Fliegen dem Ziel entgegen: Die Skicrosser Jean Frédéric Chapuis, Arnaud Bovolenta, Jonathan Midol (alle Frankreich) und Brady Leman (Kanada/v. li.) im olympischen Finale Foto: EPA

Die deutschen Skicrosser sind bei den Winterspielen in Russland leer ausgegangen – gemeinsam mit ihren internationalen Kollegen boten sie aber eine richtig gute Show.

Sotschi - Die Athleten befanden sich in einer Senke, sie waren nicht zu sehen, doch es war laut im Rosa Khutor Extreme Park. Dann tauchten sie auf, flogen ein letztes Mal durch die Luft – und als sie landeten, war der Lärm noch viel größer. Die Menschen schrien, sie klatschten, und wer eine Fahne zur Hand hatte, schwenkte sie wie wild. Es gab nicht viele dieser Momente nahe der Ekstase bei den Olympischen Winterspielen von Sotschi. Aber es gab ja auch kaum solch kuriose Szenen. „Aber so“, sagten später alle Beteiligten, „ist eben unser Sport.“

Ihr Sport heißt Skicross. Und ist mitunter unberechenbar.

Es war das erste Viertelfinale der Herren am Donnerstag, das den Beweis dieser These lieferte. Vier Rennläufer waren gleichzeitig auf die Strecke gegangen. Als sie nach zahlreichen Wellen, Steilwandkurven und Schanzen dem Ziel näher kamen, waren drei vorneweg, der Schweizer Armin Niederer fuhr abgeschlagen hinterher. Dann der letzte Sprung, ein Wahnsinnssatz, der Schwede Victor Oehling kommt zu Fall, der Russe Egor Korotkow auch, der Finne Jouni Pellinen ebenso. Niederer lacht sich eins, kann ausweichen, ist im Ziel der Erste und damit ebenso qualifiziert fürs Halbfinale wie der Zweitplatzierte. Aber wer ist’s?

Drei Läufer liegen nahe der Ziellinie im Schnee, einer reißt geistesgegenwärtig den Arm nach vorn, erreicht so die Lichtschranke. Er ist Zweiter, es ist der Russe – und das Volk tobt.

Slopestyle war cool und hip, der Wettkampf in der Halfpipe flippig und spektakulär. Skicross aber muss sich vor den alpinen Neuankömmlingen im olympischen Programm nicht verstecken. Im Gegenteil: Vor vier Jahren, bei der Premiere in Vancouver, schaffte es der Vierkampf auf Ski direkt zum Publikumsliebling – in Sotschi wurde dieser Eindruck bestätigt. Weil sich der Sport noch mal weiterentwickelt hat. „Das Niveau ist in den vergangenen vier Jahren extrem gestiegen“, sagt Andreas Schauer, „früher war das eine Gaudi-Veranstaltung, jetzt fahren 30 Leute um den Sieg.“ Den 28-Jährigen aus Bad Tölz ereilte das Aus im Viertelfinale, obwohl er hinterher sagen konnte: „Ich war gut drauf, das Training lief top.“ Aber, wie gesagt: Das muss gar nichts heißen im Skicross.

Die drei an der Ziellinie Gestrandeten haben sich mittlerweile aufgerappelt, die Fans sind noch immer aus dem Häuschen. Klar, wegen ihres Landsmannes. Aber auch weil diese Mischung fasziniert. Skicross ist rasant, ist spektakulär, auch mal gefährlich – und die, die sich auf die Strecke stürzen, sind echte Kerle. So wie Alex Fiva.

Der Schweizer ist einer der besten Skicrosser der Welt, nebenbei steht er auch im Kader der Calanda Broncos – im American Football. Sein Körper scheint bereit, Bodychecks jeglicher Art wegzustecken, auch Stürze und knallharte Landungen. Aber das Leben als Skicrosser ist ein forderndes. Auch dafür ist Fiva ein gutes Beispiel.

Seine Bandscheiben sind seit Jahren lädiert, den Zeitlauf am Donnerstagmorgen bricht er ab, geht zurück ins olympische Dorf, er braucht Massagen, zum eigentlichen Rennen kehrt er zurück. Sein Landsmann Michael Schmid verpasst es ganz. Schmid war 2010 der erste Olympiasieger der Sportart, hatte davor aber schon einen Kreuzbandriss erlitten. Seitdem sind noch mal drei dazugekommen. Zwei links, zwei rechts, kurz vor dem Rennen von Sotschi ist ihm eines der eingesetzten Implantate wieder gerissen. Brady Leman, der Kanadier, brach sich einen Tag vor den Spielen von Vancouver das Bein. Scott Kneller, der Australier, ist nach einem vierfachen Wirbelbruch erst vor elf Tagen gesundgeschrieben worden – am Donnerstag scheiterte er in Runde eins. Womöglich hat er unterbewusst ein bisschen zurückgezogen. Und es anders gemacht als die Franzosen.

„Die haben Sportler, die immer am Limit fahren“, sagt Heli Herdt, der Sportliche Leiter der Freestyle-Sparte im Deutschen Skiverband (DSV). Das bedeute nicht, dass sie unfair wären. Aber sie riskieren viel – was mal belohnt wird und mal nicht. In Sotschi stehen sie am Ende des Wettbewerbs zu dritt auf dem Podest. Der beste Deutsche, Florian Eigler, scheiterte im Halbfinale und wurde Achter. War das DSV-Quartett zu brav?

„Sicher nicht“, sagt Heli Herdt, der allen vier Deutschen bescheinigt, das Risiko gesucht zu haben. Doch mal war der Moment nicht der richtige, mal war die Lücke zu schnell wieder zu. Aber er sagt: „Ich bin guter Dinge.“ Das Team sei jung, motiviert, und weitere vier Jahre würden den Athleten guttun. „Wir sind noch nicht am Ende der Entwicklung“, sagt Herdt. Auch Egor Korotkow (28) bleiben noch weitere Chancen.

Allerdings: Die Möglichkeit, bei olympischen Heimspielen eine Medaille zu gewinnen, ist ungenutzt vorübergegangen an dem Russen. Dem glücklichen Weiterkommen im Viertel- folgte das Aus im Halbfinale. Es ist dann leiser geworden im Rosa Khutor Extreme Park. Aber nur ein bisschen.