Wenn es Familien am Geld fehlt, kann sich das ganz unterschiedlich zeigen: So fehlt es manchmal am Schulheft, an Stiften oder auch nur an Hausschuhen – für Kinder, die so das Gefühl haben ausgeschlossen zu werden, besonders schmerzlich. Foto: Charisius

Soziales: Präventionsnetzwerk will sensibilisieren / Rund 6000 Ortenauer Minderjährige leben von "Hartz IV"

Ortenau - Zu kleine Schuhe, fehlende Hefte, kein richtiges Vesper – Kinderarmut kann sich vielfältig äußern. Eine neue Fortbildung des Präventionsnetzwerks Ortenau soll Fachkräften in Schulen und Kitas helfen, Zeichen zu erkennen und Angebote aufzuzeigen.

Anspruchsberechtigte wissen nicht Bescheid

"Wir sind auf keiner Insel der Glückseligen: Im Kreis haben wir im Baden-Württemberg-Vergleich eine relativ hohe Quote von Kinderarmut im Sinne von Kindern in Bedarfsgemeinschaften", erläutert Ullrich Böttinger, Leiter des Amts für Soziale und Psychologische Dienste, Pressevertretern am Montagmorgen bei einer Online-Videokonferenz. Rund 6000 Kinder im Kreis lebten im März in Familien, die Leistungen des Jobcenters bezogen haben, berichtet Frank Hügel, stellvertretender Leiter der Kommunalen Arbeitsförderung.

Das sogenannte Hartz IV sichere die Existenz, vieles bleibe aber gerade für die Kinder auf der Strecke – mit weitreichenden Konsequenzen für Gesundheit sowie Entwicklungs- und Bildungschancen. "Das zieht sich durchs ganze Leben, am Ende kommt sogar eine verminderte Lebenserwartung bei Frauen von acht Jahren und Männer von zehn Jahren heraus", betont Böttinger.

Dabei hat der Gesetzgeber für Familien mit Kindern in finanzieller Not durchaus Hilfen vorgesehen. Das Bildungs- und Teilhabepaket etwa unterstütze bei Schulausflügen, Klassenfahrten, Schulmaterialien, Nachhilfe, Mittagessen in der Schule sowie beispielsweise auch bei Vereinsbeiträgen, erläutert Hügel.

Doch viele Anspruchsberechtigte wüssten darüber gar nicht Bescheid, andere würden sich auch aus Scham nicht melden. Auch Bezieher von Asylleistungen, Wohngeld oder Kinderzuschlägen seien etwa berechtigt, so Hügel. "Ganz viele Menschen haben das Anrecht auf das Angebot und nehmen es nicht in Anspruch", bedauert Böttinger. Familien falle es auch häufig nicht leicht, zuzugeben dass es ihnen finanziell nicht gut geht.

Ein weiteres Problem sei, dass Armut als Ursache von Schwierigkeiten in Schule und Kitas von Lehrern und Betreuern oft nicht erkannt werde, so Böttinger. Fachkräfte im Kreis sollen deswegen nun besonders für das Thema Kinderarmut sensibilisiert werden, um so in der Lage zu sein Hilfsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Projekt "Aktiv und gemeinsam gegen Kinderarmut und für Kindergesundheit"

Grundlage dafür seien die Erfahrungen aus dem jetzt zu Ende gehenden Projekt "Aktiv und gemeinsam gegen Kinderarmut und für Kindergesundheit", das durch das Sozialministerium gefördert worden war. Das Präventionsnetzwerk Ortenau (PNO, siehe Info) hatte in den vergangenen zwei Jahren mit Hilfe der Projektstandorte in Lahr und Offenburg sowie dem Projektpartner Kommunale Arbeitsförderung an Strategien zur Bekämpfung der Kinderarmut gearbeitet.

Herausgekommen sind neben verschiedenen beispielhaften, kleineren Maßnahmen in Schulen und Kitas, eine generelle Handreichung für die Einrichtungen sowie eine Fortbildung "Armutssensibles Handeln in Kita und Schule". Die Infos und das Weiterbildungsangebot sollen nun – auch nach Ende der Förderzeit – allen Einrichtungen im Kreis mit Kindern bis zum Alter von zehn Jahren angeboten werden, so Böttinger.

"Das Thema ist so wichtig und grundlegend, dass man es jetzt nicht einfach beenden kann." Extrakosten für den Kreis entstünden nicht, da das Angebot in das PNO integriert werde. Die Fortbildung wird zudem von einigen Krankenkassen unterstützt, so der Amtsleiter, vor allem der Technischen Krankenkasse und der AOK. Für den heutigen Dienstag ist eine große Info-Veranstaltung für die Kitas und Schulen im Kreis geplant.

Beispiele, wie Schulen mit dem Thema Armut umgehen können, liefern unter anderem die Projektbeteiligten Birgit Volk, Sozialarbeiterin an der Luisenschule in Lahr, und Marius Kern, stellvertretender Leiter des Horts an der Luisenschule. "Wir haben im Hort festgestellt, dass es vielen Kindern an Schulmaterialien fehlt", berichtet Kern. Die Lösung: Ein Tauschregal – jeder Schüler kann etwas hineintun und dafür etwas nehmen, was er braucht. "Man kann zum Beispiel ein Heft gegen einen Radiergummi tauschen." Das Regal sei für alle zugänglich, sodass sich niemand schämen müsse hinzugehen. "Das Tauschregal wird wunderbar von den Kindern angenommen", betont Kern.

Anzeichen richtig erkennen

Armut in den Familien könne man an vielen Kleinigkeiten erkennen, berichtet Birgit Volk bei der Pressekonferenz am Montag. "Oft an der nicht dem Wetter oder der Jahreszeit entsprechenden Kleidung, an Schuhen die nicht richtig passen weil sie von Geschwistern aufgetragen werden, oft auch am Vesper mit billigem Toastbrot", berichtet die Sozialarbeiterin an der Luisenschule Lahr aus ihrem Arbeitsalltag.

Häufig fehle es am Schulmaterial. Corona habe die Situation gar verschärft. Kinder aus ärmeren Verhältnissen würden beispielsweise tendenziell dick, beobachte sie derzeit, oft seien sie auch sehr blass. Wenn andere Kinder von ihren Urlauben erzählten, würden von Armut betroffene Schüler oft sehr still.