Das Ehepaar Wiebke Dau-Schmidt und Jürgen Glökler (hinten) sowie Andreas Höhler und Babette Labryga halten das Olympia-Kino in Leutershausen am Laufen. Foto: Astrid Möslinger

Das Olympia-Kino im nordbadischen Leutershausen hat in 73 Jahren einige Krisen überlebt. Bis heute ist es ein Fixpunkt in dem 6000-Einwohner-Ort.

Das Olympia-Kino ist nicht zu übersehen. Mit seiner knalligen, kobaltblauen Fassade und den historischen Schaukästen sticht es zwischen den unscheinbaren Nachbarhäusern hervor. Sofort schwingt die Eingangstür auf. Andreas Höhler, ein 64-jähriger freundlicher Physiker mit Brille, bittet den Besuch herein.

 

Das enge Foyer ist ein 50er-Jahre-Museum: Das Schiebefenster vor der Kartenausgabe und die Eis-Werbung, die an der Scheibe klebt, sind original. Auch im Saal lebt die Nostalgie: Wände, die mit beigem, gefalteltem Stoff bespannt sind, gedämpftes Licht von dreieckigen Wandleuchten und einer Opa-Stehlampe, deren Schirm an einen umgedrehten Blumentopf erinnert. Dass alles genau so erhalten bleibt, dafür sorgen der Schatzmeister Höhler und die anderen Aktiven des Kino-Fördervereins. Einige von ihnen werden gleich eintrudeln: Babette Labryga sowie das Ehepaar Wiebke Dau-Schmidt und Jürgen Glökler.

Andernorts wurden die Dorfkinos geschlossen – das Olympia-Kino bleibt

Im Jahr 1952 eröffnete das Olympia. Es war von Anfang an ein angesagter Treffpunkt. „Die Leute wollten nach dem Krieg wieder auf andere Gedanken kommen“, sagt die Vereinsvorsitzende Wiebke Dau-Schmidt. Die pensionierte Lehrerin, zierlich und mit sportlichem Pagenschnitt, ist 74 und damit ein Jahr älter als das Kino.

In den Fünfzigern sprießten überall auf dem Land und in den Kleinstädten neue Filmtheater, auch in den Nachbargemeinden von Leuterhausen. In Schriesheim gab es eines, in Ladenburg sogar zwei und in Heddesheim flimmerten im ersten Stock eines Gasthauses Hollywood- und andere Träume über eine provisorische Leinwand.

Der erste Film im Olymia-Kino mit 15: Wenn der weiße Flieder wieder blüht

Jürgen Glökler, 85 Jahre alt und ebenfalls ein ehemaliger Lehrer, erinnert sich an seinen ersten Film mit 15: „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“, eine deutsche Schmonzette mit Romy Schneider als Teenager: „Das Kino war das Nonplusultra“, sagt er. „Diese kuschelige Atmosphäre, wenn es dunkel wurde.“ In Leutershausen konnten die Besucher noch nicht in plüschigen Sessel versinken, sondern harrten auf unbequemen Holzklappstühlen aus.

Trotzdem, das ist ortsbekannt, bahnte sich hier so manche Ehe an. Kinobesuche galten in der Nachkriegszeit als Rituale, die sich in das Gedächtnis dieser Generation eingeprägt haben. Auch im Olympia lebt die Erinnerung. Dass das Filmhaus mit heute 130 Plätzen zur Identität von Leutershausen gehört, wurde Wiebke Dau-Schmidt so richtig bewusst, als der Verein die Festschrift zu dessen 50. Geburtstag veröffentlichte. „Plötzlich haben mich ältere Herren auf der Straße angesprochen, die hier als Jugendliche Filme vorgeführt haben. Es muss ein aufregender Job gewesen sein, technisch sehr anspruchsvoll, weil zwei Projektoren zu bedienen waren.“ Trotz dieser Euphorie ist es vermutlich vor allem dem Engagement von ihr und ihrem Mann zu verdanken, dass das Olympia überhaupt noch existiert.

Viele Restaurants und Geschäfte haben in den vergangenen Jahren dichtgemacht. Das Olympia sorgt bis spätabends für Leben im Dorf. Foto: Astrid Möslinger

Aber der Reihe nach: In den Neunziger Jahren begannen die riesigen Multiplex-Tempel mit viel technischem Schnickschnack zu boomen. Die charmanten, aber veralteten Nostalgiekinos auf dem Land konnten da nicht mehr mithalten. Auch in Leutershausen brachen die Besucherzahlen drastisch ein. Die Gemeinde wollte die Miete des notorisch klammen Lichtspielhauses nicht mehr finanzieren. Wäre es wie in Schriesheim oder Ladenburg gelaufen, gäbe es das Olympia heute nicht mehr. Doch es kam zum Happy End.

„Mein Mann und ich wollten diesen Schatz nicht kampflos aufgeben“, sagt Wiebke Dau-Schmidt. Die Gymnasiallehrerin für Deutsch und Englisch war erst einige Jahre zuvor von Lübeck nach Leutershausen gezogen. „Ich war begeistert, dass es hier so etwas noch gab. Dort, woher ich komme, gab es in den Dörfern gar keine Kinos mehr.“

Eine Welle der Solidarität für das Olympia-Kino

Das Cineasten-Paar startete einen Spendenaufruf und löste eine Welle der Solidarität aus. Das Olympia wurde nicht nur gerettet, sondern mit Kleinkunst und Filmen jenseits von Blockbustern künstlerisch aufgewertet. Dennoch strauchelte der gewerbliche Betreiber 2007 erneut. Zum Glück hatten Dau-Schmidt und Glökler inzwischen einen Verein gegründet, der den Betrieb nahtlos übernahm. Aktuell arbeiten fünf Angestellte hier, während sich die Ehrenamtlichen um Programm, Organisation und Finanzen kümmern.

Vielleicht hat dieses Kino heute einen größeren Stellenwert für das Dorfleben als je zuvor. Leutershausen liegt 15 Kilometer nördlich von Heidelberg an der Bergstraße. Streng genommen ist es nur noch ein Ortsteil, seit es vor 50 Jahren mit Großsachsen zur Gemeinde Hirschberg verschmolzen ist. Die stark befahrene B 3 teilt es in zwei Hälften – auf der einen Seite erstrecken sich die Ausläufer des Odenwalds, auf der anderen breitet sich die Rheinebene aus. Viele Bewohner pendeln in die urbanen Zentren drum herum – nach Mannheim, Heidelberg, Darmstadt, Frankfurt. Geschäfte und Restaurants haben dichtgemacht, der Ortskern droht zu veröden. Und trotzdem, sagt Wiebke Dau-Schmidt, habe sich Leutershausen etwas Familiäres bewahrt. Mehr als zehn Prozent der Einwohner sind Mitglied im Förderverein, sichern so den Erhalt des Kinos.

Auf Babette Labryga, die Schriftführerin des Vereins, sprang der Cineasten-Virus ebenfalls sofort über. „2005 bin ich nach Leutershausen in eine Wohnung direkt gegenüber gezogen und fand es toll, dass es hier noch ein Kino gibt“, erzählt die 65-jährige Rentnerin. Schon bald arbeitete sie auf der anderen Straßenseite – als ehrenamtliche Kassenhelferin mit.

„Es ist wichtig, die Landkinos als Treffpunkte am Leben zu erhalten“, sagt Felix Bruder, der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Kino, einer Interessenvertretung unabhängiger kommerzieller Filmkunsttheater, am Telefon. In Bundesländern mit einer guten Förderstruktur wie in Baden-Württemberg gebe es auch kommerzielle Kinos auf dem Land, die gut überleben könnten, besser als anderswo. In Mecklenburg-Vorpommern sind es häufig Filmclubs, die am Wochenende ehrenamtlich Filme in stillgelegten Kinosälen zeigen.

Ladies Nights und Bademäntel zu „Big Lebowski“ im Olympia-Kino

Die Olympia-Betreiber kamen bis auf die Corona-Zeit ohne Subventionen aus. Und obwohl das Haus von Ehrenamtlichen getragen wird, kann es täglich ein Programm bieten. Die Macher profitieren vom Zusammenhalt im Dorf und dem Ideenreichtum der Vereinsmitglieder. Ein paar Beispiele: Die Pfadfinder haben vor Jahren ein Podest gebaut, auf dem das Klavier für die Kleinkunst- und Stummfilmvorstellungen steht. Die Handballer gestalteten die blaue Fassade.

Und nicht zuletzt ist da die Programmgruppe, die mit originellen Einfällen der mächtigen Streaming- und Großkino-Konkurrenz trotzt. Beim Schlemmerkino etwa wird ein dreigängiges Menü zum Film serviert. Bei den Ladies Nights gibt es Margaritas, Daiquiris und Pina Coladas. Zu James-Bond-Filmen wurde schon Craft-Bier ausgeschenkt und zu „The Big Lebowski“ durfte das Publikum im Bademantel kommen.

Dem Retro-Gefühl wird bei der Präsentation von alten 35-Millimeter-Filmen gehuldigt. Wenn Oldie-Time ist, wirft der Vorführer den alten Projektor an. „Er hat den Umgang damit von seinem Vater gelernt, der hier auch schon Vorführer war“, sagt Jürgen Glökler. Im regulären Betrieb wird allerdings nicht auf die digitale Technik verzichtet, das wäre dann doch zu retro.