Ist das G36 für die Bundeswehr unbrauchbar? Das sagt auf jeden Fall Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Foto: dpa

Von der Leyen hält umstrittenes Sturmgewehr für unbrauchbar. Ersatzwaffe könnte erneut vom Oberndorfer Waffenhersteller Heckler & Koch kommen.

Berlin/Oberndorf - "Keine Zukunft in der Bundeswehr", das ist das Machtwort. In kurzen, knappen Worten macht die Bundesverteidigungsministerin dem G36 in seiner jetzigen Form den Garaus. Ein Paukenschlag, schließlich soll das Standardgewehr der Truppe ersetzt werden.

Genau das hat der Bundeswehrverband wenige Stunden zuvor gefordert. Zwar vertrauten die Soldaten weiter dem G36, sagt Verbandschef André Wüstner. Sie erwarteten aber, dass "eine neue Waffe beschafft wird – und das wesentlich schneller als in den anvisierten zehn Jahren".

Doch dass Ursula von der Leyen (CDU) tatsächlich so schnell Ernst macht, ist eine Überraschung. Und die hängt weniger vom Bundeswehrverband ab als vielmehr von einem Expertengutachten. Dieses liegt seit Freitag vor und stellt der Waffe ein vernichtendes Zeugnis aus. Im Detail: Die Trefferquote des G36 sinkt bei extremer Erhitzung von vorgegebenen 90 auf nur 7 Prozent, so die Studie. Ähnlich schlechte Ergebnisse gibt es unter Dauerfeuer.

Also muss ein für Extremeinsätze geeigneteres Gewehr her. Die Suche danach könnte kompliziert werden. Denn: In den Vergleichstests der Experten schneidet nur ein einziges Gewehr im grünen Bereich ab. Dabei soll es sich nach Angaben aus dem Verteidigungsausschuss wiederum um eine Spezialanfertigung des G36-Herstellers Heckler & Koch (HK) handeln. Das erklärt eine weitere Äußerung von der Leyens: Sie kann sich eine neue G36-Version als Ersatz vorstellen.

In Stein gemeißelt ist das aber noch nicht. Von der Leyen macht sich erst mal ans Ausmustern. Bei den Spezialkräften und in den Einsatzgebieten müsse der Austausch "mit Hochdruck" erfolgen, sagt die Ministerin. "Ein gesamtes Ersetzen des Gewehres wird sicherlich nicht binnen Jahresfrist gehen, sondern wird eine längere Zeit dauern", räumt sie ein. Das Bundesamt für Ausrüstung der Bundeswehr rechnet mit bis zu zehn Jahren.

In Oberndorf am Neckar, dem Sitz des Herstellers, reibt man sich am Mittwoch verwundert die Augen. Wieder einmal. Noch am Dienstag war keine schnelle Entscheidung zu erwarten. Von der Leyens Ministerium teilte mit, das Gutachten – immerhin 372 Seiten stark – fünf bis sechs Wochen lang auswerten zu wollen. Heckler & Koch wiederum erklärte, vom Verteidigungsministerium noch nicht einmal über das Gutachten informiert worden zu sein.

Selbst die Nachricht zur Ausmusterung erhält HK nur aus zweiter Hand, wie das Unternehmen unserer Zeitung mitteilt. "Weiterhin liegen uns keine Informationen über eine etwaige Ausmusterung des Sturmgewehrs G36 durch die Bundeswehr vor." Kurz und knapp betont der Waffenhersteller: "Heckler & Koch steht für einen Dialog mit dem Bundesministerium der Verteidigung zur Verfügung. Wir bedauern, dass auf unser Angebot hierzu bislang keine Reaktion erfolgte. Sobald uns weitere Informationen zum Vorgang vorliegen, behalten wir uns eine weitere Prüfung vor."

Seit mehr als 60 Jahren ist HK nach eigenen Angaben "Partner für Sicherheitskräfte, Polizei und Sondereinsatzkräfte der Bundeswehr, der Nato und Nato-assoziierter Staaten". Im Sortiment: Pistolen, Maschinenpistolen, Sturm- sowie Präzisionsgewehre, Maschinengewehre, Trainingssysteme und 40 mm-Systeme. Ein Imageschaden droht.

Das Unternehmen ist nach wie vor von der Qualität seiner Waffen überzeugt. Laut eigenen Untersuchungen wurden am G36 keine Mängel entdeckt. Diese Meinung stützt der Linke-Fraktionsvize Jan van Aken. Nach der Ausschusssitzung sagt er: Vermutlich könne noch nicht einmal Schadenersatz eingefordert oder eingeklagt werden. Denn: "Die Gewehre entsprechen den Lieferbedingungen. Da ist eben ein schlechter Vertrag abgeschlossen worden." Das ist neu. Auch Heckler & Koch hatte immer wieder betont, die Lieferbedingungen einzuhalten. Die  Ministerin verliert darüber allerdings kein Wort.

Von der Leyen prescht auch voran, weil sie von der Opposition mit Argusaugen beobachtet wird. Die CDU-Politikerin, seit Ende 2013 die erste Frau an der Spitze der Bundeswehr, muss sich immer wieder Kritik gefallen lassen. Zum Beispiel wegen des G36: Sie habe sich zu spät um die Klärung der Vorwürfe gekümmert, schallt es aus Richtung Opposition. "Man muss mittlerweile von systematischer Vertuschung sprechen", erklärt Grünen-Politikerin Agnieszka Brugger. Der Linken-Politiker van Aken sagt: "Wir wissen, dass vieles heruntergespielt wurde."
Oder: Nach Meldungen über marode Waffensysteme bei der Bundeswehr bekommt von der Leyens Ansehen bei den Bundesbürgern im vergangenen Herbst Kratzer  – im   ZDF-Politbarometer äußert nur rund ein Drittel (34 Prozent) die Erwartung, dass die Ministerin die Probleme in absehbarer Zeit in den Griff bekommen werde.

Und: Der scheidende Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus (FDP) prangert im Januar teils unzumutbare Mängel bei Ausrüstung und Kasernen an und verlangt mehr Geld für die Truppe. Die Bundeswehr stehe an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, heißt es in seinem letzten Jahresbericht – am Donnerstag wird er ihn im Bundestag vorstellen.

Damit nicht genug. Als von der Leyen Anfang 2014, kurz nach Amtsantritt, für eine familienfreundlichere Bundeswehr wirbt, schlägt ihr Häme entgegen. Kinderbetreuung in den Kasernen: Nicht wenige machten sich über diesen Kurs lustig.

Also liefert sie jetzt, wohl wissend, dass einige ihrer Vorgänger in dem Schleudersitz-Amt scheiterten – und in der Folge in der politischen Versenkung verschwanden. Von der Leyen, so wird es ihr nachgesagt, hat noch Großes vor, Kanzleramtsträume nicht ausgeschlossen.

Kein Wunder, dass sie sich als Aufräumerin präsentiert. 167.000 G36 werden ausrangiert. Und weitere Untersuchungen laufen – zum Beispiel dazu, ob Soldaten zu Schaden kamen, weil sie das G36 nutzten. Von der Leyen will sich ebenso nichts nachsagen lassen wie Thomas de Maizière (CDU). Der frühere Verteidigungsminister – auch während seiner Amtszeit gab es wiederholt Kritik am Sturmgewehr G36 – ließ erklären, dass er "aktuell" nicht plane, sich zu der Affäre zu äußern. Er könnte in den Verteidigungsausschuss eingeladen werden, sei aber nicht verpflichtet zu kommen. Trotzdem könnte es für den heutigen Innenminister brenzlig werden, wenn er erklären muss, warum er nicht schon vor Jahren handelte. Und die Verteidigungsministerin wäre halbwegs aus dem Schneider.

Welche Waffe oder Version auf das G36 folgt, darüber muss von der Leyens Haus jetzt entscheiden. Zunächst soll die Aufklärung im Verteidigungsausschuss fortgesetzt werden. Ein Vorgehen, das auch aus Oberndorf verfolgt werden wird. Dort hat man den Eindruck, zum Spielball von Machtpolitik und Willkür geworden zu sein.