Trauer nach dem Familiendrama in Rot am See. Foto: Weller

Mutmaßlicher Todesschütze lebte in Lahr. Bekannte beschreiben ihn als "immer schon komisch".

Lahr/Rot am See/Güglingen - Es dauerte ein paar Stunden, bis aus Gerüchten Gewissheit wurde. Doch dann traf es die Stadt mit voller Härte: Drei der sechs Opfer, die am Freitag bei dem Familiendrama in Rot am See (Kreis Schwäbisch Hall) ihr Leben verloren, stammen aus Lahr.

Seitdem liegt ein betäubender Schleier der Trauer über der 47.000-Einwohner-Stadt im südlichen Ortenaukreis. Am Sonntagmorgen sollte die Fassungslosigkeit bei den Menschen noch größer werden: Als sie erfuhren, dass auch der mutmaßliche Täter, 26 Jahre alt, Sportschütze, lange Zeit einer von ihnen war.

"Immer schon komisch" gewesen

Adrian S. machte 2012 am Lahrer Clara-Schumann-Gymnasium sein Abitur. Auf der Schulhomepage ist er noch immer mit ernstem Blick und gestreifter Krawatte zu sehen. In den Händen das Zeugnis, das mit einem Preis für besondere Leistungen im Bereich Naturwissenschaften garniert war. Viel mehr ist zwei Tage nach der schrecklichen Bluttat nicht über den jungen Mann zu erfahren. Eine Bekannte der Familie sagte über ihn im Gespräch mit unserer Zeitung, er sei "immer schon komisch" gewesen. Kontaktscheu, ganz anders als der Rest der Familie.

Dazu zählten bis Freitagmittag Adrian S.’ Mutter Sylvia S. (56) sowie die Halbgeschwister Carolin K. und Holger K., beide Mittdreißiger und Kinder aus einer früheren Beziehung Sylvias. Die drei Opfer waren zusammen auf dem Weg von Lahr zur Beerdigung der Großmutter im sächsischen Schwepnitz, machten Station bei der Verwandtschaft in Rot. Dorthin war Adrian S. bereits vor ein paar Jahren gezogen. Er wohnte bei seinem Vater Klaus S. (65), der getrennt von seiner Frau lebte und im Ort den "Deutschen Kaiser" betrieb, ein alteingesessenes Wirtshaus.

Großteil seiner Zeit soll Adrian S. vor dem PC verbracht haben

Es sollte ein tragisches Familientreffen werden. Mutter, Vater und die Halbgeschwister überlebten es nicht, ebenso wie eine Tante (62) und ein Onkel (69) von Adrian S.. Sie wurden, so der Ermittlungsstand der Polizei, von den Kugeln einer halbautomatischen Pistole getroffen, mutmaßlich abgefeuert von ihrem 26-jährigen Verwandten. Die Neunmillimeter-Waffe hat er wohl legal besessen.

In Rot hatte sich Adrian S. einem Schützenverein angeschlossen. Der einzige Punkt, worin sich das Leben in seiner neuen Heimat von dem in Lahr nach außen hin unterschied. Den Großteil seiner Zeit soll der Fernstudent alleine verbracht haben, in der Wohnung über der Gaststätte, vornehmlich am Computer. Seine Mutter, eine Hebamme, hatte sich Sorgen um ihren Sohn gemacht, ihn dazu bewegen wollen, wieder zurück nach Lahr zu kommen, berichtet die Freundin der Familie. Doch der 26-Jährige habe kein Interesse gezeigt, "war abweisend und nicht herzlich".

Die Polizei fand am Freitagmittag zwei Leichen in der Gaststätte, vier davor. Der mutmaßliche Schütze selbst hatte die Beamten gerufen, ließ sich widerstandslos festnehmen. Seit Samstag sitzt er in U-Haft, wegen des Verdachts des sechsfachen Mordes.

Zwei Opfer weiter in Lebensgefahr

Zwei weitere Familienmitglieder wurden bei der Bluttat verletzt, eine 64-Jährige und ein 68-Jähriger, der weiter in Lebensgefahr schwebt. Zwei Jugendliche soll Adrian S. bedroht, dann aber doch verschont haben. Die beiden zwölf- und 14-jährigen Jungen sind die Kinder der getöteten Halbschwester.

Über das Motiv kann bislang nur gerätselt werden. Für die Bekannte wurde jedenfalls eine schreckliche Vorahnung wahr: "Er für mich ein typischer Fall von jenen Leuten, die nicht richtig sozialisiert sind, irgendwann durchdrehen und am Ende wild um sich schießen."

Die Gemütslage in Lahr gab am Sonntag Oberbürgermeister Markus Ibert (parteilos) wieder: Eine "unfassbar schreckliche Katastrophe" sei da geschehen, sagte er unserer Zeitung. Für den heutigen Montag kündigte er außerdem eine Stellungnahme vor dem Gemeinderat an.

Mutmaßlicher Täter wird als höflich, aber etwas verschlossen beschrieben

In Rot am See rätselt der Vorstand des Schützenvereins Brettenfeld-Rot derweil, ob die Tragödie zu verhindern gewesen wäre. Adrian S. war dort bis vor fünf Jahren aktiv, zog dann zu einem Verein weiter, wo er auch mit der Sportpistole schießen konnte. Er sei höflich gewesen, aber auch zurückhaltend und etwas verschlossen, erinnert sich der Vereinschef. Und fügt an, er sei ihm damals vorgekommen "wie ein junger, heranwachsender Mann, der seinen Platz im Leben sucht". Deshalb frage er sich nun, ob er ihm vielleicht hätte "helfen können, diesen Platz im Leben zu finden".

Der Schock sitzt freilich nicht nur in Lahr und Rot am See tief. Nur wenige Stunden nach dem entsetzlichen Blutbad kommt es auf halber Strecke im kleinen Güglingen (Kreis Heilbronn) ebenfalls zu einem Familiendrama mit einem Toten. Auch hier ist das Motiv noch völlig unklar.

Am Samstagmittag sitzt eine Handvoll Gäste am Tresen einer Kneipe in der 6375-Einwohner-Gemeinde, 20 Kilometer südwestlich von Heilbronn. "Wir sind schockiert", sagt eine Frau. Erst vorhin hätten sie es erfahren: Auf einem Hof etwas außerhalb der Kleinstadt war in der Nacht ein 15-Jähriger getötet worden. Sein 17 Jahre alter Bruder und sein Vater (54) kamen schwer verletzt ins Krankenhaus. Bei allen dreien stellte die Polizei Stichverletzungen fest.

Viele Fragen unbeantwortet

Die Polizei geht davon aus, "dass sich die Tat innerhalb der Familie abgespielt hat". Das Wohnhaus der Familie ist ein mondänes Anwesen mit weitläufigem Garten. "Betucht" seien die Leute, erzählt die Frau in der Kneipe. Die Familie sei alteingesessen, erzählt ein Mann ihr gegenüber. Bekannt im Ort, aber nicht so richtig integriert. Die Jugendlichen und der Vater lebten laut Polizei gemeinsam auf dem Anwesen. Zur Mutter gab es zunächst keine Angaben.

Es seien noch viele Dinge unklar, teilte die Polizei mit, zumal die Überlebenden derzeit nicht vernommen werden könnten. Viele Fragen werden somit wohl noch eine Weile unbeantwortet bleiben –in Rot am See, in Güglingen und auch in Lahr.