Laut Anklage wurden von 2006 bis 2009 fast 4500 Sturmgewehre vom Typ G36 und Zubehör in mehrere Unruhe-Regionen Mexikos geliefert, wohin die Waffen gar nicht hätten exportiert werden dürfen. (Symbolfoto) Foto: Seeger

Erste Vernehmung in Verhandlung wegen Heckler & Koch-Waffenexporten. E-Mails mit "Vorschlägen" werfen Fragen auf.

Oberndorf/Stuttgart - Tränen und erbitterte Dementis einerseits, dubiose E-Mails und zahlreiche Erinnerungslücken andererseits: Der zweite Verhandlungstag im Prozess gegen fünf ehemalige Mitarbeiter des Waffenherstellers Heckler & Koch (HK) aus Oberndorf gewährte zwar erstmals tiefere Einblicke in die betriebsinternen Abläufe der Organisation von Waffenexporten. Über die mögliche Schuld der Angeklagten aber dürften die neuen Erkenntnisse eher noch mehr Fragen als Antworten aufgeworfen haben.

Vor dem Stuttgarter Landgericht wirft die Staatsanwaltschaft fünf Ex-Mitarbeitern und einem Mexiko-Vertreter von HK – ihn erwartet ein separates Verfahren – vor, zwischen 2006 und 2009 für den illegalen Export von Waffen und Zubehör (Gesamtwert 4,1 Millionen Euro) in mexikanische Unruhe-Regionen verantwortlich gewesen zu sein. Im Kern dreht sich der Prozess bisher um die Frage, ob die Erklärungen über den geplanten "Endverbleib" der Waffen manipuliert wurden.

Laut Staatsanwaltschaft hat HK mexikanische Bundesstaaten wie Chiapas und Guerrero beliefert, obwohl Waffenexporte in diese Regionen wegen der kritischen Menschenrechtslage verboten seien. Der angeklagte Ex-Geschäftsführer von HK, Peter B., hatte bereits beim Prozessauftakt am Dienstag betont, dass es gar keine "Verbotsstaaten" gebe. "Allenfalls genehmigungsrechtlich bedenkliche Staaten" existierten "aus Sicht der Behörden", behauptete B.

Ex-Geschäftsführern sollen "Verbotsstaaten" nicht bekannt sein

Der Anwalt des früheren Geschäftsführers Joachim M. bestätigte dazu am Donnerstag, was andere Verteidiger schon am Dienstag erklärt hatten: Die Waffen seien vom mexikanischen Verteidigungsministerium bestellt worden. Nach deren Lieferung nach Mexiko-Stadt sei die Verantwortung auf die Behörden vor Ort übergegangen. Zudem ließ Joachim M. erklären, dass auf den Erklärungen der mexikanischen Behörden über den Endverbleib der Waffen nur der "Staat Mexiko" angegeben worden sei. Einfluss auf die Erklärungen habe er nie genommen.

Die verschiedenen Bundesstaaten rückten ebenfalls bei der Vernehmung der Ex-Sachbearbeiterin Marianne B. in den Mittelpunkt. Sie war die Erste auf der Anklagebank, die sich den Fragen des Vorsitzenden Richters Frank Maurer und der Staatsanwaltschaft stellen musste. Dabei wurde schnell klar, was in den kommenden Monaten noch öfter zum Problem für das Gericht werden könnte: Eine häufige Antwort von Marianne B. lautete, dass sie über verschiedene Vorgänge nichts gewusst habe, sondern nur der ihr vorgesetzte Vertriebsbereichsleiter – der allerdings seit 2015 tot ist.

"Das war immer Sache von ihm", sagte sie etwa auf Maurers Frage, wie sie davon erfahren habe, wenn es mit Blick auf die Genehmigung von Mexiko-Exporten "Probleme mit Bundesstaaten" gegeben habe. Während die beiden ehemaligen Geschäftsführer also erklären, von "Verbotsstaaten" sei ihnen nichts bekannt gewesen, legte die Sachbearbeiterin nun offen: Ja, sie habe Diskussionen zwischen dem Mexiko-Vertreter und ihrem Vorgesetzten über die "Genehmigungsfähigkeit" einzelner Bundesstaaten mitbekommen.

Und ja, nachdem das Bundeswirtschaftsministerium Bedenken wegen der Genehmigung von Exporten in bestimmte Regionen angemeldet hatte, habe in den Erklärungen über den Endverbleib der Waffen ein "Austausch" der zu beliefernden Bundesstaaten stattgefunden. Auf Nachfragen des Richters legt sie immer wieder längere Pausen ein, blickt zu ihrem Verteidiger und entgegnet häufig, sich nicht erinnern zu können.

Sie erklärte aber auch, dass diese Erklärungen von den mexikanischen Behörden ausgestellt und an HK geschickt worden seien. Aus Oberndorf seien die Erklärungen aber nur an deutsche Kontrollbehörden weitergeleitet worden.

Vorgesetzter erhält nur Kopie vieler Nachrichten an die Angeklagte

Allerdings hatten der Mexiko-Vertreter von HK und seine Frau – sie war ebenfalls in die Geschäfte involviert – offenbar starken Einfluss auf den Inhalt der Erklärungen. Das jedenfalls legen E-Mails nahe, die das Gericht am Donnerstag präsentierte: Darin heißt es in einer Nachricht von Marianne B.s E-Mail-Adresse an die Frau des Vertreters nach Mexiko: "Neue Endverbleibsbescheide" würden gebraucht, weil die "Genehmigungen aus Berlin schwieriger werden". Die Nachricht ist mit dem Namen des Mexiko-Vertreters unterschrieben, er hielt sich nach Angaben der Angeklagten zu diesem Zeitpunkt in Oberndorf auf.

Auf einer Kopie der gleichen E-Mail findet sich eine handschriftliche Anmerkung von Marianne B., die sie als solche vor Gericht bestätigte. Sie richtet sich namentlich an den damaligen Geschäftsführer: "Guerrero muss raus (Länder, Menschenrechte....)", ist darauf zu lesen. Als Maurer fragt, was damit gemeint sei, antwortet die Angeklagte: "Ich weiß es nicht mehr." Jedenfalls habe es ihr zufolge stets mehrere Wochen gedauert, bis eine neue Erklärung über den Endverbleib der Waffen eintraf – in diesem Fall aber seien lediglich zwei Tage vergangen. Einzige Änderung: Der Staat Guerrero tauchte nicht mehr auf.

In einer anderen E-Mail bezüglich einer Lieferung von 1000 Magazinen fragt der damalige Mexiko-Vertreter die Sachbearbeiterin: "Welche Staaten sollen in die EUC (Endverbleibserklärung, Anm. d. Red.) aufgenommen werden, bzw. wären für künftige Kunden i.O.?"

Später schlägt der Mexiko-Vertreter selbst mehrere – als unbedenklich geltende – Bundesstaaten für die Lieferung von 2480 G36-Gewehren vor. Warum sich dieser damals mit "Vorschlägen" nach Oberndorf wandte, obwohl mexikanische Behörden für die Angaben zuständig waren? "Das weiß ich auch nicht", beteuert Marianne B. Ein weiteres Detail, das zusätzliche Fragen aufwirft: In den meisten dieser E-Mails taucht die Sachbearbeiterin als Hauptadressatin auf, ihr heute verstorbener Vorgesetzter erhielt sie nur in Kopie.

Eine Erklärung gab zudem Wolfram M. ab, ein weiterer Ex-Mitarbeiter von HK, dessen Tatbeteiligung in der Anklage lediglich als "fahrlässig" beschrieben wird – bei allen anderen Angeklagten ist von "Vorsatz" die Rede. Er sei im betreffenden Zeitraum nur Stellvertreter des damaligen Vertriebsleiters gewesen, sagte er. In dieser Funktion habe er aber keinen Kundenkontakt gehabt. Endverbleibserklärungen habe er lediglich weitergeleitet, "eine Überprüfung war nicht meine Aufgabe".

Zum Ende seiner Aussage kämpft er mit den Tränen und erklärt, er sei "fassungslos", dass er auf dieser Anklagebank sitzen müsse: "Die Vorwürfe kann ich nicht nachvollziehen."