Isabelle Rubin (links) und Alena Seemann bearbeiten im Stoffladen "Seemannsgarn" eine Bestellung. Foto: Moser

Stoffhändler "Seemannsgann" startet Internetgeschäft während Lockdown. Ende des Trends nicht in Sicht.

VS-Schwenningen - Wenn die Pandemie Erfolgsgeschichten schreibt: Der Online-Shop, den der Stoffhändler "Seemannsgarn" während des Corona-Lockdowns zunächst als Ersatz für das stationäre Geschäft gestartet hat, floriert – und ein Ende des Trends ist nicht in Sicht.

"Seemannsgarn"-Inhaberin Alena Seemann weiß, dass man im Einzelhandel heutzutage nicht mehr umhin kommt, sich zumindest einmal mit dem Thema Online-Shop zu beschäftigen. Eigentlich sei die Eröffnung eines solchen deshalb bereits seit einigen Jahren angedacht gewesen, berichtet ihr Mann Patrik Seemann. "Aber nach dem Umzug des Geschäfts von der Hegelstraße in die Kirchstraße waren wir ständig mit dem Wachstum des Ladens beschäftigt." Das Thema Online-Handel sei dabei erst einmal hinter dem Tagesgeschäft zurückgetreten und fast ein wenig in Vergessenheit geraten. "Und dann kam Corona", erinnert er sich – und mit der Pandemie auch der Lockdown im März, von dem "Seemannsgarn" wie viele andere stationäre Geschäfte betroffen war. "Da dachten wir: ›Wenn nicht jetzt, wann dann?‹"

Kunden aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz

Danach ging es recht schnell. Am 17. März trat die Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg in Kraft; Ende März ging der "Seemannsgarn"-Online-Shop ans Netz. "Damit wollten wir erstmal vor allem die Kunden aus Villingen-Schwenningen und Umgebung ansprechen", erklärt Patrik Seemann, "denn die konnten ja nicht mehr in den Laden kommen." Mittlerweile kommen die Besteller aus einem weitaus größeren Gebiet – das "Seemannsgarn"-Team verschickt Stoffe, Schnittmuster und Zubehör nach ganz Deutschland, nach Österreich und in die Schweiz.

Nach dem Lockdown durfte die "Seemannsgarn"-Filiale in der Kirchstraße gegenüber des Schwenninger Rathauses wieder öffnen – der Online-Shop, der bis dato als Ersatz für das stationäre Geschäft dienen musste, blieb aber dennoch erhalten. "Wir müssen das entweder richtig machen oder lassen", gibt Patrik Seemann die Überlegungen zu diesem Zeitpunkt wieder – für welche Variante man sich entschied, ist offensichtlich.

"Strukturen müssen wachsen"

"Und seitdem überrollt uns das so ein bisschen", meint Patrik Seemann. Für die Betreuung des Online-Shops habe man eigens fünf Stellen geschaffen und nutze aktuell zusätzliche Büro- und Lagerräume, denn "nur im Laden wäre das völlig undenkbar gewesen". Dennoch bereiten unter anderem Logistik und Lagerung Probleme, was Patrik Seemann vor allem auf die rasante Entwicklung des Online-Shops zurückführt. Dessen Umsätze hätten sich seit seiner Einführung im Schnitt monatlich verdoppelt. "Das ist eine extrem dynamische Entwicklung. Deshalb müssen wir jetzt noch einiges nachziehen. Viele Strukturen müssen einfach noch wachsen, weil bislang keine Zeit dafür war."

Und noch etwas hat sich ganz entscheidend verändert, erklärt Inhaberin Alena Seemann: die Kundengruppe von "Seemannsgarn". Natürlich würden – sowohl online als auch vor Ort in Schwenningen – nach wie vor diejenigen einkaufen, die bereits vor der Pandemie hobbymäßig genäht hatten. Doch mit Näh-Neulingen, die erst infolge der coronabedingten Maskenpflicht zum Nähen kamen, hat "Seemannsgarn" nun eine neue Kundengruppe dazugewonnen. Darüber freut Alena Seemann sich einerseits, andererseits bringe das aber auch "ganz neue Probleme" mit sich. Plötzlich habe sie zum Beispiel täglich ein Vielfaches an Gummibändern verkauft wie in einer Woche vor der Pandemie – und durch die hohe Nachfrage "kam man da kaum noch ran, egal bei welchem Zulieferer man nachgefragt hat".

Auch Masken sind ein Thema

Auch im Online-Shop sind Gesichtsmasken ein großes Thema. Hier verkauft Seemannsgarn neben Stoffpanelen, Gummibändern, Maskeneinlagen, die in den Mund-Nasen-Schutz eingenäht das Atmen erleichtern sollen, und Nasenbügeln auch speziell entwickelte, antimikrobielle "Shield Pro"-Stoffe für Gesichtsmasken. "Das ist momentan das Zugpferd unseres Online-Shops", stellt Patrik Seemann fest, denn der Ansturm auf Materialien, um selbst sogenannte Community-Masken zu nähen, sei auch Monate nach Ausbruch der Pandemie noch immer groß.

Und noch ein Trend stimmt Alena Seemann positiv: "Viele haben durch Corona auch wieder zum Nähen gefunden", schildert sie ihren Eindruck. "Um Gesichtsmasken zu nähen, haben sie ihre Nähmaschinen, die irgendwo rumstanden, herausgeholt und ein paar Masken genäht. Viele haben dann anscheinend entschieden, dass sie doch auch noch etwas Anderes ausprobieren wollen." Außerdem, meint Alena Seemann weiter, habe sie den Eindruck, dass das Thema Nähen auch in Kindergärten und Schulen wieder präsenter werde.

Mit den vielen Neukunden geht derweil auch eine erhöhte Nachfrage nach Beratung einher. "Einige Kunden kommen sicher zu uns ins Geschäft, weil sie wissen, dass da jemand vor Ort ist, der sie berät und der notfalls auch eine halbe Stunde mit ihnen durch den Laden läuft, bis sie das Richtige gefunden haben", meint Alena Seemann. Online sei das selbstverständlich nicht so einfach – wenn auch nicht weniger wichtig. Die fehlende persönliche Beratung müsse man dort eben durch Fotos und ausführliche Produktbeschreibungen ausgleichen – und wenn das nicht genug sei, "beraten wir auch telefonisch", erklärt Alena Seemann. Diese Erreichbarkeit ist für Patrik Seemann ein zentrales Merkmal des "Seemannsgarn"-Online-Shops, denn als Kunde wisse man genau, wer dahinter stehe. Kurzum: "Unser Online-Shop hat ein Gesicht."