Cindy Blum erhielt ihre Diagnose erst mit Mitte 20.Foto: Stötrr Foto: Schwarzwälder Bote

Gesundheit: Die Musikerin Cindy Blum leidet an der Wahrnehmungsstörung Gesichtsblindheit

"Wenn ich dich treffe, erkenne ich dich nicht – auch wenn es bereits das zehnte Mal ist." So geht Menschen wie Cindy Blum, die an Prosopagnosie und damit an Gesichtsblindheit leiden. Jetzt will die Oberwolfacherin ein Netzwerk mit Betroffenen aufbauen.

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Oberwolfach. "Ich sehe jedes Gesicht ganz normal, nur die Wiedererkennung funktioniert nicht", erklärt Cindy Blum die wissenschaftlich anerkannte Wahrnehmungsstörung Prosopagnosie. Grund dafür ist ein kleiner Teil im Gehirn, in dem die Bildverarbeitung nicht gespeichert wird. Die Gesichtsblindheit wird fast immer genetisch vererbt, wie Professor Ingo Kennerknecht vom Humangenetischen Institut an der Uni-Klinik Münster in jahrelanger Forschung nachgewiesen hat. Und es gibt viele Betroffene. Einer von 40 Menschen kann Gesichter nicht ganzheitlich speichern und schnell abrufen.

Lange wusste Cindy Blum nichts von ihrer Prosopagnosie und hatte es in jungen Jahren entsprechend schwer. Was in Kindergarten und Grundschule durch die vertraute Umgebung noch einigermaßen händelbar war, entwickelte sich ab der fünften Klasse zum Problem. "Erst denkt man, die anderen mögen einen nicht", erklärt die 34-Jährige. Denn während sich zwischen den Mitschülern schnell Freundschaften ergeben hätten, habe sie selbst sehr lange für das Kennenlernen der anderen gebraucht. So habe sie sich als Kind zurückgezogen, viel Zeit in ihrem Zimmer verbracht und früh mit dem Schreiben begonnen. "Die Gesichtsblindheit hat viel in meiner Kindheit beeinflusst", blickt Cindy Blum zurück und weiß, dass sie von anderen ein Stück weit als arrogant und abwesend angesehen wird.

Ihre Diagnose erhielt sie dann eher zufällig, als sie nach dem Abitur in Richtung Freiburg zum Studieren ging. "Vom Dorf in die Stadt – ich war an der Uni komplett verloren", schildert die gebürtige Gutacherin ihre Ausgangslage.

Erster Verdacht kommt bei Routineuntersuchung

Bei einem Routinetermin habe sie sich mit einem Arzt über ihre vermeintliche Gedächtnislücken und Orientierungslosigkeit unterhalten. Dieser wusste von einer laufenden Studie zur Gesichtsblindheit und schickte Cindy Blum in die Uni-Klinik, wo sie mit bildgebenden Verfahren gründlich untersucht wurde. "Mit der Diagnose Prosopagnosie wurde für mich im Nachhinein dann vieles verständlich."

Sie wäre immer der Meinung gewesen, einfach nicht aufmerksam genug zu sein, weil sie die Menschen in ihrem Umfeld nicht erkannte. Sie orientiere sich an auffallenden Merkmalen wie beispielsweise einer extravaganten Brille, der Frisur, dem Kleidungsstil oder der Gestik von Menschen. Schwierig werde es, wenn etwas davon gewechselt werde oder wenn man sich an einem ungewohnten Ort treffe. Sich selbst gegenüber habe man immer eine Ausrede und komme gar nicht auf die Idee, dass es sich um eine Krankheit handeln könnte.

Am ehesten lasse sich die Gesichtsblindheit mit einem Europäer vergleichen, der das erste Mal in ein asiatisches Land reise: "Alle Menschen sehen in etwa gleich aus", beschreibt es Cindy Blum.

Über das Schreiben und die Musik hat sie sich ihre Bestätigung geholt, während andere in Cliquen unterwegs waren oder Urlaube im Bekanntenkreis verbrachten. Doch die Bekanntheit hat auch einen entscheidenden Nachteil: Während Cindy Blum auf der Straße erkannt wird, fehlt ihr die Möglichkeit der Wiedererkennung. "Ich laufe in Oberwolfach durch ein bekanntes Dorf mit unbekannten Menschen. Wenn ich jemanden treffe, fange ich bei null an", versucht sie es zu erklären und wünscht sich ein unbeschwertes Hinausgehen ohne der Unsicherheit, jemanden nicht erkannt zu haben. Doch eine Therapie gegen die genetisch bedingte Gesichtsblindheit gibt es nicht.

Und nachdem Cindy Blum ihre Diagnose mit Mittel 20 bekommen hatte, wurde auch ihre Mutter Hélène die eigene Betroffenheit bewusst. "Wenn man weiß, an was es liegt, kann man Strategien zur Wiedererkennung entwickeln", ist sie sicher. Allerdings wüssten viele gar nicht, dass sie an Prosopagnosie leiden würden, weil wenig bis gar nicht darüber gesprochen werde. Deshalb möchte Cindy Blum jetzt ein Netzwerk aufbauen und freut sich unter cindy.blum@web.de über den Austausch mit Betroffenen.

In der Pressemitteilung der Uniklinik Münster (UKM) ist zur Gesichtsblindheit zu lesen: Erst seit 1976 kennt man die angeborene (kongenitale) Form. Professor Ingo Kennerknecht vom Institut für Humangenetik am UKM konnte in seinen zusammen mit anderen Wissenschaftlern seit 2001 betriebenen Studien zeigen, dass die angeborene Prosopagnosie mit einer weltweiten Prävalenz von Zwei bis drei Prozent sehr häufig ist und praktisch immer familiär auftritt. Weltweit gibt es große Anstrengungen, die zugrundeliegende Genetik abzuklären – ohne bislang Gene gefunden zu haben, die mit dem Auftreten der Prosopagnosie in Verbindung gebracht werden können. Da die Prosopagnosie angeboren ist, gibt es derzeit keine ursächliche Therapie, wohl aber entwickeln Betroffene von sich aus gute Kompensationsstrategien. Weil sich Betroffene dessen oft nicht bewusst sind, wird das Phänomen im Alltag nicht thematisiert und erklärt daher, warum es praktisch nicht bekannt ist.