Mit einem innovativen Architekturkonzept sind Kleinst-Wohnhäuser auf Garagen in einer Nachkriegssiedlung in Karlsruhe entstanden. Die Wohnungen sind begehrt, das Konzept wurde ausgezeichnet. Warum werden nicht viel mehr solcher Projekte realisiert?
Eine Garage kann ein Showroom sein, wohl temperiert und klimatisiert für das frisch erstandene oder aus alten Zeiten stammende Luxusgefährt. Die Einzelgarage ist sozusagen die Villa fürs Auto, sie muss man mit keinem teilen, keiner kommt mit dem schnieken Jaguar, dem VW-Käfercabrio in Berührung, nur der Besitzer selbst. Häufiger noch finden sich in Siedlungen in Deutschland weniger glamouröse Batterien von Garagen vor oder hinter oder neben Ein- und Mehrfamilienhäusern.
Sie erzählen von einer Zeit der autofreundlichen Stadtplanung. Das kann und will sich heute keiner mehr leisten (wenngleich die Frage wie viele Parkplätze pro Haus bei der Erschließung neuer Quartiere oft noch zu heftigen Debatten führt).
Spaziert ein gestaltungsaffiner Mensch durch so eine dieser Nachkriegssiedlung, sieht er rasch errichtete Häuserzeilen, die nach dem Krieg den Ausgebombten oder aus dem Osten Europas zwangsweise Zurückgekehrten ein Zuhause boten. Riegel mit dünnen Wänden und kleinen Räumen. Rasenflächen, auf denen keiner spielt oder sich sonnt.
Neues in der Nachkriegssiedlung
Inzwischen sieht man zuweilen nachträglich angebrachte Balkons, Photovoltaik auf den Satteldächern, wärmegedämmte Fassaden mit Putz in freundlichen Pastellfarben. Am Rande der Bauten oder zwischen den Häusern stehen die hässlichen Flachdachgaragen. Die Siedlungen gelten gleichwohl als architektonische Un-Orte. Architektur zum Wegschauen könnte man meinen. Und liegt damit zumindest im Fall vom Rintheimer Feld in Karlsruhe ziemlich daneben.
Ein sonniger Tag, Treffpunkt ist ein kreisrunder asphaltierter Platz, drumherum gruppiert sind neun graue Einzelgaragen, jede penibel mit Nummer auf dem Tor versehen. Eine ältere Frau lenkt ihren pinkfarbenen Kleinwagen in eine der Garagen. Den auf dem Platz stehenden Architekten und die Journalistin beäugt sie neugierig, geht dann aber rasch weiter. Dass Menschen auf ihrem Garagenvorplatz stehen, dürfte sie nicht zum ersten Mal gesehen haben, denn das eigentlich Interessante hier befindet sich beim Blick nach oben: Wohnhäuser auf der Garage!
Die L-förmige Garagenansammlung fungiert als eine Art Sockel und Unterbau für ein architektonisches Meisterstück der urbanen Nachverdichtung: Ein Tiny-House-Riegel – dazu weitgehend kreislaufgerecht und damit ressourcenschonend errichtet, weil für neuen Wohnraum keine neuen Flächen versiegelt wurden. Möglich wurde dieses originelle und nachahmenswerte Wohnprojekt dank mehrerer innovationsfreundlicher Menschen.
Der Architekt Falk Schneemann hatte an einem Ideenwettbewerb der baden-württembergischen Architektenkammer, dem Architekturschaufenster e.V., und der K3 Kultur- und Kreativwirtschaft Karlsruhe mit dem Titel „Hier wohnen wir!“ teilgenommen.„Ich hatte einen Entwurf für einen hundert Meter langen Garagenriegel eingereicht“, berichtet Schneemann. Dafür gab’s den ersten Preis. Doch wer will so etwas bauen? Und wo?
Mut zum Experiment
Da nun kommt die Karlsruher Volkswohnung GmbH ins Spiel, die rund 13500 Wohnungen im Bestand hat und derzeit rund 600 Wohnungen baut. „Wir haben das Quartier in den vergangenen Jahren schrittweise behutsam nachverdichtet, doch die gängigen Verdichtungsvarianten waren schließlich erschöpft“, sagt die Volkswohnung-Sprecherin Pia Hesselschwerdt. Kurzum: Es fehlte Bauland.
Aber da waren eben noch die ollen Garagen aus den 1960er Jahren. Und die Volkswohnung hatte von dem Wettbewerb Kenntnis genommen und Mut gefasst. Falk Schneemann: „Die Vertreter von Volkswohnung haben mich angesprochen und ich wurde mit Machbarkeitsstudien und Bauvoranfragen beauftragt. Dann hat die Volkswohnung entschieden, das Projekt zu verwirklichen.“
Um den Bau von zwölf Ein- und Zweizimmerwohnungen auf drei L-förmigen Garagenansammlungen möglichst ressourcenschonend und kreislaufgerecht zu realisieren, bewarben sich die Bauherrin und der Architekt um Förderungen, die Wohnraumoffensive Baden-Württemberg etwa, die ein Förderpaket für innovatives Wohnen ausgeschrieben hatte. Das Projekt war eines von vier Gewinnern, rund 700 000 Euro gab es vom Land.
Inzwischen hat das Projekt einige Nominierungen erhalten (etwa für den Bundespreis Ecodesign, für den DAM Preis und für den Bundespreis Umwelt und Bauen) sowie Auszeichnungen wie „Beispielhaftes Bauen“, den Holzbaupreis Baden-Württemberg erhalten und der Gewinn des Ammodo Architecture Awards, der Projekte weltweit prämiert. Der Preis wurde als internationales Format für soziale und ressourcenschonende Architektur 2024 das erste Mal vergeben.
Die Garagenaufstockungen sind in der mit 50 000 Euro dotierten Kategorie „Soziales Engagement“ vertreten und wurden als einziges deutsches Projekt ausgezeichnet. „Das Geld wird für den Start eines neuen Projektes verwendet: Tiny Tower“, sagt Falk Schneemann. „Es handelt sich um ein in der Grundfläche radikal minimiertes Hochhaus in Holzbauweise für die Nachverdichtung von Hochschulstandorten.“
Mit dabei sind Transsolar Klimaengineering aus Stuttgart sowie wh-p Beratende Ingenieure aus Stuttgart für die Tragwerksplanung.“ Mit dem Büro wh-p hat Schneemann auch schon bei der Garagenaufstockung zusammengearbeitet. „Für die selbst initiierte Studie wird dann noch ein Partner für die bauliche Realisierung gesucht, so wie bei dem Garagenprojekt.“ Es wird also wie bei den Garagenaufstockungen versucht, zunächst ohne Auftraggeber zu starten, und diese dann zu finden, um die Idee realisieren zu können.
Doch was ist mit den hunderttausenden verloren in der Vorstadtsiedlungen herumstehender Flachdachgaragen? Stehen Bauherrschaften jetzt Schlange für die Aufstockung? Das ist nicht geschehen. Das Dickicht an baurechtlichen Vorgaben und Abstandsregeln verhindert dies in vielen Fällen.
Entweder die neuen Garagen sind zu leicht und tragen kein Wohnhaus, oder es müssten Bebauungspläne geändert werden.„Die Aufstockung von Garagen stellt eine Nutzungsänderung dar, die in den Bebauungsplänen ihrer Entstehungszeit nicht vorgesehen war und eine Änderung des Bebauungsplans erfordert“, berichtet Pia Hesselschwerdt. „Auch Grenzabstände und Abstandsflächen sind zu beachten, und die Garagenaufstockungen müssen durch ihre oft ausgeprägte räumliche Nähe zu Bestandsgebäuden hohe Brandschutzauflagen erfüllen. Insgesamt sind die Anforderungen an die Hauptnutzung Wohnen deutlich höher als die an eine Garagennutzung.“
Hinzu kommen bautechnische und statische Herausforderungen: Hesselschwerdt: „Unsere Erfahrungen zeigen, dass nur ein relativ kleiner Bestand der Garagen baurechtlich und hinsichtlich der Tragfähigkeit für Aufbauten geeignet ist. Vor allem der Bestand aus den 60er und 70er kann als Basis für Aufbauten verwendet werden – Garagen aus früheren Jahrzehnten sind meist zu sanierungsbedürftig, Garagen aus jüngerer Zeit zu leicht gebaut, um ein weiteres Geschoss zu tragen.“
Einmal Garage, immer Garage?
Aktuell ist kein vergleichbares Projekt in der Planung. Hesselschwertd: „Wir sehen in dem Projekt aber einen kleinen, lohnenden Beitrag zur Wohnraumverdichtung: Für einzelne Straßenzüge oder eine bauliche Übergangszeit können die Aufbauten einen Gewinn darstellen oder auch eine Initialzündung für eine Quartiersentwicklung sein.“ Oft aber gilt: Einmal Garage, immer Garage. Was überaus schade ist, wie dieses Projekt zeigt, das nicht nur die Garagen aufwertet, sondern das ganze Viertel. Die Wohnungen jedenfalls waren schnell vermietet.
Und die Aufwertung wissen auch die Bewohner der alten Mietshäuser zu schätzen: „Im Falle der Garagenaufstockungen und dem damit neuen, ungewöhnlichen Bau kamen viele zusätzliche Fragen, aber ebenso viel Neugier und Interesse auf“, sagt Pia Hesselschwerdt. „Wir haben die Nachbarschaft möglichst frühzeitig informiert und das Projekt visualisiert. Um allen Interessierten auch einen konkreten Eindruck der Aufbauten zu vermitteln, wurden Besichtigungen für die Nachbarschaft organisiert, die gut angenommen wurden.“
Auch die Außen- und Nebenanlagen wurden mit neuen Müllräumen, Fahrradhäusern und einem Waschsalon aufgewertet. „Dadurch haben auch die bereits dort lebenden Bewohnerinnen und Bewohner einen Mehrwert von den baulichen Veränderungen.“
Die Garagen-Häuser sind als Holzständerbauten entstanden, nicht nur ästhetisch ansprechend und Nachverdichtung auf engstem städtischen Raum, sondern auch kreislaufgerecht. „Die Gebäude sind mit Hanf gedämmt, Verklebungen wurden vermieden und Verbindungen wurden geschraubt, gesteckt oder auf andere Art lösbar ausgeführt und Kompositwerkstoffe wurden vermieden“, berichtet Falk Schneemann beim Gang durch die Siedlung. Aus Abrissprojekten der Volkswohnung wurden Böden, Türen und Kleinteile ausgebaut, aufgearbeitet und in den Garagenaufstockungen wiederverwendet.
Kurze Transportwege, wiederverwendbare Materialien
Die Wohnungen sind hell mit Holzböden, eingebauten Küchen und sie verfügen über eine großzügige und den Nutzungen angepasste Raumhöhe, hohe Räume beim Wohnen, niedrigere Räume bei Bädern und Küchen.
Zum Nachhaltigkeitskonzept gehörten möglichst kurze Transportwege. Holz, das verbaut wurde, kam aus dem nicht weit entfernten Schwarzwald. Die Blechfassade ist aus unbeschichtetem Titanzink, das sich optimal recyceln lässt und hervorragend zu den dunkelgrün lackierten Fensterrahmen passt.
„Das war auch ein Brandschutzthema“, sagt der Architekt über die Wahl der Fassadenverkleidung. „Die metallische Fassade ist aber auch eine Reaktion auf den urbanen Kontext, in dem der Holzbau einen anderen Ausdruck finden sollte als zum Beispiel die vergrauenden Fassaden, die wir besonders aus dem Vorarlberg oder anderen ländlicheren Regionen kennen.“
Stahlträger auf den bestehenden Pultdächern der Garagen sorgen für die notwendige Lastverteilung und schaffen eine Horizontale auf der der Holzbau ruht. Wand-, Boden- und Dachelemente wurden im Werk mit Fenstern, Sonnenschutz, Elektroinstallationen usw. vorgefertigt. Rund eine Woche dauerte es, bis ein Haus aus diesen Elementen aufgerichtet war.
„Man könnte die Häuser auseinanderbauen“ ,sagt Falk Schneemann, „mit dem Tieflader transportieren und woanders wieder aufbauen.“ Doch dann stünden auf dem Platz wieder nur hässliche Flachdachgaragen. Das kann keiner wollen. So ist das Rintheimer Feld ein bewohnbares Freilichtmuseum für Architekturfans, die nicht nur Nachkriegs- sondern innovative Gegenwartsarchitektur zu schätzen wissen.