Machten ihre Standpunkte deutlich (von links): Cornelius Walz, Matthias Proske, Sigrun Frey, Manfred Pfrommer, Edgar Wunder, Karlheinz Kistner und Reinhold Rau. Fotos: Stöß Foto: Schwarzwälder Bote

Bürgerentscheid: Bei einem Infoabend werden Argumente für und wider das Baugebiet "Nördlich der Waldstraße" ausgetauscht

In Oberreichenbach wird am 26. Mai neben der Europa- und Kommunalwahl noch eine weitere Abstimmung erfolgen. Die Bürger der Gemeinde haben zu entscheiden, ob in Würzbach ein neues Baugebiet mit rund 40 Grundstücken entstehen darf. Bei einer Informationsveranstaltung stellten rund 100 Bürger ihre Fragen.

Oberreichenbach. Für das Baugebiet "Nördlich der Waldstraße", das vom Gemeinderat im Juli 2018 beschlossen wurde, würde Wald weichen müssen. Deshalb hatte sich in der Bürgerschaft Widerstand geregt. Eine Bürgerinitiative (BI) setzt sich für den Erhalt des Waldes ein und hat einen Bürgerentscheid initiiert.

In der Gemeindehalle Würzbach stellten sich nun drei Vertrauenspersonen der BI, Bürgermeister Karlheinz Kistner, Fachleute aus Regionalverband Nordschwarzwald und dem Landratsamt den Fragen der Bürger.

Edgar Wunder, Landesvorsitzender von Mehr Demokratie e.V. Baden Württemberg, moderierte die Veranstaltung. Er wies einführend darauf hin, dass die Bürgerinitiative und der Gemeinderat samt Bürgermeister den bisherigen Prozess gemeinsam fair und sachlich gestaltet haben. Das "haben Sie ganz toll gemacht. Zumal es sich um den allerersten Bürgerentscheid in Oberreichenbach handelt. Statistisch gesehen erlebt eine Gemeinde alle 50 Jahre einen solchen Entscheid", sagte er. Wenn man so wolle, erlebe Oberreichenbach eine "Sternstunde der Demokratie".

Matthias Proske, Verbandsdirektor des Regionalverbands Nordschwarzwald, erklärte, dass Oberreichenbach als "Gemeinde mit Eigenentwicklung" genügend Bauflächen zur Verfügung zu stellen hat. Herausforderungen ergäben sich durch den demografischen Wandel. In Oberreichenbach ist von einer negativen Einwohnerentwicklung auszugehen, während andere Gemeinden wachsen. Bei der Flächenausweisung ist eine Gesamtschau aller Aspekte wichtig. In Gemeinden mit einem Waldanteil von mehr als 65 Prozent kommen explizit auch Waldgebiete für die bauliche Entwicklung in frage. Oberreichenbach hält einen Waldanteil von 74 Prozent. Das, was die Gemeinde hier mache, sei nichts anderes als dem Artikel 28 des Grundgesetzes zu folgen und seine kommunale Planungshoheit durchzuführen.

Reinhold Rau machte auf das Spannungsfeld zwischen Forst- und Landwirtschaft sowie Naturschutz aufmerksam. Oberreichenbachs Waldfläche sei seit Jahren konstant hoch geblieben, während die Landwirtschaftsfläche kontinuierlich abgenommen habe, auf aktuell 20 Prozent.

Letztendlich werde das Landratsamt rechtlich prüfen, was zulässig sei. Wenn es keine (rechtlichen) Hürden gebe, habe die Gemeinde Recht auf Genehmigung. In der Abwägung bei der Schaffung von Gewerben, Baugebieten und Straßen könne der Wald in sehr waldreichen Gebieten nicht generell tabu sein. Die Gemeinde bekäme im Falle einer Bebauung die "Denksportaufgabe", das angrenzende Biotop so zu schützen, "das da nichts passiert". Zudem müsse ein Ausgleich geschaffen werden.

Bürgermeister Karlheinz Kistner bedankte sich bei den Vertretern der BI für die fairen und konstruktiven Gespräche. Er und der Gemeinderat seien sich bei dem Vorhaben, die Bauplätze genau an dieser Stelle zu ermöglichen, "sehr sicher". Denn sie hätten das Ziel, Oberreichenbach mit seinen vier Ortsteilen gut zu entwickeln. Gerade der Blick auf die sinkenden Einwohnerzahlen zeige, dass man handeln müsse. Denn Einwohner bedeuten auch Einnahmen. Und das, so Kistner an die Bürger gerichtet, sei "Ihr Geld".

Bedarf an Bauplätzen steigt

Eines sei überdeutlich: Der Bedarf an Bauplätzen sei da und steige. Sogar die druckfrische Bürgerinformation, die von 65 Bauplatz-Interessenten spreche, sei bereits überholt. Heute seien es schon 69. "Zwischenzeitlich sind in Oberkollbach und Oberreichenbach die Plätze meist an junge Familien verkauft. Wieso sollte das in Würzbach anders sein?", fragte Kistner. Zusätzlich halte er auch eine Mischung von einheimischen jungen Familien und Auswärtigen für das Richtige.

Dass man hier nur sehr geringfügig (0,02 Prozent der Gesamtfläche des gesamten Landschaftsschutzgebietes "Großes und kleines Enztal mit Seitentälern") aufgibt, werde auch damit begründet, dass aus Naturschutzgründen der Erhalt von Wiesen- und Ackerflächen deutlich wertvoller eingestuft werde. Eine Empfehlung, so oder so abzustimmen, gebe Kistner nicht ab. Doch wünschte sich das Gemeindeoberhaupt, dass möglichst viele Menschen zur Abstimmung gehen.

Manfred Pfrommer (BI) prangerte die jahrelangen Versäumnisse im sozialen Wohnungsbau an. So machte er diese dafür verantwortlich, dass Mieten in den Ballungsräumen nicht mehr bezahlbar seien. Die Menschen würden "geradezu aufs flache Land getrieben und wir sollen den billigen Jakob spielen".

Den Bauplatzverkauf selbst sieht er aber als nicht mehr weg zu denkende Größe im Haushalt der Gemeinden an. Doch auch das sieht er als zu kurzfristig gedacht. Denn eine solche Investition bedeute auch Ausgaben. Gemeinden hätten jedoch auf lange Sicht zu planen. Pfrommer vermutete sogar "geschönte Zahlen". Die entscheidende Frage für ihn sei: "Geht es jetzt an das Letzte, was wir noch haben? Den Wald". Er erinnerte an die Verpachtung eines anderen Teils dieses Landschaftsschutzgebietes hinter Naislach. 2017 habe die Gemeinde schon einmal eine große Waldfläche (für den Windpark Zimmern) bereits verpachtet; und dies ohne Not. Diese Industrieanlage wurde im Schaubild nicht visualisiert. Nach Pfrommers Meinung "kann in Würzbach bauen, wer in Würzbach bauen will – wenn auch nicht immer nach seinen absoluten Traumvorstellungen".

Lebensräume sind gefährdet

Was auch im Blick behalten werden müsse, sei die Erhaltung des "Landschaftsschutzgebietes", meinte er. Dass dieses einmal eingerichtet worden sei, "da müssen sich doch einmal ein paar Leute Gedanken gemacht haben".

Sigrun Frey (BI) wies darauf hin, dass das angrenzende Biotop beeinträchtigt werde. Zudem seien in den betroffenen Landschaftsgebieten mehr als 30 Singvogelarten, Fledermäuse sowie Amphibien und Reptilien beheimatet. Deren Lebensräume seien gefährdet, wenn nicht sogar verloren. Auch auf die Überschwemmungsgefahr für die umliegenden Häuser wies Frey hin.

Cornelius Walz, ebenfalls von der BI, hob auf den Klimawandel und die Schülerdemonstrationen ab. Er stellte in den Raum, dass die Demonstrationen der Schüler von allen befürwortet werden würden. Und er wertete die Bürgerbewegung mit fast 380 Stimmen als klaren "Gegenwind" gegen den Gemeinderatsbeschluss.

Bei der anschließenden Fragerunde erinnerte ein Bürger die BI-Vertrauensleute daran, dass "damals unmittelbar über der heutigen Waldstraße ein Streifen Wald entfernt worden sei, um Bürgern das Bauen zu ermöglichen. Er fragte: "Wie stellen Sie sich denn das vor? Andere Leute wollen doch auch noch bauen und Sie reißen Ihre Häuser doch auch nicht mehr ab".

Ein weiterer Bürger wies darauf hin, dass in Würzbach keine Bauplätze zum Verkauf stünden. Und der eine, mit dem immer argumentiert werde, den wolle niemand, denn er "liege im Schattenloch".

Gemeinde muss attraktiv bleiben

Für den jungen Bauherrn André Schroth, der nach eigenen Aussagen drei Jahre lange habe suchen müssen, "lebt ein Ort von seinen Mitbürgern. Wir müssen gucken, dass es weitergeht". Er möchte "eine Chance für Würzbach, dass dieses attraktiv bleibt und junge Familien nachkommen." Die drei Vertreter der BI fragte er unter großem Beifall "Was gibt Euch das Recht, auf der sonnigen Seite zu leben und anderen das Recht zu verwehren?" Die Replik von Manfred Pfrommer "da geht’s halt dadrum, wie schleckig man bei der Bauplatzsuche ist", löste im Saal Zwischenrufe aus.

Der Ex-Gemeinderat Wolfgang Pfrommer fragte im Vorfeld der Versammlung "Wer soll denn bald in der Feuerwehr mitmachen? Wer in Ehrenämtern? Wer in Vereinen? Was ist mit Kindergärten und Schulen? Wenn wir nichts tun, verkommt Würzbach zur Schlafstätte." Gemeinderat Rüdiger Pfrommer stieß in dasselbe Horn. "Ich und meine Generation sind diejenigen, die in 20 Jahren darunter leiden werden, wenn nichts geschieht."

Wunder richtete zum Schluss einen Appell an alle, egal zu welchem Lager man gehöre. "Diejenige Seite, die unterliegt, möge das Ergebnis sportlich annehmen. Denn das Thema ist es nicht wert, dass Sie hier eine gespaltene Gemeinde haben."

Er wies auf eine Bürgerbefragung in Aichelberg hin. Dort machten gerade einmal ganze drei Stimmen den Unterschied aus, der über Sieg und Niederlage entschied. Das zeige, dass es für jeden Bürger Oberreichenbachs wichtig sei, zur Abstimmung zu schreiten. Jede Stimme könne entscheidend sein.

Weitere Informationen: Die Informationsbroschüre, in der die beiden Parteien ihre Argumente ausführlich beleuchten, erhalten Interessierte bei der Gemeinde Oberreichenbach und im Internet über die Homepage www.oberreichenbach.de.

Die beim Bürgerentscheid mit "Ja" oder "Nein" zu beantwortende Frage lautet:

"Sind Sie dafür, dass der Aufstellungsbeschluss des Gemeinderates vom 20. Juli 2018, gemäß § 2 Absatz 1 Baugesetzbuch, einen Bebauungsplan für das Gebiet nördlich der Waldstraße Gemarkung Würzbach aufzustellen, aufgehoben wird?"

 Wer mit "Ja" stimmt, spricht sich für den Erhalt des Waldes und gegen die geplante Bebauung nördlich der Waldstraße aus.

 Wer mit "Nein" stimmt, will, dass die Bebauung, wie vom Gemeinderat einstimmig beschlossen, stattfinden kann.