Am ersten Prozesstag bestritt der Angeklagte eine Tötungsabsicht. (Symbolbild) Foto: Peter Steffen/Archiv/dpa

Staatsanwalt sieht Heimtücke und niedrige Beweggründe. 27-Jähriger pocht auf Unschuld.

Offenburg - Ein Justizbeamter mit kräftigen Schultern führt den mutmaßlichen Mörder eines Offenburger Hausarztes am Mittwoch um 14.15 Uhr in den Gerichtssaal. Der Angeklagte trägt Handschellen, die ihm später abgenommen werden. Verhandelt wird unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen. Zehn Justizbeamte lassen den Angeklagten und auch die Zuschauer nicht aus den Augen, fünf weitere filzen draußen auf dem Gang jeden Besucher so gründlich wie bei einer Sicherheitskontrolle auf dem Flughafen.

 

Die Tat, die jetzt zur Verhandlung ansteht, hatte bundesweit Reaktionen ausgelöst, weil der Verdächtige ein Asylbewerber ist. Nach dem Verbrechen am 16. August gegen 8.40 Uhr hatte es in Offenburg erst Demonstrationen, dann einen Trauermarsch gegeben. Auch zum Prozessauftakt in Offenburg ist das Interesse groß; alle 80 Zuschauerplätze im Gerichtssaal sind besetzt. Ein Raunen geht durch die Reihen, als Staatsanwalt Kai Stoffregen die Mordanklage verliest und dabei auch grausige Details nicht auslässt.

Der Arzt hatte keine Überlebenschance

Mit einem Küchenmesser mit 13 Zentimeter langer Klinge habe der Angeklagte dem Arzt siebenmal in den Kopf, zehnmal in den Hals und außerdem noch in den Bauch gestochen. Die Halsschlagader und Luftröhre des Mediziners wurden verletzt, er hatte keine Überlebenschance. Als die Polizei eintraf, steckte das Messer noch im Oberkörper des Arztes, der in einer Blutlache lag. Er hinterlässt eine Frau und eine Tochter.

Der mutmaßliche Täter hatte an dem Tag keinen Termin in der Praxis. Laut Anklage ging er an der Sprechstundenhilfe vorbei direkt ins Behandlungszimmer, wo der Arzt gerade hinter seinem Schreibtisch saß und mit einem Patienten sprach. Dort stach er sofort auf den Mediziner ein und fügte danach auch einer Praxismitarbeiterin, die ihn stoppen wollte, eine Schnittwunde am Kiefer zu. Bei seinem Wüten verletzte sich der Täter auch selbst. Er hinterließ eine Blutspur, der die Polizisten über mehrere Straßenzüge folgen konnten. Dort, wo die Spur endete, nahm ein Suchhund Witterung auf. Er führte die Fahnder direkt zum Zimmer des Angeklagten in einem Offenburger Flüchtlingsheim. Darin fand die Polizei Kleidung mit Blut des Opfers.

Der Asylbewerber wurde kurz danach in der Innenstadt festgenommen. Er hatte eine Schnittverletzung an der Hand. Am ersten von sechs Verhandlungstagen richten sich alle Augen im Saal auf den Angeklagten. Es ist ein 27-jähriger Somalier, der im November 2015 nach Deutschland kam. Sein Asylantrag wurde im April 2017 abgelehnt, allerdings erhielt er einen subsidiären Schutzstatus und durfte so legal im Land bleiben. Er war nicht von Abschiebung bedroht, als er mutmaßlich zum Mörder wurde.

Bizarrer Auftritt des Angeklagten

Vor Gericht wirkt er niedergeschlagen, aber auch trotzig und wütend. Über seinen Dolmetscher lässt er ausrichten: "Ich bin unschuldig." Bei seiner Festnahme sei ihm versprochen worden, dass er in fünf Tagen freikomme, wenn er ein Papier unterschreibe. "Und jetzt bin ich schon fünf Monate in Haft." Der Angeklagte legt einen teils bizarren Auftritt hin, sagt, dass er seine beiden Anwälte ablehne, weil sie ihm "geschickt" worden seien. Die beiden Juristen an seiner Seite – renommierte Offenburger Fachanwälte für Strafrecht – nehmen es peinlich berührt zur Kenntnis, der eine schüttelt den Kopf, der andere bekommt eine leichte Gesichtsröte.

Richter Heinz Walter belehrt den Angeklagten: Bei seinem Haftantritt sei ihm gesagt worden, dass das Gericht ihm einen Rechtsbeistand stellt, es sei denn, er nennt innerhalb von fünf Tagen einen Juristen seiner Wahl. Das habe er unterlassen. So muss er nun mit den beiden Juristen auskommen, die ihm nicht genehm sind. Oder ist die Ablehnung nur eine Finte, um den Prozess zu behindern? Eine Hilfe bei der Aufklärung ist der Angeklagte jedenfalls nicht, nach zum Teil wirren Aussagen schweigt er für den Rest des Verhandlungstages. In der Haft hatte er ebenfalls nichts gesagt und dabei auch das Gespräch mit einem psychiatrischen Sachverständigen verweigert. Der Experte sitzt jetzt im Gerichtssaal und sieht sich den Angeklagten genau an, um ein Gutachten erstellen zu können, mit dem seine Schuldfähigkeit geklärt werden soll.

Als Zeuge wird der leitende Ermittler gehört. Er sagt, dass er nach der Festnahme einen Satz des Angeklagten aufgeschnappt habe. Demnach hat er gesagt, der Arzt habe ihn bei einer Blutentnahme vergiften wollen. Der Somalier hatte 2016 – mehr als eineinhalb Jahre vor der Tat – vier- oder fünfmal die Sprechstunde des Allgemeinmediziners wegen einer Erkältung oder Magenschmerzen aufgesucht.

Kolleginnen hatten sich vor ihm gefürchtet

Der Angeklagte besaß eine Arbeitsstelle bei einer Offenburger Firma, bei der er entlassen wurde, da er zunehmend "schwierig" geworden sei, berichtet der Kripo-Mann. Er habe den Frauen im Unternehmen "böse Blicke" zugeworfen. Auch im Flüchtlingsheim soll er in Streitereien verwickelt gewesen sein. Und nach seiner Verhaftung habe er sich mit seinem Zellennachbarn angelegt, weil es Zoff um den Fernseher im Raum gab. Vorbestraft ist der Angeklagte aber nicht.

Der Bruder des toten Arztes, Therapeut von Beruf, erhebt in seiner Zeugenaussage noch schwere Vorwürfe gegen den leitenden Ermittler. Er erzählt, dass sein Bruder von einer Anruferin in der Praxis bedroht worden sei, nachdem er sich geweigert habe, einem Asylbewerber ein Attest auszustellen, um so seine Abschiebung zu verhindern. Diese Spur habe die Kripo nicht verfolgt, lautet der Vorwurf des Bruders. Die Erwiderung des Polizisten kurz danach im Zeugenstand: Es habe hier keine Ermittlungsansätze gegeben, da die Anruferin unbekannt sei. Außerdem macht der Kriminalhauptkommissar deutlich, dass er sich sicher ist, den Täter bereits verhaftet zu haben: den Somalier.