Bären-Begegnungen in freier Natur sind selten. Passiert’s, sollte man ruhig bleiben. Foto: Bärenpark Foto: Schwarzwälder Bote

Umwelt: Expertin spricht im Interview über Vorfall in Südtirol / Begegnungen sind sehr unwahrscheinlich

Mittleres Kinzigtal. Ein Bär greift einen Wanderer an: Solche Szenen sind kürzlich im Urlaubsgebiet Südtirol geschehen. Müssen Urlauber sich Sorgen machen? Sabrina Reimann, Leiterin des Wolf- und Bärenparks in Bad Rippoldsau-Schapbach, klärt auf.

Frau Reimann, kürzlich hat ein Bären-Angriff auf Wanderer in Südtirol für Aufsehen gesorgt. Wie häufig kommt so etwas vor?

Die Chance, dass man in Mitteleuropa einem wildlebenden Bären begegnet, ist sehr, sehr gering. Wahrscheinlich ist das ein Grund dafür, warum die Fälle gerade so ein Aufsehen erregen. Aber die Bärenpopulation wächst. In Italien, Slowenien und der Schweiz gibt es immer mehr Bären. In Deutschland hatten wir dieses Jahr wieder einen Bären im Alpenraum. Umso besser ist es, wenn Leute darüber aufgeklärt werden, wie man sich am besten beim Zusammentreffen mit einem Bären verhält.

Schaltet ein Bär beim Zusammentreffen mit Menschen direkt in den Angriffsmodus?

Der Angriffsmodus ist die Ausnahme. Bären haben einen hervorragenden Geruchssinn und wittern uns Menschen meist schon von Weitem. Normalerweise ziehen sie sich dann auch zurück. Ich selbst hatte schon zwei Bärenbegegnungen in freier Wildbahn. Jedes Mal ist der Bär sofort geflüchtet, sobald er mich bemerkt hat. Wir wissen nicht genau, was in Italien passiert ist. Angenommen, es war eine Bärin mit Jungen: Dann hätte sie diese verteidigen wollen. Wer ein Bärenjunges im Wald findet, sollte sich sofort ruhig zurückziehen. Die Mutter ist sicherlich in der Nähe und verteidigt ihre Jungen.

Das Verhalten ist vergleichbar mit Wildschweinen...

Das stimmt, auch Wildschweine können ihre Jungen verteidigen. Beim Bären können die Verletzungen aber gravierender ausfallen. Aber sehen wir uns mal einen anderen Fall an: Kürzlich ging ein Video viral, auch aus Italien. Es zeigt einen Jungen in einem Feld aus Latschenkiefern, bei dem im Hintergrund plötzlich ein Bär auftaucht. Im Video redet der Vater, welcher die Aufnahme gemacht hat, beruhigend auf seinen Sohn ein und macht ihm klar, dass er sich ruhig und langsam vom Bär entfernen soll. Die beiden haben wirklich toll reagiert. Das Tier hatte Zeit und Ruhe, die Situation einzuschätzen und hat sich letztendlich von den Wanderern entfernt. In dem Video war auch zu sehen, dass der Bär sich immer wieder aufgestellt hat. Das darf man nicht falsch verstehen! Viele denken, es sei eine Drohgebärde.

Ist das Neugierde?

Ja, der Bär verschafft sich so einen Überblick. Vor allem hat er die Nase weiter oben und kann nachschnuppern, was um ihn herum passiert.

Der Mensch macht also Fehler?

Wir müssen uns immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass wir im Lebensraum des Tiers unterwegs sind. Das muss man respektieren. Wer das gut machen will, bleibt auf den Wegen. Wer in Bärengebieten auf Nummer sicher gehen will, kann zusätzlich auf sich aufmerksam machen, indem man lauter redet oder immer mal wieder mit dem Wanderstock auf einen Stein haut. Die Tiere können so mitbekommen, dass jemand unterwegs ist. Auf keinen Fall sollten wir Essen herumliegen lassen.

Was ist im Fall einer Begegnung zu tun?

Ruhe bewahren hilft. Wenn Tier und Mensch sich begegnen, und der Bär nicht gleich die Flucht antritt, entsteht ein "Dialog". Der Bär muss entscheiden, wen er da vor sich hat: Bedrohung, Beute oder keines von beidem? Wenn der Mensch aggressiv auftritt, ist das keine gute Idee. Dann könnte der Bär sich wehren. Auf der Hacke umdrehen und wegrennen allerdings auch nicht – das könnte den Beutetrieb wecken. Der Bär rennt deutlich schneller als wir. Auf einen Baum klettern ist auch keine Option. Es ist sicher leichter gesagt als getan, aber Ruhe bewahren und sich langsam entfernen ist das A und O.

Was ist denn in Südtirol schief gelaufen?

Ich will mir aus der Ferne kein Urteil erlauben. Es hieß, der Bär sei aus dem Gebüsch auf den Mann gesprungen und dann soll sich der Vater des Manns auf das Tier gestürzt haben, um seinem Sohn zur Hilfe zu kommen. Der zuerst Angegriffene hatte wohl kaum Verletzungen, der Vater einige Knochenbrüche und Bissverletzungen, wobei beide nicht in Lebensgefahr waren. Wir kennen einfach die Begleitumstände nicht. Der Minister der Provinz hat ja gleich einen Abschuss gefordert. Dann hat sich der italienische Umweltminister eingeschaltet und eine weitere Prüfung des Falls gefordert: Man kann das Tier nicht direkt zum Problem erklären, so lange so wenig über die Umstände bekannt ist.

Stichwort Problemtier. 2006 wurde "Problembär" Bruno abgeschossen. Drohen solche Fälle noch immer?

Das liegt in erster Linie in unserer Verantwortung. Wanderer oder andere Naturnutzer müssen sich dessen bewusst sein, dass sie nichts Essbares liegen lassen sollten. Um Bruno zu verstehen, muss man eine Generation zurückgehen. 1999 hat man einige slowenische Bären in die Trentino-Region umgesiedelt, um die dortige Population aufzufrischen – auch seine Mutter Jurka. Das hat an sich gut geklappt, allerdings wurde Jurka aktiv angefüttert. So hat sie gelernt, dass es beim Menschen Futter gibt: in Mülltonnen, aber auch auf Schaf- und Ziegenweiden. Dieses Verhalten hat sie ihrem Nachwuchs weitergegeben – nicht nur Bruno. Es gab insgesamt fünf Jungtiere, von denen wir wissen. Vier von ihnen, inklusive Bruno, wurden als Problemtiere abgeschossen.

Wann ist ein Bär denn ein Problembär?

Das ist sehr schwierig abzuschätzen und zu differenzieren. Was mir an der Diskussion besonders wichtig ist: Dass wir es einfach nicht so weit kommen lassen! Denn es ist der Mensch, der ein Tier zum Problem macht. In vielen Tourismusgebieten, Slowenien etwa, werden Bearwatching-Touren angeboten. Da stehen die Touristen auf einem Hochsitz oder sitzen in einer Hütte und vorher werden Futterköder ausgelegt. Der Bär kann mit seinem extrem guten Geruchssinn bis zu 20 Kilometer weit riechen. Das ist enorm! Für ihn ist es also ein Leichtes, Mensch und Fleisch zu wittern – wenn er jetzt diese beiden Gerüche miteinander verknüpft, kann es sein, dass er den Menschen künftig mit Futter verbindet und so aktiv dessen Nähe sucht. Und dann gibt es natürlich Probleme!

Touristen entscheiden also mit ihrem Geld, ob Probleme geschaffen werden.

Immer! Wenn es für so etwas keinen Absatz gibt, werden die Tiere natürlich in Ruhe gelassen. Wenn man so etwas machen will, sollte man intensiv über den Anbieter recherchieren und die Finger davon lassen, wenn Verhaltensänderungen der Tiere stattfinden. Fragen: Lisa Kleinberger

Sabrina Reimann und das Bärenpark-Team freuen sich in den Sommermonaten über Steinobst-Spenden. Denn die Bären mögen Kirschen, Pflaumen und Co. besonders gerne. "Vielleicht weiß jemand nicht, wohin mit den reifen Früchten", meint Reimann und bittet in diesem Fall um Kontaktaufnahme mit dem Team des Wolf- und Bärenparks in Bad Rippoldsau-Schapbach. Vergangenes Jahr habe eine Frau ganze Äste angeliefert – auch eine Art, um die Bären im Gehege zu beschäftigen.