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Rüstungskonzern Heckler & Koch soll für Aufträge nach Mexiko Schmiergeld gezahlt haben.

Oberndorf - Dichter Nebel streut das Licht der Herbstsonne schrillweiß über die Stadt. Kaum 50 Meter Sicht in der Neckarstadt Oberndorf an diesem Morgen, gegen die Sonne gleich null. Auf dem Lindenhof in der 14.000-Einwohner-Stadt, dem Sitz des Waffenherstellers Heckler & Koch (HK), verhüllen die gleißenden Schwaden Szenen wie aus einem Kriminalfilm: Dutzende Polizeifahrzeuge stehen über Stunden in Reih und Glied auf dem kameraüberwachten und umzäunten Gelände der Waffenschmiede. Lange geschieht nichts, Stille.

Trotzdem ist durchgesickert, dass es eine Razzia gegeben hat: Schaulustige versuchen wieder und wieder einen Blick zu erhaschen, fahren langsam an der HK-Zufahrt vorbei, geben auf, fahren weiter - die Sicht ist zu schlecht. Währenddessen durchsuchen 300 Beamte die Firma.

Unerwartet setzt sich am späten Vormittag ein Tross der Polizeibusse in Bewegung. Nacheinander, fast wie im Gänsemarsch, schiebt sich ein Bus nach dem anderen behäbig vom Firmengelände, biegt ab, in Richtung Autobahn.

Die Vorwürfe, die der Trupp überprüfen will, haben es in sich: HK soll jahrelang Bestechungsgelder bezahlt und im Gegenzug Lieferaufträge für Waffen nach Mexiko erhalten haben. Dass HK das Land irgendwann zwischen 2005 und 2010 illegal belieferte, vermutet die Staatsanwaltschaft schon länger. Seit Ende 2010 läuft bereits ein Verfahren gegen Verantwortliche wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschafts- und Kriegswaffenkontrollgesetz - damals hatte die Staatsanwaltschaft Stuttgart die Geschäftsräume schon einmal durchsucht; allerdings nur mit 20 Mann.

Firma und sechs Privatwohnungen werden gefilzt

"Nach Mexiko darf man zwar liefern, nicht aber in Unruheregionen", erklärt die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Stuttgart, Claudia Krauth, unserer Zeitung. In eben diesen Provinzen seien aber HK-Waffen aufgetaucht.

Nun kommen Vorwürfe über mögliche Schmiergeldzahlungen dazu. Hintergrund der neuen Durchsuchungen sind laut Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt (LKA) besagte Lieferungen nach Mexiko. HK-Verantwortliche sollen in dem mittelamerikanischen Land Amtsträger bestochen haben. "Wir wissen natürlich, wer in Mexiko das sein könnte", sagt Krauth. "Es war nicht nur einer, aber es waren auch nicht Unmengen daran beteiligt."

Wer in Deutschland genau seine Finger im Spiel gehabt haben könnte, das verraten die Ermittler nicht. Das LKA in Stuttgart lässt aber durchsickern: Neben dem Unternehmenssitz in Oberndorf seien sechs Privatwohnungen im Großraum Rottweil durchsucht worden. Ob alle infrage kommenden Verantwortlichen noch bei HK tätig sind, dafür gab es weder Bestätigung noch Dementi. "Die Ermittlungen laufen noch, dazu können wir derzeit nichts sagen", sagt Ulrich Heffner vom LKA unserer Zeitung.

"Stehen am Anfang unserer Ermittlungen"

Möglicherweise kommen die Ermittler auch in Deutschland einflussreichen Personen aus Behörden und Politik auf die Spur. Korruption ist nicht allein in Mittelamerika denkbar. Krauth: "Es gibt den Anfangsverdacht, dass deutsche Amtsträger bestochen worden sein könnten." Dabei könnte es um die Genehmigungen zum Waffenexport gehen. Diese Erlaubnis erteilen darf laut Kriegswaffenkontrollgesetz das Bundesministerium für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Laut dem Rüstungsexportbericht 2009 kann auch der Bundessicherheitsrat herangezogen werden. Wer verstrickt sein könnte, darüber gibt sich Krauth schweigsam: "Hier stehen wir wirklich noch ganz am Anfang unserer Ermittlungen."

Möglich, dass die Vorwürfe in sich zusammenfallen. Heckler & Koch gibt sich nach den neuen Negativ-Schlagzeilen jedenfalls bedeckt: "Noch gibt es keine Stellungnahme", erklärt HK-Pressesprecherin Martina Tydecks gestern Nachmittag. Im März 2011 allerdings hatte sich das Unternehmen noch geäußert. Damals hieß es: "Heckler & Koch lieferte nie Gewehre an mexikanische Provinzen." Vertragspartner für Exporte nach Mexiko sei die zentrale Beschaffungsbehörde D.C.A.M. gewesen. HK könne die autorisierte Genehmigung für jedes einzelne Gewehr belegen. Eine ähnliche Stellungnahme datiert auf den 28. Februar: "Dem Bundesministerium der Wirtschaft als zuständiger Genehmigungsbehörde wurden immer alle Unterlagen im Rahmen der Exportkontrolle vorgelegt."

Mögliche Schmiergeldzahlungen weist der Oberndorfer Waffenhersteller in der Meldung vom 16. März weit von sich: "Es sind nie Bestechungsgelder von Heckler & Koch an Repräsentanten mexikanischer Behörden geflossen, um den Verkauf von Produkten zu fördern."

Auswertung kann Wochen dauern

Das sehen die Staatsanwaltschaft Stuttgart und das Landeskriminalamt anders. In deren Pressemitteilung heißt es am Donnerstag eindeutig: "Verantwortlichen des Unternehmens wird vorgeworfen, seit mehreren Jahren Amtsträger durch Zuwendungen von Bargeld bestochen zu haben, um Lieferaufträge für Waffen zu erlangen."

Das wollen die Behörden nun beweisen: Schriftliche Unterlagen und elektronische Datenträger hatten die 300 Beamten nach der Razzia jedenfalls im Gepäck - 80 von ihnen schickte das LKA, 220 die Bereitschaftspolizei, außerdem standen zwei Staatsanwälte vor der Tür. Kontoauszüge, Hinweise auf Zahlungen: Das sei es, was in Schmiergeld-Fällen interessant sei und beschlagnahmt werde, berichtet Krauth. Die Auswertung werde Wochen dauern, schätzt Heffner. "Es ist zu früh, irgendetwas festzustellen."

Erst vor einigen Wochen war das Unternehmen in die Schlagzeilen geraten, als in Libyen bei Truppen des Ex-Machthabers Muammar al-Gaddafi G36-Gewehre von Heckler & Koch gefunden worden waren. HK hatte betont, die Waffen seien legal nach Ägypten geliefert worden. Die Staatsanwaltschaft vermutet jedoch, dass Gaddafis Sohn Saadi selbst das Geschäft bei einem Besuch in Oberndorf 2003 eingefädelt haben könnte. Doch noch lichten sich die Nebel über Oberndorf am Neckar nur wenig.