Im Kofferraum dieses Wagens wurde Chloé gefangengehalten. Foto: dpa

Entführtes 15-jähriges Mädchen hinterlässt bei Befreiern in Deutschland bleibenden Eindruck.

Offenburg - Die 15-jährige Chloé rührt selbst hartgesottene Ermittler zu Tränen. „Wir haben großen Respekt vor diesem Mädchen. Mit ihrer Tapferkeit hat sie uns alle beeindruckt“, sagt ein Polizeibeamter am Montag im badischen Offenburg. „Wir werden sie nicht vergessen.“ Den deutschen Polizisten ist durch Zufall der Entführer ins Netz gegangen. Chloé fanden sie im Kofferraum. Sie ist bereits wieder daheim in Südfrankreich. Ihre Geschichte fasziniert Frankreich. Und hinterlässt Spuren in Deutschland.

Deutsche und französische Polizisten präsentieren am Montag erstmals Einzelheiten eines Entführungsfalls, der nicht nur in Frankreich für Aufsehen sorgt. Am Freitag war der Entführer durch Zufall im Schwarzwald der Polizei ins Netz gegangen. Doch erst nach dem Wochenende wir klar, wie dramatisch die Entführung wirklich war. Die Polizisten erzählen eine Geschichte, die unfassbar klingt.

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Im Zentrum die 15 Jahre alte Chloé aus dem Dorf Barjac bei Nîmes in Südfrankreich. In der Nähe ihres Elternhauses fährt sie am 9. November mit dem Motorroller ihrem Entführer über den Weg. Der 32-jährige Franzose, vorbestraft unter anderem wegen eines Sexualdelikts, ist erst im September aus dem Gefängnis entlassen worden. Fünf Jahre saß er dort. Er ist auf der Suche nach einem Opfer. Chloé ist zur falschen Zeit am falschen Ort.

Die Entführung dauert eine Woche. Der Mann fährt mit dem Mädchen in dieser Zeit quer durch Frankreich, nach Italien und mindestens zweimal nach Deutschland. Chloé muss die meiste Zeit im Kofferraum liegen. Übernachtet wird im Auto, abgestellt in Wäldern und auf abgelegenen Feldwegen. Zur Frage, ob es zu sexuellen Übergriffen kommt, will sich die Polizei nicht äußern. Auch zum Schutz des Mädchens, das nun an einem geheimen Ort ist. Das Medieninteresse in Frankreich ist gewaltig.

Äußerliche Verletzungen hat Chloé, bis auf einige Blutergüsse an der Hand, nicht. „Sie hat erzählt, dass sie Todesängste durchlitten hat“, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Herwig Schäfer. Sie unternahm keinen Versuch, sich zu befreien. „Die Angst, sich zu verirren und nicht gefunden zu werden, war zu groß.“ Stattdessen unterhält sie sich viel mit ihrem Entführer, sucht das Gespräch. Eltern und Angehörige warten derweil auf ein Lebenszeichen. Vergeblich. Von der 15-Jährigen fehlt jede Spur.

15-Jährige wirkte äußerst stark

Bis zum Freitag. Weil er ein Auto aufbricht und dabei entdeckt wird, geht der Entführer der Polizei ins Netz, das Mädchen ist frei. „Wir haben ein Mädchen vorgefunden, das zwar verstört, aber äußerst tapfer war“, sagt der Chef der Offenburger Kriminalpolizei Roland Haug. „Sie hat präzise geschildert, was passiert ist.“ Für eine 15-Jährige habe sie äußerst stark gewirkt. Noch am gleichen Tag stellt sie sich einer zweistündigen Vernehmung. „Die Erinnerung an ihre Eltern und an die Familie haben ihr Kraft gegeben. Aus ihr hat sie gezehrt.“ Sie hat sie es den Polizisten erzählt. Sie sind noch immer beeindruckt. „Zu sehen, wie eine große Last von den Schultern dieses Mädchens fällt, hat uns zu Tränen gerührt“, sagt der erfahrene Ermittler.

„Wir konnten ein Menschenleben retten“, sagte der Chef der Offenburger Polizei, Reinhard Renter. Seine Polizisten und er erhalten seit dem Wochenende Dankesbriefe aus ganz Frankreich. Chloé wollte nach ihrer Befreiung nur eins: schnell nach Hause zu den Eltern und der Familie. Ihre Schwester erwartet in den nächsten Tagen ein Kind, Chloé will die Geburt nicht verpassen.

Der Täter soll nun nach Frankreich ausgeliefert werden. Dort droht ihm eine Anklage wegen Geiselnahme und Entführung. Seit er mit einem Rechtsanwalt gesprochen hat, äußert er sich nicht mehr. Sein Motiv bleibt daher vorerst ein Rätsel.

Martin Weinzierle und Helmut Schmälzle haben den Täter am Freitag festgenommen. Die beiden Beamten arbeiten beim Polizeiposten im ländlich geprägten Oppenau bei Offenburg. Nachdem die Handschellen klickten, klopfte es plötzlich aus dem Kofferraum. Die Polizisten öffneten und fanden Chloé. „Das ist ein Augenblick, den ich nicht vergessen werde“, sagt Weinzierle. „Es ist ein bleibender Eindruck“, sagt sein Kollege Schmälzle. Chloé haben sie in ihr Herz geschlossen.

Zur Heldin machen wollen sie das Mädchen nicht. „Sie sollte nun in Ruhe ihren Alltag wieder leben können“, sagt Weinzierle.