Das zweite Meisterkonzert der Saison serviert in der ehemaligen Augustiner-Klosterkirche in Oberndorf einen besonderen Happen. Deshalb wollen die Besucher mehr davon.
Mit dem einleitenden Tischlied Impromptu op. 90/4 wurde die Richtung des Abends im Groben festgesteckt, sind hier doch die Verse Goethes, „Mich ergreift, ich weiß nicht wie, himmlisches Behagen“, in geniale Töne gesetzt.
Mit einem Loblied auf den Wein, „Es wird a Wein sein, und mia wern nimmer sein“, leitete Georg Mais das Trinklied von Franz Schubert ein. Die wahrhaft perlenden Läufe des Anfangs sprudeln gleich den Bläschen im Schaumwein. Hier konnte Ching-Fen Lee ihre ganze Kunst an einem kleinen Format zeigen. Vielfach wiederholt Schubert das Kopfthema; soll das Ausweichen in sehr verhaltene Töne den „Haarspitzenkatarrh“ am Morgen nach – allzu – heftigem Weingenuss ausdrücken?
Nun ging Autor und Sprecher Georg Mais auf so manche Vorschrift ein, die mit dem Ausschank von Wein im eigenen Anwesen verknüpft war; so zum Beispiel, dass Wein nur zwischen 9 und 21 Uhr (im Sommer: 22 Uhr) ausgeschenkt werden durfte. Selbst erzeugte Lebensmittel waren als „Jause“ zu verkaufen erlaubt.
Gegen die Verklärung eng an den Lebensumständen
Schubert war dem Wein nicht abgeneigt, so der Erzähler. Es seien Klischees entstanden, in denen Schubert als gemütliche Biedermeierfigur dargestellt wird. Dabei sei er viel enger mit den wahren Lebensumständen verbunden gewesen.
1816, also mit 19 Jahren, schwärmt er von Mozart, einem anderen Weinliebhaber. Ihm zu Ehren stand das einzige Stück des Abends, das nicht von Schubert war, auf dem Programm: „Alla Turca“ aus der Sonate A-Dur KV 331. Dieses Rondo ist auch als „Türkischer Marsch“ bekannt.
Ungemein vorwärtsdrängend, mit gestochenen Staccati, kraftvoll zugreifend und doch wieder so als würden nur kleine Trippelschrittchen gemacht, graziös, elegant, spielte die Pianistin dieses brillante Stück.
Trauer und Hoffnung
Mais schilderte die Lebensgeschichte Franz Schuberts ausführlich – und flocht immer wieder Stücke aus dem Schaffen Schuberts ein, wie „Hagars Klage“, in dem tiefe Niedergeschlagenheit, Trauer aber auch Hoffnung zum Ausdruck gebracht werden.
Weitere Stationen auf Schuberts Lebensweg folgten, umrahmt von den Liedern „Gretchen am Spinnrad“ („Mein Ruh’ ist hin, mein Herz ist schwer“), „Wein und Liebe“, und dazwischen tummelte sich anfangs quicklebendig „Die Forelle“. Vom munteren Spiel mit den Wellen über das heimtückische Eintrüben des Wassers durch Moll-Passagen gelang es Ching-Fen Lee hervorragend, jedem dieser so unterschiedlichen Sujets gerecht zu werden.
Im ersten Stück nach der Pause, in der man auch ein Glas ausgesuchten Weines genießen konnte, dem Impromptu op. 142/4, drängten sich Ähnlichkeiten zu Mozart auf und dennoch war diese akzentuierte Musik mit ihren schier endlosen Läufen ganz Schubert.
Politische Dimension zwischen Noten und Zeilen
Georg Mais hob hervor, dass in der Zeit von Franz Schubert in Wien, ja in ganz Europa, der Überwachungsstaat à la Metternich vorherrschte. Persönliche Freiheit gab es nur – versteckt – in der Kunst. Für Franz Schubert, der ein großes lyrisches Gefühl besaß, war es das Kunstlied, als dessen eigentlicher Schöpfer er gelten darf. So durfte „An die Musik“ mit seiner ruhig fließenden Melodie nicht fehlen.
Weiter in Franz Schuberts Leben fortschreitend, kam der Moderator auf die Symphonie c-Moll und die „Unvollendete“ sowie die „Winterreise“, einen geistigen Aufstand gegen die Unterdrückung im „Vormärz“, zu sprechen: „Gute Nacht“, die Eröffnung dieses Zyklus, zeigt versteckte Kritik am Staat.
Für den am 19. November 1828 Verstorbenen Franz Schubert schuf Franz Grillparzer die Grabinschrift: Die Tonkunst begrub hier einen reichen Besitz, aber noch viel schönere Hoffnungen.
Nach großem, herzlichem Applaus war die „Nacht der Träume“ die Zugabe. Wenn man sich nach dem Konzert umhörte, war unter den Zuhörern die Begeisterung für Ching-Fen Lees Spiel ungeteilt – wie auch der Wunsch, weitere Komponisten in dieser Form vorgestellt zu bekommen.