Zur Gewalt bereit: Im März 2017 präsentierte das Landeskriminalamt in Stuttgart diese Waffen und andere Gegenstände, die während einer Razzia gegen den Osmanen Germania Boxclub sichergestellt worden waren. Foto: dpa

Gegen Anführer der rockerähnlichen Gruppierung Osmanen Germania hat die Stuttgarter Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Ermittler werfen diesen Männern, deren Organisation zum Unterstützer-Netzwerk des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland gehört, extreme Brutalität vor.

Stuttgart. - Die Tortur begann für Celal S. am 2. Februar dieses Jahres. Der führte bis zu diesem Tag im hessischen Gießen die Filiale der rockerähnlichen Gruppe Osmanen Germania Boxclub. Seit Wochen plagte S. das Gewissen: Er wollte keine in Deutschland lebende Kurden mehr zusammenschlagen.

Ein Aufbegehren, das die Führungsspitze der Osmanen nicht dulden konnte, wenn sie weiterhin von untergeordneten Mitgliedern bedingungslosen Gehorsam einfordern wollte. Die Gewissensbisse des Gießener Osmanen-Chefs bedeuteten für die Anführer der über allen Gliederungen stehenden Weltvereinigung Revolution. Schließlich war der damals amtierende Weltpräsident im Oktober in die Türkei gereist, um dem Chefberater des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, Ilnur Cevik, zu versichern, in Deutschland würden die Osmanen den Anti-Terror-Kampf für die Regierung in Ankara übernehmen.

Geld für Waffen vom Vertrauten Erdogans

Zudem hatten die Osmanen schon seit Monaten Geld von Erdogans Jugendfreund und Abgeordneten der türkischen Regierungspartei AKP, Metin Külünk, bekommen. Auch, um dafür scharfe Schusswaffen zu kaufen, wie Abhör- und Observationsprotokolle belegen, die unserer Zeitung und dem ZDF-Magazin „Frontal 21“ vorliegen. Machterhalt, Finanzierung durch einen Vertrauten des türkischen Präsidenten, gegebene Versprechen, ein gerüttelt Maß türkischer Nationalismus – am 2. Februar 2017 gab es genug Gründe für die Führungsriege des Osmanen Germania Boxclubs, Celal S. zur Räson zu bringen.

Zumal es sich offenbar gut traf, dass an genau diesem Tag S. zusammen mit dem für die Einhaltung der Club-Regeln Verantwortlichen von einer Türkeireise zurückkam und in Stuttgart landete. Und dass dieser Vollstrecker im Februar 2017 gleichzeitig Präsident der Osmanen in Stuttgart war. Dort ist Levent Uzundal bei der Polizei kein Unbekannter: Mindestens 30-mal haben ihn Ermittler erfasst – Gewaltdelikte, Vergewaltigung, Betäubungsmittelhandel werfen sie ihm vor. 2011 wurde der türkische Staatsbürger wegen Gewaltverbrechen zu einer neunmonatigen Haftstrafe verurteilt.

Drakonische Strafen für Abweichler in den eigenen Reihen

Was zwischen dem 2. und 5. Februar passierte, rekonstruierten Kriminale minutiös: Uzundal habe S. in eine ihm gehörende Wohnung nach Herrenberg (Kreis Böblingen) gelockt. Angeblich, damit S. sich dort vor seiner Weiterreise ins heimische Marburg ausruhen könne. Dem Gießener Osmanen wurde in der Wohnung Uzundals ein Schlafmittel verabreicht. Um 15.02 Uhr und 15.44 Uhr fragte der Stuttgarter Osmanen-Chef telefonisch bei seinem stellvertretenden Weltpräsidenten, nach, was mit S. geschehen solle. Denn der habe sich an die Freundin eines anderen Osmanen herangemacht – eine Tat, die ebenfalls drakonische Strafe in den Reihen der Osmanen auslöst.

Sahin habe Uzundal zu sich nach Frankfurt beordert, um dort das weitere Vorgehen abzusprechen. Am 3. Februar war der Stuttgarter um 3.15 Uhr wieder zurück in Herrenberg gewesen. Auf dem Weg – so die Rekonstruktion der Ermittler – gabelte der Präsident offenbar weitere Osmanen auf. Während Uzundal vor der Wohnung gewartet habe, sei seinen beiden Mittätern von einem weiteren Kumpanen die Tür geöffnet worden. Mit einer Eisenzange habe ein Osmane dem schlafenden S. ins Gesicht und gegen den Kopf geschlagen. Ein anderer Mittäter habe den Abtrünnigen mit einer Beretta-Pistole zunächst bedroht, ihm dann in den Oberschenkel geschossen. Nur knapp sei die Oberschenkelarterie verfehlt worden. Auf S. sei so lange eingeschlagen und -getreten worden, bis er ohnmächtig geworden sei.

Mit einem Schlaghandschuh immer wieder auf den Kopf

Das hielt offenbar die Osmanen-Horde nicht davon ab, weiter auf den inzwischen auch gefesselten S. einzudreschen: mit der Pistole und einem Schlaghandschuh immer wieder auf dessen Kopf. Uzundal habe dann die Wohnung betreten und S.’ Verletzungen fotografiert und gefilmt. Nur weil Sahin die Erlaubnis verweigert habe, den Gießener Osmanen sofort umzubringen, habe das Quartett in Herrenberg darauf verzichtet.

Wie die Ermittler festhalten, ging die Tortur von S. unterdessen weiter: Eine herbeigerufene Altenpflegerin operierte mit einem Messer und einer Pinzette ohne Betäubung das Projektil aus dessen Oberschenkel. Ein anderer der Osmanen habe versucht, S. mit einer Rasierklinge einen Teil eines Ohres abzutrennen. S.’ Wunden entzündeten sich – trotzdem entkam er nach drei Tagen.

Auch zwei der mutmaßlichen Herrenberger Täter gelang die Flucht. Sie konnten sich in die Türkei absetzen: Mustafa K., Vizepräsident der Stuttgarter Osmanen, und Ibrahim I. werden am Bosporus von ihren in Deutschland verbliebenen Club-Brüdern unterstützt, um sich dort vor den deutschen Ermittlungsbehörden zu verstecken.

Noch mehr Bluttaten

Es ist nicht die einzige Bluttat der Osmanen, die die Staatsanwaltschaft Stuttgart jetzt angeklagt hat. In einem anderen Fall sollte am 12. Juni 2017 ein anderer Aussteiger bestraft werden. „Cebo“, erzählte seine Geschichte bereits bei „Stern-TV“: Er habe sich geweigert, die für einen Ausstieg bei den Osmanen übliche Abstandszahlung zu leisten – was den Stuttgarter Präsidenten und für Bestrafungen zuständigen Levent Uzundal verärgerte. Der habe daraufhin seine Ermordung angeordnet.

Deshalb sei der Aussteiger zur nachtschlafenden Zeit in einen Park nach Wuppertal bestellt worden, wo wiederum ein früherer Stuttgarter Osmane, Robin O., mit gut einem Dutzend seiner Kumpane auf „Cebo“ wartete. Nur weil der ebenfalls ein Dutzend Freunde zusammengetrommelt habe, lebe er noch, erklärte er später. Und weil der Aussteiger die Polizei anrief, die den Park umstellte und so die Bluttat verhinderte. Auch diesen Fall klagten die Stuttgarter Staatsanwälte jetzt an.

Osmanen sollen Mieter einschüchtern

Wie auch diesen dritten Fall: In dem kontaktierte im Juni 2017 eine türkischstämmige Frau in Wetzlar den früheren Vorsitzenden des Erdogan-nahen, hessischen Lobbyvereins Union der Europäisch-Türkischen Demokraten (UETD), Muhsin Senol. Sie habe Mietstreitigkeiten mit einem ihrer Mieter. Diese sollten gelöst werden. Senol, der damals auch für das Oberbürgermeisteramt in Offenbach kandidierte, soll Osmanen-Chef Mehmet Bagci den Fall übergeben haben: Die Truppe sollte den Mieter und dessen Familie einschüchtern und 5000 Euro von diesen einfordern – so der Vorwurf. Am 18. Juni erschienen Bagci und seine Spießgesellen bei der Familie in Wetzlar, um diese zu bedrohen. Ein beherzter türkischstämmiger Nachbar schmähte die Schlägertruppe so lange, bis die sich trollte.

Senol schied im September im ersten Durchgang aus der Oberbürgermeisterwahl in Offenbach aus. Nach Recherchen unserer Zeitung und von „Frontal 21“ war er zudem spätestens seit Frühjahr 2016 Kontaktperson für den Erdogan-Vertrauten Metin Külünk und den früheren Mannheimer UETD-Funktionär Yilmaz Ilkay Arin. Journalisten der „Offenbach Post“ konfrontierten Senol am Freitag mit dem Vorwurf, die Osmanen im Fall Wetzlar vermittelt zu haben. „Ich habe keine Ahnung, wie die Staatsanwaltschaft auf meinen Namen kommt.“ Er habe bislang nichts „von Behörden gehört“. Mehmet Bagci, räumte er ein, kenne er „selbstverständlich“ – den damaligen Chef der Osmanen Germania, dem der Erdogan-Vertraute Külünk am 1. Juni 2016 in der Potsdamer Straße in Berlin zwei Umschläge mit Geld übergeben hatte.