Brechend voll war der große Saal des Gasthauses "Zum Hirschen". Foto: Kunert

Veranstaltung des Grünen-Kreisverbandes. Ziel ist 100-Prozent-Förderung im Herdenschutz.

Oberreichenbach/Nordschwarzwald - Weniger Hysterie und Populismus – mehr Sacharbeit und konstruktive Debatte: Einer Veranstaltung des Grünen-Kreisverbands Calw ist tatsächlich das Kunststück gelungen, Wolfs-Gegner und -Befürworter fast ganz ohne große Emotionen miteinander ins Gespräch zu bringen.

Brechend voll war der große Saal des Gasthauses "Zum Hirschen" in Oberreichenbach. Manche mussten stehen, die Sitzplätze reichten bei weitem nicht aus. "Wie geht es weiter mit dem Wolf in Baden-Württemberg?" war die Veranstaltung am späten Dienstagabend überschrieben. Und Neugierige waren tatsächlich aus dem ganzen Südwesten in den Nordschwarzwald zu dieser Diskussionsrunde angereiste.

Das lag sicher auch am hochkarätig besetztem Podium: Neben Calws Grünen-Kreischef Andreas Kubesch, selbst gelernter Förster, als Moderator und Ideengeber für diese Veranstaltung und Harald Bauer als hiesigem Schäfer und Landschaftspfleger stellten sich Markus Rösler, naturschutzpolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, und Ulrich Wotschikowsky, auch auf europäischer Ebene einer der profiliertesten Wolfs-Experten des Landes, mit ihren Expertisen den Fragen des Publikums. Erklärtes Ziel: Nach der Zeit der Hysterie und des Populismus in der Wolfs-Debatte im Nachklang der erstmaligen Ausweisung eines Wolfsgebiets in Baden-Württemberg im Frühjahr dieses Jahres und verschiedenen Angriffen des dort lebenden Wolfes auf Weidetiere in der Region nun in einen konstruktiven Sach-Modus überzugehen.

"Fake News"

Auftritt "Wolfs-Papst" Wotschikowsky, der in seinem Eingangs-Statement mit ein paar "Fake News" rund um das Thema Wolf aufräumen will. Erstens: "Wölfe werden nicht ausgesetzt!" Und gezielt etwa von militanten Umweltschützern in geeigneten Territorien angesiedelt. Wölfe wandern – über sehr große Strecken. Was letztlich – so zeigten spätere Redebeiträge – mittlerweile auch die kritischen Teilnehmer der Wolfs-Debatte als Tatsache akzeptieren. Zweitens: Sogenannte "Hybride", also gemeinsamer Nachwuchs von Wolf und Hund, sind nicht das Problem (in Deutschland). Es gab hierzulande bisher erst einen Fall, wo es zur Paarung einer Wölfin mit einem Hund kam. Ansonsten werde der Hybriden-Aspekt von Wolfs-Gegnern benutzt, um zu versuchen, den Schutzstatus für Wölfe herabzusetzen.

Drittens: Sogenannte "Problemwölfe" sind eine Randerscheinung; und wissenschaftlich genau definiert. Wenn ein Wolf wiederholt eigentlich ausreichend geschützte Herden angreift oder zu vertraut mit Menschen ist, wird er zum "Problemwolf" und darf "entnommen", also geschossen werden. "In 320 Rudeljahren" – also die Zeit, die alle Wolfsrudel kumuliert in Deutschland ansässig sind – habe beispielsweise bisher nur ein Wolf das Kriterium erfüllt, die Scheu vor dem Menschen verloren zu haben: Das sei auf einem Truppenübungsplatz in Niedersachsen gewesen, wo Soldaten das Tier angefüttert hätten. Dieses Tier sei nach Bekanntwerden sofort nach geltendem Recht getötet worden.

Was zeige, dass es keine Aufnahme des Wolfes – wie so oft die vergangenen Monate gefordert – in das Jagdrecht brauche. "Solche Forderungen sind purer Populismus", wird später in seinem Rede-Beitrag Grünen-Politiker Markus Rösler ergänzen, da eine Zuständigkeit des Jagdrechts für den Wolf "den Abschuss von Wölfen nur noch komplizierter machen" würde – da es dann mindestens zwei Zuständigkeiten von Behörden für einen solchen Abschuss gebe. "Und so etwas wird dann erst richtig kompliziert". Weiterer Aspekt – wieder vorgetragen von Experte Wotschikowsky: "Der Wolf ist kein Zahlenproblem – weniger Wölfe bedeuten nicht weniger Schäden." Gerade das Beispiel von Bad Wildbad, wo nach einem Angriff eines einzelnen Wolfs 44 Schafe starben, belege das. "Denn es ist ja nicht so, dass zwei Wölfe dann 88 Schafe töten würden."

An einem ausreichenden Herdenschutz, der Herdentiere effektiv schütze, egal wie viele Wölfe drumherum lebten, führe daher nichts dran vorbei – was mit zunehmenden Verlauf der Diskussion auch die Wolfs-Gegner in Saal offensichtlich zu akzeptieren begannen. Wie auch die Tatsache, dass der maximale Wolfsschutz aktuell europaweit "gesetzt" sei – zumindest so lange, bis der "große Beutegreifer" rein zahlenmäßig nicht mehr als gefährdete Art gelte. Was, so Wotschikowsky als Antwort auf eine entsprechende Publikumsfrage, bei etwa "1000 adulten Tieren" (geschlechtsreife Wölfe) der Fall sein würde. Zur Einordnung: bei im Moment etwa 800 Wölfen in Deutschland gelten 150 als "adult". Die allerdings für eine Zunahme der Wolfspopulation von 30 Prozent im Jahr sorgten. "Das ist eine gewaltige Zahl."

Auch Arbeitsaufwand

Auch und gerade in Baden-Württemberg werde daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Zahl der (ortstreuen) Wölfe steigen – einhergehend mit auch Rudelbildung. Weshalb es in Politik und Regierung, so Markus Rösler, "einen breiten Konsens über alle Parteien, Landes- und Bundesregierungen" hinweg gebe, nicht nur wie derzeit 80 beziehungsweise 90 Prozent der Kosten für den Weidenschutz bei Herdentieren zu übernehmen, "sondern 100 Prozent" – was auch, und das wäre komplett neu, den effektiven Arbeitsaufwand für den Aufbau und Betrieb des Herdenschutzes umfassen solle. "Wir wollen auch dafür die betroffenen Landwirte und Tierzüchter vollständig und dauerhaft entschädigen."

Allerdings seien das "verdammt dicke Bretter", da es hier eine entgegenstehende, EU-weite Regelung gebe, die eben bisher nur die 80-prozentige Übernahme der Sachkosten im Herdenschutz erlaube. Aber eine von Baden-Württemberg aus gestartete Initiative sei in Brüssel bereits vorstellig geworden, um hier eine Neuregelung zu erreichen. "Was aber locker bis 2019 oder gar 2020 dauern kann, bis es da Ergebnisse gibt." Womit aber eine Kernforderung gerade der betroffenen Schäfer im Land erfüllt werde. Erkenntnis im "Hirschen" in Oberreichenbach daher: Politik, Regierung, Wolfs-Gegner und -Befürworter verfolgen an dieser Stelle tatsächlich einmal dieselben Ziele.

Bleibt das aus den Reihen des Publikums aufgeworfene "psychologische Problem" mit dem Wolf: Die Angst der Herdenhalter vor dem nächsten Riss, die Sorge um die Tiere – die traumatischen Bilder, wenn es zum Riss kommt. Naturschutzexperte Rösler antwortet mit dem Beispiel jenes Schafzüchters aus Brandenburg, der im Jahr 2002 in Deutschland den ersten Wolfsriss in einer Herde zu verkraften hatte. Von einem erklärten Wolfsgegner habe der sich mit den Jahren zum passionierten Wolfschützer gewandelt – obwohl oder gerade, weil seine Herden heute von insgesamt drei Wolfs-Rudeln "umgeben" seien. Die Erfahrung dort: Lernten die ortsfesten Wölfe (als Rudel) die Verhaltensregeln in der Nähe der Menschen, hielten diese die wandernden (Jung-)Wölfe effektiv fern – die in der Regel für die Schäden in Herden verantwortlich seien. Die Wolfsrudel schützten also geradezu die (Schafs-)Herden vor ihren unerfahrenen Artgenossen.

So wünscht man sich das: hitzige Debatten, echte Emotionen – das schafft Aufmerksamkeit. Aber wenn man die hat – Übergang in den Sach-Modus. Konstruktive Zusammenarbeit, um einen Konsens zu erarbeiten, mit dem alle, zumindest möglichst viele, gut leben können. Die aktuelle Wolfs-Diskussion kann ein gutes Beispiel dafür werden. Der große Beutegreifer steht grenzüberschreitend unter maximalem Schutz. Doch wo er Probleme macht, müssen die gelöst werden. Das ist nicht einfach. Ein Paradigmenwechsel im Herdenschutz. Arbeit, die geleistet werden muss. Nicht von den Herdenbesitzern allein, sondern von der ganzen Gesellschaft. Die EU behindert das derzeit noch. Aber auch die kann sich bewegen. Bei der Sommerzeit etwa hat sie sich in Sachen Bürgerwille handlungsfähig erwiesen. Beim Wolf ist noch mächtig Luft nach oben.

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