Prostitution hat für betroffene Frauen gravierende körperliche und seelische Folgen. Foto: Arnold

Psychologin aus Offenburg spricht über körperliche und seelische Folgen für die Frauen

Offenburg - Die Psychologin Anke Precht behandelt in Offenburg auch ehemalige Prostituierte. Sie hat daher einen tiefen Einblick in das Seelenleben der gebeutelten Frauen. Sie weiß um die Probleme der Sex-Arbeiterinnen, wie sie ticken und was sie bewegt.

Wie viele Ex-Prostituierte sind schon zu Ihnen die Praxis gekommen?

Es waren in den vergangenen Jahren etwa 15. In der Regel für wenige Sitzungen. Sie haben sich überwiegend außerhalb der Ortenau prostituiert, Stuttgart, Hamburg, aber auch kleinere Städte. Die meisten Frauen suchen sich ab ihrem Ausstieg einen neuen Wohnort, und meist suchen sie auch erst dann nach psychologische Hilfe. Vorher sind andere Fragen drängender.

Warum suchen die ehemaligen Prostituierten Ihre Hilfe?

Sie kommen nicht wegen der Prostitution zu mir, weil sie ihren seelischen Zustand als völlig normal akzeptieren. Sie kommen in der Regel auch nicht, während sie noch in der Prostitution sind, sondern später. Sie suchen mich eher auf, weil sie in einem anderen Bereich nicht mehr richtig funktionieren. Zum Beispiel, wenn sie Beziehungsprobleme haben oder keine Liebe für ihre Kinder empfinden können, für die sie emotional weder anwesend noch zugänglich sind.

Welche Symptome haben die Frauen?

Die Frauen wirken wie abgetötet, sie spüren sich selbst nicht mehr. Das ist ein psychisches Überlebensprogramm, wie es zum Beispiel auch bei Vergewaltigungsopfern oder Kriegsheimkehrern vorkommt. Sie laufen herum wie Zombies, sie sind wie auf Dauer betäubt. Ohne fremde Hilfe kommen sie oft nicht mehr auf die Füße. Die schlimmste Erkenntnis für mich war, zu sehen, was Prostitution mit den Frauen macht. Sie bewirkt eine riesige Verachtung gegen Männer jeglicher Art. Die Frauen sind komplett desillusioniert, zynisch, obwohl sie erst einmal sehr taff wirken. Die Frauen sind auch für die Liebe zerstört. Das finde ich sehr dramatisch.

Leiden die Frauen auch unter körperlichen Folgen?

Ja, die Prostituierten haben teils schwere Verletzungen im Genitalbereich. Es kommt nicht selten vor, dass vor dem Behandlungszimmer der Zuhälter wartet, der die Frauen sofort wieder mitnimmt. Dazu kommen natürlich die Folgen von Drogen und Alkohol. Es gibt viele Prostituierte, die Drogen konsumieren – das aber nicht immer freiwillig.

Solche Verletzungen kommen von den Freiern?

Die Freier werden immer gewalttätiger und brutaler. Manche von ihnen bringen Pornofilme mit, die sie eins zu eins umsetzen möchten. Manche verspüren Befriedigung, wenn sie ihre Faust in den Anus oder in die Vagina einführen. Manche inszenieren Massenvergewaltigungen. Dabei sind viele Freier in einer Partnerschaft. Mit der Prostituierten können sie Fantasien ausleben, die ihre eigene Partnerin niemals akzeptieren würde. Es geht dabei häufig nicht eigentlich um Sex – sondern um Macht. Wenn man jeden Tag wie Dreck behandelt wird, fühlt man sich wie Dreck. Das ist die Realität, die Prostituierte tagtäglich erleben.

Manche sagen, dass sich die Frauen freiwillig prostituieren.

Wenn eine Frau 20 Mal am Tag Sex hat, hört der Spaß für jede Frau auf. Das macht doch niemand freiwillig. Anfangs prostituieren sich viele aus Liebe zu ihrem Freund, der vorgibt, dass er dringend Geld braucht. Das ist der klassische Einstieg für deutsche Frauen. Wenn die Frauen erst einmal drin sind, merken sie, sie sind nicht die ersten und nicht die einzigen. Teils prostituieren sich Frauen auch, um ihre Sucht zu finanzieren: Man kann ja nicht mal eben zu Mama und Papa und fragen, ob sie 1000 Euro für Heroin haben. Ein großer Anteil der Prostituierten ist mit Menschenhändlern nach Deutschland gekommen und wird zu ihrer Arbeit gezwungen.

Was können die Frauen gegen ihre Situation tun?

Aussteigen. Am besten an einen anderen Ort ziehen, dort erst einmal in ein Frauenhaus, das Schutz gewährt und psychosoziale Unterstützung. Oft haben diese Frauen keinen Beruf, müssen erst Möglichkeiten finden, sich ihren Lebensunterhalt außerhalb der Szene zu finanzieren. Und dann irgendwo leben, wo niemand ihre Vergangenheit kennt. Denn eine Frau, die prostituiert war, wird immer noch stigmatisiert.

Hört sich ja ganz einfach an.

Frauen, die zwangsprostituiert sind, haben die Chance auszusteigen oft gar nicht. Sie stehen unter Bewachung, eine Flucht ist schwer oder unmöglich. Sie kennen sich nicht aus, weil sie alle paar Wochen in ein anderes Bordell gebracht werden und haben außerhalb des Milieus keine Kontakte. Oft wissen sie: Wenn ich fliehe, passiert jemandem aus meiner Familie etwas. Deshalb halten sie ja auch so loyal zu ihren Peinigern. Zwangsprostituierte sollten, wenn sie doch fliehen können, sofort zur Polizei gehen. Genau das schaffen sie aber häufig nicht, weil ihnen die Zuhälter Angst vor der Polizei gemacht haben, ihnen gesagt haben, sie würden bestraft, weil sie illegal seien oder sofort abgeschoben.   Die Fragen stellte Alexander Kauffmann.

Info: Das sagt die Polizei

Im Ortenaukreis gibt es nach offiziellen Angaben des zuständigen Polizeipräsidiums Offenburg kaum Fälle von Zwangsprostitution und Menschenhandel. Aber: "Wir gehen davon aus, dass es eine Dunkelziffer gibt", sagt Polizeisprecherin Karen Stürzel auf Nachfrage unserer Zeitung. Im Wesentlichen beschränkten sich die Kontrollen im Kreis auf Personen und Objektüberprüfungen. Indes gelten die Landkreise in Grenznähe zu Frankreich als besonders anfällig für Menschenhandel und Zwangs-Prostitution, weil der Betrieb von Bordellen im Nachbarland – anders als in Deutschland – verboten ist.