Aktuell liegt die Ortenauer Inzidenz seit mehreren Tagen höher als 100, deshalb droht jetzt die sogenannte Notbremse. Landrat Frank Scherer schwebt für den Ortenau eine Modellrolle vor, die baldige Öffnungen verspricht. Symbolfoto: Soeder Foto: Lahrer Zeitung

Pandemie: Bund-Länder-Beschlüsse lassen Raum für "Modellprojekte" / Landrat mit OBs in Abstimmung

Bund und Länder haben den Oster-Lockdown beschlossen. Im Ortenaukreis schaut man schon weiter. Landrat Frank Scherer sieht die Chance auf baldige Öffnungen, wenn die Region zum "Modellprojekt" wird. Argumente liefert er schon mal.

Ortenau. "Ich begrüße es, dass sich der Blick etwas geweitet hat und zumindest für die Zukunft ins Auge gefasst wird, sich nicht mehr ausschließlich am Inzidenzwert zu orientieren, sondern auch der hoffentlich nun Fahrt aufnehmende Impffortschritt und Teststrategien berücksichtigt werden sollen", kommentiert Scherer die Ergebnisse der Bund-Länder-Konferenz am Dienstagabend. "Dennoch hätte ich mir hinsichtlich der bestehenbleibenden und nun ja sogar noch weitergehenden Grundrechtseinschränkungen schon jetzt eine differenziertere Betrachtung gewünscht."

Gut findet der Landrat, dass Modellprojekte in einzelnen Regionen ermöglicht werden sollen, um mit strengen Schutzmaßnahmen und einem Testkonzept einzelne Bereiche des öffentlichen Lebens schneller wieder zu öffnen. "Mit den Oberbürgermeistern der Großen Kreisstädte bin ich dazu bereits im Austausch, ob und wie wir ein solches Projekt im Ortenaukreis realisieren können, um die von uns allen befürworteten Öffnungsschritte baldmöglichst gehen zu können", so Scherer. Könnte der Ortenaukreis damit möglicherweise auch die nun geforderte "konsequente Umsetzung der Notbremse" umgehen?

Steigt die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner an drei aufeinander folgenden Tagen in dem Land oder der Region auf mehr als 100, treten ab dem zweiten darauffolgenden Werktag die Regeln, die bis zum 7. März gegolten haben, wieder in Kraft, besagt die "Notbremse"-Regel konkret. Die Sieben-Tage-Inzidenz in Baden-Württemberg liegt landesweit mit 101,9 seit Samstag wieder über dem Schwellenwert. Fast parallel dazu stieg die Inzidenz in der Ortenau am Sonntag über die 100er-Marke und liegt aktuell bei 109,8.

Das würde für den Landkreis bedeuten: Die nächtlichen Ausgangssperren kehrten zurück und darüber hinaus werden die Kontaktbeschränkungen wieder verschärft – so weit den Ortenauern bereits vertraut. Hinzu kämen als neue Regelungen: Für Bereiche, in denen die Einhaltung von Abstandsregeln und konsequente Maskentragen erschwert sind, sollen tagesaktuelle Schnelltests verpflichtend werden. Wer künftig bei jemandem mitfährt oder jemanden im Auto mitnimmt, der nicht im selben Haushalt lebt, müsste zudem eine medizinische Maske tragen – auch im privaten Pkw, wird weiter gefordert.

Ob das Land die Umsetzung der "Notbremse" zentral entscheiden wird oder die Landkreise anhand ihrer Sieben-Tage-Inzidenz bestimmen dürfen, soll erst am heutigen Mittwoch im Landtag Thema sein. Die Kreisverwaltung lieferte bereits am Dienstagabend Argumente, die eine mögliche Ausnahme in der Ortenau als "Modellprojekt" untermauern:

n Infektionsgeschehen im Überblick: "Im Ortenaukreis gibt es aktuell 21 Schulen, bei denen eine oder mehrere Klassen in Quarantäne sind, von großen Ausbrüchen kann man hier nicht sprechen da es sich immer nur um vereinzelte Folgefälle handelt", erklärt Gesundheitsamtsleiterin Evelyn Bressau. Aktuell seien 13 Kindergärten und Kindertagesstätten betroffen, auch hier gebe es vereinzelte Folgefälle.

"In sechs Firmen in der Region gibt es kleine Ausbrüche bei denen mehr als drei Personen infiziert sind." In der Pflege gebe es aktuell nur drei betroffene Einrichtungen. "Bei einer handelt es sich um einen Ausbruch welcher schon über mehrere Wochen anhält und bei den andern Einrichtungen handelt es sich um Einzelfälle", so Bressau.

Die Gefahr einer Ansteckung sei nach wie vor bei Treffen im privaten Bereich gegeben, im Arbeitsumfeld und in Gemeinschaftseinrichtungen. "Der Einzelhandel mit seinen Hygienekonzepten ist beispielsweise kein Treiber der Pandemie", so die Expertin.

n Kontaktnachverfolgung wird erweitert: "Das Gesundheitsamt passt seine Personalkapazitäten dem Infektionsgeschehen an, es ist ein atmendes System", betont Kreis-Sprecher Kai Hockenjos. "Wegen der gerade wieder steigenden Zahlen suchen wir aktuell auch wieder mehr Personal." In der Kontaktpersonennachverfolgung werde das Team fortlaufend mit Mitarbeitern aus der Landratsamt verstärkt, aktuelle sind 110 Personen involviert.          

n 1665 Impfungen täglich in Offenburg und Lahr: Im Impfzentrum Offenburg sind alle 18 Impfstraßen geöffnet, im Durchschnitt werden 1200 Impfungen am Tag verabreicht. Im Kreisimpfzentrum Lahr sind alle sechs Impfstraßen geöffnet, dort werden im Schnitt 465 Menschen am Tag immunisiert. "Wir sind bereit, die Kapazitäten hochzufahren, sobald mehr Impfstoff kommt", betont Hockenjos. Grundsätzlich sei eine Erhöhung der Liefermenge für alle Impfstoffe angekündigt, wann und in welchem Umfang bleibe jedoch offen.

n Pflegeheime bald durchgeimpft: "Ende März haben wir alle Pflegeheime durchgeimpft – mit der Erst- und Zweitimpfung", betont Hockenjos. Dort, wo es wegen Krankheit nicht möglich war, werde die Zweitimpfung in der ersten April-Woche nachgeholt. Anschließend seien die Einrichtungen der Tagespflege, Betreutes Wohnen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und Werkstätten für Menschen mit Behinderungen an die Reihe. "Hier können die Impfungen voraussichtlich bis Ende Juni abgeschlossen werden."

n Klinikum passt Intensivkapazitäten an: "Derzeit baut das Ortenau-Klinikum vorsorglich Intensivkapazitäten mit Beatmungsmöglichkeit zur Versorgung von intensivpflichtigen Covid-Patienten auf", erläutert Klinikum-Sprecher Christian Eggersglüß. Gleichzeitig müsse aber die Zahl der Intensivbetten für Nicht-Covid-Patienten, etwa für die Behandlung nach einer nicht dringlichen Operation, verringert werden.

"Es ist enttäuschend, was Kanzlerin und Ministerpräsidenten vereinbart haben", konstatierte der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Fechner am Dienstag. Trotz stundenlanger Verhandlungen gebe es keine klare Strategie für effektiveres Impfen und Testen. "Genau das wäre aber dringend nötig", so Fechner. Wenn Impfen und Testen nicht schnell in Gang komme, müsse die Pandemiebekämpfung Bundessache werden. "Und der Oberknaller ist, dass nach Mallorca gereist und am Ballermann gefeiert werden darf, aber der Osterkaffee mit den Großeltern untersagt ist", ärgert sich der Abgeordnete. "Das muss der Bundestag stoppen."