Ryyan Alshebl ist Foto: Ian Ehmert

Ryyan Alshebl, der junge Ostelsheimer Bürgermeister mit syrischen Wurzeln, ist längst im Gäu angekommen.

Bis in die USA und nach Taiwan interessieren sich nach wie vor Medien für die Tatsache, dass es ein syrischer Flüchtling innerhalb von acht Jahren aus der Landeserstaufnahmeeinrichtung, kurz LEA, in Karlsruhe auf den Bürgermeistersessel der kleinen Gemeinde Ostelsheim am Rande des Nordschwarzwalds geschafft hat.

 

Es war im November 2022, als der heute 31-jährige Ryyan Alshebl in der Tagespresse gelesen hat, dass der damalige Bürgermeister Jürgen Fuchs nicht mehr zur Wahl für eine weitere Amtsperiode antritt. „Da habe ich mich gefragt: Was spricht dagegen, dass ich kandidiere?“ erzählt Alshebl. Er habe sich selbst die Antwort gegeben damals: „Nichts! Also mach ich es.“ Dieses mutige Machen hat sich für ihn ausgezahlt.

Mit der absoluten Mehrheit zum Bürgermeister gewählt

Ein engagierter Wahlkampf mit unzähligen Hausbesuchen und Gesprächen mit Ostelsheimer Bürgern hat ihn dort bekannt gemacht. Sein Mut wurde belohnt. Mit der absoluten Mehrheit von über 55 Prozent der Stimmen wurde er im Juni 2023 im ersten Wahlgang zum hauptamtlichen Bürgermeister gewählt.

Und Ostelsheim kam damit Kontinente-übergreifend in die Schlagzeilen. Der 21-jährige Ryyan, der 2015 aus seiner Heimatstadt as-Suwaida im syrischen Süden mit drei Freunden vor dem bevorstehenden Kriegsdienst flieht und seine zur drusischen Minderheit gehörende Familie zurücklässt auf der einen Seite und aktuell der 31 Jahre junge Schultes einer schwäbischen Gemeinde – unterschiedlicher oder gar extremer könnten Beginn und Ende der vergangenen Dekade im Leben von Alshebl nicht sein.

Seine Geschichte würde mehrere Bücher füllen

Über diese zehn Jahre mit ihren teils existenziellen, sehr prägenden Erlebnissen und Erfahrungen sowie den Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen, könnte er wohl selbst mehrere Bücher schreiben.

Seine Geschichte, seine Herkunft, seine Flucht, sein Ankommen in der LEA in Karlsruhe und in der Anschlussunterbringung in Calw bis hin zu seiner Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten in Althengstett ist mittlerweile weltweit in Presse, Funk und Fernsehen bekannt geworden.

Beim Gespräch in seinem Amtszimmer fällt der Blick auf eine gerahmte Urkunde mit asiatischen Schriftzeichen. Sie ist eine Auszeichnung der „CTK-Stiftung für Kultur und Bildung“ aus Taiwan, die weltweit an Personen verliehen wird, die beispielhaft durch ihr Leben anderen Menschen Hoffnung und Lebensfreude vermitteln. Alshebls Werdegang vom Flüchtling, der nichts als das eigene Leben hatte, und dann in einem fremden Land das Vertrauen einer ganzen Gemeinde erringt und als Bürgermeister Verantwortung für andere übernimmt, habe die Jury in Taipeh beeindruckt, heißt es in der Begründung.

Seine Geschichte sogar auf der Titelseite der New York Times geschafft. Zudem bekomme er wöchentlich Einladungen zu Talkshows und Interviews, die er längst nicht mehr alle wahrnehmen kann.

Doch, wie um diese Tatsache Lügen zu strafen: Während des Gesprächs kommt ein Reporter-Team von Al Jazeera English, um im Ratssaal ein Interview mit dem Ostelsheimer Bürgermeister zu führen.

In Syrien hat Alshebl 2011, im Jahr als der Aufstand gegen das Assad-Regime begann, ein Studium im Finanzwesen begonnen, das er nicht abschließen konnte. „Studienabbrecher trifft voll zu.“ sagt er lachend.

Alshebl ist Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen, trat jedoch als parteiunabhängiger Bürgermeisterkandidat in Ostelsheim an. Als in Syrien die Konflikte eskalierten, drohte ihm die Einberufung zum Kriegsdienst und 2015 entschied er sich zur Flucht.

In einer politisch interessierten Familie großgeworden, konnte sich Alshebl schon als Teenager eine öffentliche Aufgabe vorstellen.

Viel Unterstützung aus der Mitte der Gesellschaft

In Calw hat er jedoch, vermittelt von der Arbeitsagentur, ein sechswöchiges Praktikum als Kfz-Mechatroniker gemacht und festgestellt: „Das ist kein Beruf für mich.“ Es gab Menschen im Arbeitskreis Asyl in Calw, in der Kirchengemeinde und im Tischtennis-Verein, die ihn unterstützt haben wie auch in Althengstett, wo er in der Verwaltung zunächst ein Praktikum gemacht hat, obwohl sein Deutsch noch sehr schlecht war.

„Clemens Götz war bereit, mir einen Ausbildungsplatz anzubieten. Er ist auch mein Vorbild in dem, wie er das Bürgermeisteramt gelebt hat.

Mittlerweile ist Alshebl in seinem Amt angekommen. Angekommen ist der ledige Rathauschef auch in seiner Gemeinde und im schwäbischen Umfeld. „Im Norden wird mir schon ein leichter schwäbischer Akzent bescheinigt.“ lacht er.

Mit seinen Erfahrungen als Flüchtling und der jetzigen Verantwortung für Flüchtlinge, die seiner Gemeinde zur Unterbringung und Integration zugewiesen werden, hat Alshebl Anliegen und Vorschläge an die Politik in Bund und Land, wie das Thema Migration so geregelt werden sollte, dass es die Gesellschaft nicht überfordert.