Sasa Kalajdzic, der Schlaks mit dem großen Spielvermögen, haut sich gegen Italien rein. Am Ende steht jedoch das bittere EM-Aus der Österreicher. Foto: imago/Ulmer

Sasa Kalajdzic hat mit der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft gegen Italien das Wunder von Wembley verpasst – dennoch könnte der Angreifer des VfB Stuttgart vom EM-Aus profitieren.

London/Stuttgart - Auf welch unberechenbaren Wegen die Kugel ins Tor gelangen kann, ist in diesem Moment gut zu sehen gewesen. Samstagabend, Wembley-Stadion zu London, 114. Minute. An Sasa Kalajdzic klebten zwei Italiener. Dicht dahinter hatten sich zwei weitere Verteidiger in blauen Trikots postiert, und im Tor lauerte Gianluigi Donnarumma mit seinen langen Armen. Dennoch tauchte Kalajdzic nach unten, erwischte den Ball knapp über der Grasnarbe mit dem Hinterkopf – und das Spielgerät gelangte wie durch ein Nadelöhr ins Ziel. 1:2, die Österreicher waren in der Verlängerung des EM-Achtelfinales wieder im Spiel.

„Ich glaube, ich war bei einem Kopfball noch nie so tief“, sagte der lange Kalajdzic. Fast zwei Meter ist der Stürmer des VfB Stuttgart groß und wagte sich nach einem Eckball dorthin, wo sich acht italienische Stiefelspitzen befanden. Ein technisch anspruchsvoller Treffer, wichtig dazu, und dennoch herrschte Enttäuschung. „Absolut bitter und unverdient“, befand Kalajdzic das Aus der Alpenrepublik.

Hat Franco Foda zu spät eingewechselt?

Der Außenseiter hatte dem großen und hochgelobten Italien alles abverlangt. Unermüdlich. Selbst nach dem 0:2-Rückstand (0:0 nach regulärer Spielzeit) wollte das Team Austria nicht klein beigeben. Aufopferungsvoll kämpfte es weiter, suchte seine Chance – und im Zentrum des Sturms stand Kalajdzic. Der Nationaltrainer Franco Foda hatte den 23-Jährigen unmittelbar nach dem 0:1 durch Federico Chiesa eingewechselt (95.). Spät. Zu spät, wie Experten meinten, da Marko Arnautovic zwar ebenfalls gut spielte, aber schon länger am Ende seiner Kräfte schien.

Kalajdzic gab den Angriffen nach langen, hohen Pässen noch einmal eine Stoßrichtung. Der Stuttgarter Shootingstar gilt ja als einer der besten Kopfballspieler auf dem Stürmermarkt, und die Italiener hatten Schwierigkeiten, ihn zu verteidigen. „Wenn Marko nicht mit dem Zeh im Abseits gestanden wäre, dann hätten wir sogar gewinnen können“, meinte Kalajdzic. Doch der vermeintliche Treffer des Ex-Bremers Arnautovic wurde nach einer Videoüberprüfung nicht anerkannt (65.).

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Das Interview mit Ex-Trainer Huub Stevens

Die Szene spielte sich in einer Phase ab, als die Österreicher obenauf waren. Zuvor hatte die Squadra Azzurra dominiert, allerdings ohne den Widerstand zu brechen. Kapitän David Alaba und Co. stellten sich dem spielstarken italienischen Ensemble mit allem, was sie an Lauf- und Zweikampfstärke hatten, entgegen. „Wir waren absolut ebenbürtig, wenn nicht sogar zeitweise besser“, sagte Kalajdzic und bezeichnete die Nacht von London nicht nur als eines „der grausamsten Spiele meiner Karriere“, sondern: „eines der grausamsten Spiele in der österreichischen Fußballgeschichte.“

Historisches wollte Fodas Elf erreichen, nachdem ihr mit dem Einzug in die K.-o.-Runde der EM bereits Einmaliges gelungen war. Es blieb jedoch nur der Stolz des Verlierers. „Ganz Österreich kann stolz auf diese Mannschaft sein“, sagte Kalajdzic und wurde von oberster Stelle in Wien bestätigt. „Danke für dieses großartige Turnier, ein sensationelles Spiel und vor allem für die kämpferische Leistung heute“, schrieb der Bundeskanzler Sebastian Kurz bei Twitter.

Das Interesse an Sasa Kalajdzic steigt

„Letztendlich können wir uns nichts dafür kaufen, auch wenn ich nach einem Spiel noch nie so viele Komplimente bekommen habe“, meinte Foda nach dem verpassten Wunder von Wembley. Kalajdzic dürfte durch seinen Auftritt allerdings seinen Marktwert gesteigert haben. Was in der Anhängerschaft des VfB mit Sorge beobachtet wird, da die Fans befürchten müssen, dass ihnen der neue Publikumsliebling noch weggekauft wird.

16 Tore hat der Angreifer in der abgelaufenen Saison erzielt, seiner ersten in der Bundesliga. Und das nach einer schweren Knieverletzung. Kalajdzic hat dabei als Joker gestochen und als Stammkraft überzeugt. Mit dem letzten Eindruck, den er bei der EM hinterlassen hat, verlängert sich nun die Liste der Interessenten. Mit dem AC Mailand und Tottenham Hotspur wird der Österreicher bereits in Verbindung gebracht. Aber auch andere englische Topclubs sollen ihre Fühler nach dem Schlaks mit dem enormen Spielvermögen ausgestreckt haben.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Die Zahl der Corona-Fälle bei Spielern steigt

Noch ist der erste Dominostein im Stürmer-Wechsel-Spiel auf Spitzenniveau aber nicht gefallen. Und nur ein Spitzenverein kommt infrage. Zum einen, weil der VfB-Sportdirektor Sven Mislintat den Stürmer nicht abgeben will und deshalb sicher keinen Preis unter 35 Millionen Euro aufrufen wird. Zum anderen gibt es nur wenige Clubs, die so viel Geld überhaupt bezahlen können. Kalajdzic, der jetzt zwei Wochen in Urlaub geht, verspürt jedoch keinen Handlungsdruck. Er fühlt sich beim VfB wohl und kann sich vorstellen, ein zweites Reifejahr bei den Stuttgartern zu verbringen. Einerseits. Andererseits herrscht Marktwirtschaft – und sobald ein konkretes Angebot eines Topclubs daliegen sollte, wird sich zeigen, wohin Kalajdzics Karriereweg führt.