Eigentlich sollte ein seit März geltendes Gesetz die Zahl der Organtransplantationen spürbar erhöhen. Doch das Gegenteil ist der Fall – viel weniger Organe als im Vorjahr stehen zur Verfügung. Woran liegt das?
Tausende Menschen warten auf Niere, Herz oder Leber eines gerade Verstorbenen, um selbst weiterleben zu können. Doch es gibt viel zu wenig gespendete Organe. Und das seit Jahren. Und 2022 folgte auch noch ein Einbruch: Laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) sank im ersten Quartal die Anzahl der Organspender auf 176, nach 249 im Vorjahreszeitraum. Ein Rückgang um 29 Prozent. Für den DSO-Vorstand Axel Rahmel ist das eine „dramatische Entwicklung für die rund 8500 Patienten auf den Wartelisten“. Nach Angaben des Verbands der Ersatzkassen (vdek) brauchen die meisten davon eine Niere (6593), eine Leber (848) oder ein Herz (727).
Dabei war hierzulande in der Coronapandemie zunächst, anders als in anderen Ländern, die Zahl der Menschen, denen nach dem Hirntod Organe entnommen wurden, stabil geblieben – im Vor-Corona-Jahr 2019 hatte es 932 postmortale Spender, wie das offiziell heißt, gegeben, 2020 dann 913 und 933 im Jahr 2021. Den aktuellen Einbruch erklärt sich die DSO unter anderem mit der Arbeitsüberlastung in den Kliniken aufgrund des durch Corona erhöhten Personalausfalls. Zudem hätten sich die Fälle gehäuft, bei denen es noch vor der Feststellung des Hirntods zum Zusammenbruch der Herz-Kreislauf-Funktion bei den Patienten gekommen sei, wodurch keine Organspende mehr möglich ist.
Zugleich sei die Zahl der Ablehnungen einer Spende in der Akutsituation auf den Intensivstationen gestiegen. Das deckt sich mit einer Umfrage der Krankenkasse Barmer. Demnach stieg im Jahresvergleich die Spendebereitschaft bei Frauen minimal von 39 Prozent im Mai 2021 auf nunmehr 40 Prozent, wohingegen sie bei Männern von 32 Prozent auf 27 Prozent gesunken ist.
Laut vdek liegt Deutschland bei Organspenden im internationalen Vergleich „weit abgeschlagen auf einem der hinteren Plätze“. Belegt wird das durch das internationale Register Irodat. Bezogen auf je eine Million Bürger betrug die Rate an Spendern 2021, also noch vor dem jüngsten Einbruch hierzulande, in Spanien 40,2, in Kroatien 29,5, in Portugal 27,9, in Belgien 27,1, in Frankreich 24,7, in Österreich 20,4 – und in Deutschland 11,2.
Dabei sollte eigentlich seit diesem Frühjahr alles besser werden – durch ein Anfang 2020 im Bundestag beschlossenes Gesetz, das im März 2022 in Kraft trat. Es war das Ergebnis einer langen Diskussion, die überparteilich geführt worden war und in der Frage gipfelte: Soll man zunächst automatisch Spender sein, dem aber widersprechen können? Diese sogenannte Widerspruchslösung wurde vom damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und seinem Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) präferiert. Oder soll man sich weiterhin bewusst für eine Spende entscheiden müssen (Entscheidungslösung)?
Durchgesetzt hatte sich ein Gesetzentwurf von Annalena Baerbock (Grüne), Katja Kipping (Linke) und Stephan Pilsinger (CSU), der die Entscheidungslösung um etwas mehr Beratung, beispielsweise bei Behördengängen und Arztbesuchen, vor allem aber um ein bundesweites Online-Register erweitert, in dem die persönliche Entscheidung zur Organspende dokumentiert werden kann. Denn es fällt auf, dass seit Jahren mehr als zwei Drittel der Deutschen in Umfragen erklären, der Organspende positiv gegenüberzustehen, aber trotzdem nur etwa ein Drittel einen Organspendeausweis ausgefüllt hat – der dann häufig gar nicht bei sich getragen wird. Die Kliniken sollen also schnell auf die Daten zugreifen können.
Beim Register gibt es Probleme
Wegen des Registers wurde der Start des Gesetzes hinausgezögert. Nur: Wann es läuft, steht in den Sternen. Mittlerweile, heißt es beim Bundesgesundheitsministerium, gehe man von frühestens Ende 2023 aus. Technische Schwierigkeiten und Datenschutz werden dafür ins Feld geführt.
So wie die Gesetzeslage jetzt ist, kann sie nicht bleiben, findet die FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr. Sie möchte das Thema angesichts der „besorgniserregenden Spenderzahlen“ erneut auf die Agenda setzen. Zwar will sie die Abstimmung zur Entscheidungslösung nicht antasten, aber neue Möglichkeiten nutzen. So könnten Menschen gerettet werden, wenn man endlich sogenannte Überkreuzspenden erlaube: „Wenn sich zwei Paare helfen, durch gegenseitige Spende an den jeweils anderen Partner einem geliebten Menschen das Überleben zu ermöglichen, sollte diese Möglichkeit diskutiert werden.“
Karl Lauterbach hat dagegen schon einmal einen neuen Anlauf für die Widerspruchslösung ins Spiel gebracht, weil man das Problem sonst nicht gelöst bekomme. Der CDU-Gesundheitspolitiker Michael Hennrich hält das definitiv für verfrüht. Wegen Corona hätten die Maßnahmen zu einer besseren Aufklärung noch gar nicht wirken können. Und das Register fehle ja auch noch auf unabsehbare Zeit. Man müsse erst einmal schauen, wie das Gesetz tatsächlich wirke, sagt der Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Nürtingen. „Einen Schnellschuss brauchen wir bei diesem Thema nun wirklich nicht.“