun füllen sich nicht nur Gefängnisse, es mehrt sich die Hoffnung auf einen EU-Beitritt.
Ratternde Schredder künden im Hafen von Bar von Montenegros Zeitenwende. Allein zwischen Ende Juni und Mitte September wurden in der einstigen Hochburg von Europas Zigarettenschmuggel 1,3 Milliarden Zigaretten im Wert von 200 Millionen Euro vernichtet. Premier Milojko Spajic spricht von einem „klaren Signal, wir kehren auf den europäischen Weg zurück, von dem wir leider abgewichen waren.“
Über drei Jahrzehnte galt das nur 620 000 Einwohner zählende Land als Eldorado der Schmuggler, Drogen- und Waffenhändler. Doch seit die über 30 Jahre lange regierende DPS des Ex-Dauerregenten Milo Djukanovic 2020 in die Opposition verbannt wurde, müht sich der Adriastaat um einen Kampf gegen die Mafia. Vermehrt wandern nicht nur Auftragskiller und Drogenkuriere, sondern auch korrupte Richter, Polizeichefs und Ex-Minister hinter Gitter. In dem am 29. Oktober erwarteten Fortschrittsbericht der EU-Kommission über die Beitrittskandidaten kann Montenegro mit kräftigen Schulterklopfen rechnen. „Montenegro liefert“, sagt EU-Botschafter Johann Sattler. „Unser Ziel ist es, 2028 als 28. Staat der EU beizutreten“, berichtet Europaministerin Maida Gorcevic.
Tatsächlich war die EU-Erweiterung seit Kroatiens Beitritt 2013 jahrelang ins Stocken geraten. Nun sind es ausgerechnet die Folgen des Ukrainekriegs, die eine neue Dynamik in den Erweiterungsprozess bringen. Der russische Angriff auf die Ukraine hat der EU die Risiken eines Machtvakuums in ihrem Hinterhof drastisch aufgezeigt. Routiniert rasselt Jungpremier Spajic die Argumente herunter, die seiner Meinung nach für einen raschen EU-Beitritt sprechen. Seit 2020 sei die Staatsschuld von 110 auf 60, das Haushaltsdefizit von zwölf auf drei Prozent gesackt: „Wir erfüllen schon jetzt alle Maastrichtkriterien.“ Und stets habe das Nato-Mitglied alle Sanktionen gegen Russland trotz immenser Einbußen für den heimischen Tourismus „zu 100 Prozent“ mitgetragen. Doch Bürgerrechtler klagen, dass es um die Umsetzung der Reformen keineswegs so rosig bestellt sei wie dargestellt. Sie wünsche sich, „dass die EU mehr von uns fordert“, sagt Milena Gvozdenovic vom „Zentrum für den demokratischen Übergang“.
Obwohl die Opposition beteuert, hinter dem EU-Beitritt zu stehen, zeigt sie sich vom Wirtschaftsmirakel wenig beeindruckt. Lohnsprünge seien durch die Streichung der Arbeitnehmerbeiträge auf Kosten der zunehmend in Schwierigkeiten geratenen Renten- und Krankenkassen erkauft, klagt der sozialdemokratische Parlamentarier Boris Mogusa: „Die populistische Wirtschaftspolitik liefert vielleicht kurzfristig Erfolge. Aber ich fürchte, dass sie uns langfristig eine Menge Probleme bescheren wird.“ Wohin Montenegros Reise gehen soll, ist klar. Doch wie schnell das EU-Ziel erreicht werden kann, ist ungewiss. Sein Land sei so klein, dass es bei Erfüllung der Aufnahmebedingungen „ohne große Mühe von der EU absorbiert werden kann“, ist Spajic überzeugt.
Doch das Beispiel des von seinen EU-Nachbarn wechselweise bereits seit fast zwei Jahrzehnten blockierte Nordmazedonien zeigt, dass sich scheinbar günstige Zeitfenster schnell wieder schließen können. Auch für Montenegro ist ein problemloser Beitritt keineswegs garantiert. Nicht nur das Erstarken populistischer Kräfte in den EU-Hauptstädten, auch ein etwaiges Ende des Ukrainekriegs könnten Europas Prioritäten rasch ändern. Dass Montenegros Momentum nicht ewig währt, weiß der Premier – und mahnt zur Eile.
„Alles, was wir tun können, ist unsere Hausaufgaben zu machen, die Verhandlungen bis Ende 2026 abzuschließen und für den EU-Beitritt bereit zu sein“, so Spajic: „Danach beginnt ein politischer Prozess. Wir müssen alle EU-Partner davon überzeugen, dass unser Beitritt ihnen nützt – und nicht schadet.“