Oberndorf - Zuletzt war die Schlange an der Kasse des KKK-Filmtheaters wohl so lang als die blauen Helden aus "Avatar" über die Leinwand sprangen. Mitglieder der örtlichen Friedensbewegung stehen neben Mitarbeitern von Heckler & Koch, die ihre Verbundenheit zum Unternehmen mit dem HK-Logo auf der Jacke demonstrieren. Dazwischen warten jede Menge "ganz normale Oberndorfer" darauf, ins Kino eingelassen zu werden. 140 Menschen wollen am Montagabend den neuen Film von Wolfgang Landgraeber, "Vom Töten leben", sehen.

"Es wird Ihnen vermutlich nicht alles gefallen, was Sie heute Abend hier sehen werden", begrüßt der Autor und Regisseur das Publikum. Vor mehr als 30 Jahren stand Landgraeber schon einmal an derselben Stelle. Sein Film "Fern vom Krieg" ließ damals die Wogen in der Neckarstadt hochschlagen. Am Montagabend ist die Stimmung im Kinosaal entsprechend verhalten, aggressiv ist sie nicht.

Gleich zu Beginn des neuen Films sind Aufnahmen von Oberndorf zu sehen, unterlegt mit Tonaufnahmen aus Kriegsgebieten. "Von hier aus geht der Tod in die Welt" ist zu hören. Pfiffe bleiben diesmal aus. Das war vor rund 30 Jahren anders. Landgraeber hat die Portagonisten von einst für seinen neuen Film zusammengetrommelt. Die ehemaligen Mitglieder der Naturfreunde-Jugend sind mittlerweile ergraut.

Die Zerrissenheit innerhalb der Kirchen wird deutlich, als Landgraeber Pfarrer Andreas Schleicher aus Villingen mit den katholischen Seelsorgern vor Ort diskutieren lässt. Während dem Geistlichen aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis geradezu "schlecht wird", wenn er durch Oberndorf fährt, versuchen seine Oberndorfer Kollegen Albrecht Zepf und Stephan Lampart ihr Dilemma in Worte zu fassen. Die seelsorgerische Arbeit schließe alle Oberndorfer ein, egal, wo sie arbeiten, ist ihr Fazit.

Roland Biswurm ist einer der Hauptprotagonisten des Films. Ob sich Wolfgang Landgraeber mit dieser Wahl einen Gefallen getan hat, sei dahin gestellt. Biswurm polarisiert nicht erst seit seiner Kandidatur zum Bürgermeister von Oberndorf. Einen bunten Paradiesvogel habe er sich ausgesucht, begründet der Regisseur und Autor seine Entscheidung. So einer habe oft Interessanteres zu sagen als ein städtischer Angestellter. Womöglich lag es aber auch daran, dass die Verwaltungsspitze Interviewanfragen rundweg abgelehnt hatte.

Einen geradezu gelassenen Eindruck hinterlässt der ehemalige Betriebsratsvorsitzende von Heckler & Koch – sowohl im Film als auch bei der anschließenden Diskussion. "Wie kann man solche Gewehre bauen, und anschließend am Abend beruhigt in den Spiegel schauen?", wird Edgar Hagen von Landgraeber gefragt. Hagen ist davon überzeugt, dass die Ursachen für Kriege wo ganz anders liegen – "in der Armut und dem Nichtteilhaben an Demokratie in Ländern, die oft von Diktatoren geführt werden." Er sagt das ganz ruhig. Der Mann scheint mit sich im Reinen zu sein.

Hagen betont aber auch, dass HK-Beschäftigte, die sich illegal verhalten hätten, vor den Kadi gehörten. Es sei allerdings zu klären, inwieweit nach Maßgaben der Bundesregierung gehandelt worden sei. Und er vermisst im Film, dass auch die Polizei mit Waffen ausgestattet werden müsse, um Grundrechte zu schützen. Der Titel des neuen Landgraeber-Films habe ihn schon sehr schockiert.

Ulrich Pfaff, evangelischer Diakon, berichtet im Film davon, wie sein Vater vor vielen Jahren im Vorgarten seines Hauses in Altoberndorf ein Mahnmal für die Zwangsarbeiter aufgestellt hat. Und er erzählt, dass auch in der Historie seiner Familie "vom Töten gelebt" wurde. Damit war der Filmtitel geboren.

Viele Zuschauer im Oberndorfer Kino fühlen sich davon provoziert, hätten sich zumindest ein Fragezeichen hinter "Vom Töten leben" gewünscht. Die Hälfte der Gäste verlässt den Saal ohnehin vor der Diskussion.

Kommentar: Provokant ist nur noch der Titel

Von Marcella Danner

Als "Fern vom Krieg" im Oberndorfer Kino gezeigt wurde, war ich 16 Jahre alt, trug Latzhosen, war Mitglied in der Naturfreunde-Jugend und voller Bewunderung für den Regisseur Wolfgang Landgraeber. Es ist das Recht der Jugend, den Finger in die Wunde zu legen. Mittlerweile sind mehr als 30 Jahre vergangenen. Und es ist die Pflicht der Erwachsenen, Dinge reflektierter zu sehen.

Mit der Herstellung von Waffen ist kein moralischer Blumentopf zu gewinnen. Das dürfte allen Oberndorfern klar sein. Doch die Welt ist nicht nur Schwarz und Weiß. Die Realität bildet sich in vielen Graustufen ab. Mit seinem neuen Film "Vom Töten leben" möchte Landgraeber mit den Oberndorfern in den Dialog eintreten. Auch der Fernsehjournalist und Filmemacher ist älter und womöglich weiser geworden. Die Hau-Drauf-Mentalität seiner Sturm- und Drang-Zeit als junger Reporter habe er abgelegt, sagt er. Seine journalistische Haltung habe sich geändert. Damals, in "Fern vom Krieg", zeigte Landgraeber die Stadtkapelle beim Narrenmarsch und schnitt direkt dahinter Soldatenaufmärsche. Das hat die Oberndorfer geärgert, auch verletzt. Viele begegnen deshalb seinem neuen Projekt mit Ablehnung, oder zumindest mit Skepsis.

Provokant ist aber eigentlich nur noch der Titel seines neuen Films. "Wir sind doch hier keine Mörder", ruft ein Zuschauer in die Runde. "Es nervt mich einfach, dass hier eine ganze Stadt in Sippenhaft genommen wird", sagt leise der evangelische Stadtpfarrer Gerhard Romppel, der als Zuschauer ins Kino gekommen ist. Ansonsten erfährt das Publikum nicht viel Neues. Von einer "Mauer des Schweigens" ist die Rede. Das mag stimmen. Viele Oberndorfer möchten sich nicht mit einem Fremden über ihre Sorgen und Nöte in Zusammenhang mit der Waffenproduktion unterhalten. Das heißt noch lange nicht, dass sie keine haben. Von einem Fluch zu sprechen, der über der Stadt liegt, scheint aber doch sehr weit hergeholt. Es ist vielleicht der dramaturgischen Zuspitzung eines Films geschuldet, dass er die Neckarstadt so darstellt, als leide sie förmlich an ihrer Waffenproduktion. Was für Einzelne durchaus zutreffen mag, ist im Alltag Oberndorfs so nicht auszumachen. Seit der Strukturkrise Anfang der 1990er-Jahre sind Heckler & Koch und Mauser längst nicht mehr die Arbeitgeber, bei denen die Mehrzahl der Menschen hier beschäftigt sind. Mittlerweile gehören zahlreiche andere Industriebetriebe und Dienstleister zum Bild der Stadt.

Roland Biswurm ist einer der Hauptprotagonisten des Films. Ob sich Wolfgang Landgraeber mit dieser Wahl einen Gefallen getan hat, sei dahin gestellt. Biswurm polarisiert nicht erst seit seiner Kandidatur zum Bürgermeister von Oberndorf. Einen bunten Paradiesvogel habe er sich ausgesucht, begründet der Regisseur und Autor seine Entscheidung. So einer habe oft Interessanteres zu sagen als ein städtischer Angestellter. Womöglich lag es aber auch daran, dass die Verwaltungsspitze Interviewanfragen rundweg abgelehnt hatte.

Mehr als 30 Jahre nach "Fern vom Krieg" kochen die Emotionen nicht mehr so hoch. Einige junge Naturfreunde von damals haben inzwischen Enkel, meine Latzhosen sind längst in der Altkleidersammlung und die Dialogfähigkeit hat sich verbessert – und zwar auf allen Seiten. Darauf lässt sich aufbauen.