Wer die "Spurensuche ohne Anzeige" in Anspruch nehmen möchte, geht in die Frauenklinik am Ebertplatz in Offenbug. Foto: Deckert

Frauenklinik in Offenburg untersucht Frauen, Männer und Kinder – und bewahrt mögliche Beweise zehn Jahre lang auf.

Offenburg - Der Schritt zur Polizei fällt vielen Vergewaltigungsopfern schwer. Um ihnen Zeit zu geben und dennoch wertvolle Spuren zu sichern, bietet die Frauenklinik des Ortenau-Klinikums Offenburg-Gengenbach "Spurensicherung ohne Anzeige" an.

Sobald die Polizei mitbekommt, dass ein Mensch sexuell missbraucht wurde oder dass ihm sexuelle Gewalt angetan worden ist, müssen die Beamten ermitteln. So will es das deutsche Gesetz.

"Das Opfer ist in einer ganz fragilen emotionalen Situation, und es ist eigentlich eine Zumutung, dann so detailliert befragt zu werden", erklärt Matthias Rombach, stellvertretender Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Offenburg. Die Behörden sind damit in einer Zwickmühle: Einerseits brauchen sie sofort so viele Informationen über die Tat wie möglich, wollen Spuren sichern, den Ablauf bis ins kleinste Detail wissen, das Opfer ärztlich untersuchen lassen, DNA-Material sicherstellen.

Auf der anderen Seite können sie die Frau, den Mann oder das Kind dadurch noch stärker traumatisieren. Denn: "Vergewaltigungsopfer empfinden ganz oft Scham, Angst, Furcht sowie Schuldgefühle und sehen sich mit dem Vorwurf der emotionalen Ächtung konfrontiert", führt Rombach aus. "Aber auch der Beschuldigte hat Rechte – und solange eine Tat nicht bewiesen ist, gilt die Unschuldsvermutung." Ein Spagat, der von den Ermittlern viel Fingerspitzengefühl verlangt.

Opfer entscheiden sich oft gegen Anzeige

Der ganze Aufwand, die vielen Fragen, die polizeilichen Ermittlungen – das alles halte viele Opfer ab, ihre Peiniger anzuzeigen. "So eine Ermittlung dauert ihre Zeit – viele haben Angst, dass sie das emotional und gesellschaftlich nicht durchstehen und entschließen sich dazu, nicht anzuzeigen", bedauert Rombach. Vor allem, wenn der Täter im Kollegen- oder Familienkreis zu finden ist. "Gerade wenn ein Täter aus dem sozialen Umfeld stammt, also bekannt ist, ist es schwierig, eine Vergewaltigung objektiv zu beweisen", sagt Rombach.

Beispielsweise Vergewaltigungen in der Ehe. "Ob der Geschlechtsverkehr einvernehmlich war oder nicht, lässt sich objektiv nur schwer beweisen. Gerade dann ist eine schnellstmögliche detaillierte Untersuchung und Befragung des Opfers wichtig", sagt der Staatsanwalt. Das sind aber genau die Fälle, in denen sich die Opfer oft gegen eine Anzeige entscheiden.

Genau an diesem Punkt setzt das Angebot der Frauenklinik am Ebertplatz in Offenburg an. Seit vergangenem Sommer bietet die Abteilung "Spurensicherung ohne Anzeige" an. "Bisher lief das so ab, dass die Polizei mit einem Opfer sexueller Gewalt zu uns kam und wir im Auftrag der Polizei die gynäkologische Untersuchung vornahmen«, erklärt Michael Schröder, Gynäkologe am Ortenau-Klinikum Offenburg-Gengenbach und Verantwortlicher des Projekts. Jetzt könne die Untersuchung auch im Auftrag der Opfer vorgenommen, so Schröder. Es würden Spuren gesichert, um den Täter später anzeigen zu können.

Und das geht so: Das Opfer kommt in die Frauenklinik, fragt im Sekretariat der Ambulanz nach einem Arzt, der die Untersuchung in einem Raum am Ende des Flurs vornimmt. Dort lagern kleine, unscheinbare braune Kartons mit der Aufschrift: 2Untersuchungsset nach Sexualdelikten". In diesem Set enthalten ist eine detaillierte Anleitung, wie die Untersuchung zu erfolgen hat – und mehrere Tüten mit allen dafür notwendigen Dingen liegen ebenfalls bereit: ein Maßband, viele kleine Tüten, um Fingernägel und Haarproben zu lagern, ein Kamm, Kanülen, DNA-freie Abstriche sowie braune Tüten, um Kleidungsstücke und Schuhe zu aservieren. Denn genau das passiert mit den Beweisen – sie werden eingelagert. All die Proben, die am Opfer genommen werden, all die Fotos von Verletzungen, blauen Flecken oder Rötungen, die gemacht werden, bleiben zehn Jahre abrufbar.

Zehn Jahre, in denen das Opfer sich überlegen kann, ob es Anzeige erstatten möchte. Wenn das der Fall ist, erlaubt es der Polizei mittels eines Schreibens, die Box aus dem Klinikum zu holen und die Spuren darin auszuwerten. Das Krankenhaus liefert dazu die Untersuchungsergebnisse, etwa Röntgenbilder oder Auswertungen von Blutproben.

Es geht den Verantwortlichen im Ortenau-Klinikum nicht nur darum, Spuren zu sichern, sie wollen auch Gesundheitsförderung leisten. "Wir wollen, dass für die Opfer mit einem Aufenthalt alles geregelt ist", sagt Schröder. "Wichtig ist vor allem die Infektionsprophylaxe und bei Frauen die Verhütung einer ungewollten Schwangerschaft." Wenn das Opfer immer wieder zu Ärzten geschickt würde und zwischen den Untersuchungen Wartezeiten lägen, dann müsse es immer und immer wieder den Grund für die Untersuchung erklären, werde immer wieder an alles erinnert. Ein Alptraum.

Wichtig ist dem Experten, dass dieses Programm in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und dem Polizeipräsidium Offenburg entstanden ist – und nicht verhindern soll, dass Opfer die Täter vor Gericht bringen. Im Gegenteil: "Wir hoffen, dass die Zahl der Anzeigen dadurch steigt – denn die Opfer bekommen durch die schnelle Sicherung der Spuren danach Zeit zum Nachdenken, um sich bei Hilfsorganisationen beraten zu lassen – und können sich auch noch Jahre später, wenn sie psychologische Hilfe bekommen haben, für eine Anzeige entscheiden", führt Schröder aus.

Das gelte für Frauen und Männer. Denn: Auch Männer, die Opfer von sexuellem Missbrauch werden, können sich in der Frauenklinik untersuchen lassen. Grund: Die Untersuchung brauche Menschen, die dafür geschult sind. "Wenn wir bei männlichen Opfern Unterstützung anderer Fachärzte brauchen, holen wir einen Kollegen dazu", erklärt Schröder. Kinder würden in der Kinderschutzambulanz behandelt – die Experten dort holten sich dann Unterstützung aus der Frauenklinik, sollte das notwendig sein.