Foto: Schwarzwälder Bote

Baukultur: Veranstaltung zu Stadtentwicklung und Gestaltung lockt 140 Besucher ins Bonhoeffer-Haus

Vielleicht hat nicht jeder etwas dazu zu sagen, doch Bauen geht jeden an. Weshalb das so ist, und was das, nicht zuletzt mit Blick auf die Entwicklung Oberndorfs, bedeuten kann, war Thema im Bonhoeffer-Haus.

Oberndorf. An die 140 Besucher wollen die Gelegenheit nutzen, drei ausgewiesene Experten in Sachen Gestaltung zu hören. Dafür nehmen sie in Kauf, auf der Treppe zur Empore Platz nehmen oder sich die fast drei Stunden erst lehnend, irgendwann sitzend die Tische im hinteren Bereich benützen zu müssen. Die Interessen sind sicher vielfältig. Das Interesse an der Pflege des historischen Erbes mag mitspielen, oder das Bekenntnis zu moderner Architektur; da sind die Überzeugung, dass es eine Idee zur Planung eines zukunftsfähigen Konzepts für die Stadt, oder doch wenigstens Stadtquartiere braucht, und der Wunsch nach Prosperität. Nach fast drei Stunden ist deutlich: Alle diese vermeintlich konkurrierenden Aspekte sind nicht nur Teil eines Ganzen, sondern können in diesem von einander profitieren.

Zum "1. Oberndorfer Tag der Baukultur" eingeladen hat eine Gruppe Bürger, die augenscheinlich unzufrieden mit der Entwicklung "ihrer" Stadt Oberndorf sind, die Fragen stellen wie "Wer ist die Stadt?", oder "Wie kann Oberndorf mit Baukultur Geld verdienen?", und letzteres nachhaltig. Es gibt wohl Handlungsbedarf, den vielleicht nicht jeder konkretisieren kann, der aber in Feststellungen wie jener aus einem sozialen Netzwerk greifbar wird, die Moderatorin Marcella Danner von der Lokalredaktion des Schwarzwälder Boten eingangs zitiert: Es gebe bald keine Motive mehr, die man auf den Rücken eines Narro malen könne, habe eine Userin dort gepostet. Weshalb das mit den Motiven so ist, will nicht nur Danner wissen, und wie sich solches, das sich einerseits konkretisieren lässt, andererseits aber auch für ein Gefühl steht, ändern lässt.

Zu Gast ist der Architekt Klaus Fehrenbach, der vor Jahren die Gruppe "amPuls" mitbegründet hat – aus der Erkenntnis heraus, dass im "magischen Dreieck" zwischen Politik/Verwaltung, Planer/Architekten und Bürger/Bewohner mancher Winkel zu spitz wird, wenn Information, Konzeption und Teilhabe auf der Strecke bleiben. Einfache Instrumente hat seine Gruppe entwickelt, um die Winkelsumme wieder so zu verteilen, dass alle drei Seiten gut damit – darin – leben können.

Zu Gast ist Rainer Prewo, der als Oberbürgermeister von Nagold auf den Leidensdruck reagieren musste, den das Sterben einer alten Innenstadt bei den Menschen erzeugt. Nach Verbannung der Bundesstraße aus der Stadt und der Chance und Herausforderung, diesen neu gewonnenen öffentlichen Raum zu gestalten, haben sich die Nagolder als Pioniere im Ländle einen Gestaltungsbeirat geleistet. Wo früher Abfluss war, habe es bereits Investitionsinteressen von außen gegeben. Noch wichtiger: Der eigene inhabergeführte Einzelhandel war – zurecht, wie sich zeigt – im Gegensatz zu wenigen Jahren zuvor von der Zukunftsfähigkeit des Standorts überzeugt.

Zu Gast ist schließlich Patrick Schreib, Tourismusdirektor von Baiersbronn, wo der 2016 ins Werk gesetzte Gestaltungsbeirat bereits zweieinhalb Dutzend Projekte in Beratung hatte. Er hat ein unschlagbares Beispiel dabei: Wenn bestimmte Faktoren erfüllt sind, "können wir Touristiker kommen und Prospekte machen – für Gäste und die eigenen Leute". Denn nur wenn die sich mit der Stadt identifizieren, sich wohlfühlen, werden das die Gäste tun.

Alle drei berichten in beispielreichen Vorträgen, die der anschließenden Fragerunde viel vorweg nehmen, von positiven Erfahrungen mit externer Expertise. Dabei geht es nicht um "Geschmackspolizei", wie Fehrenbach ausführt. Bereits die Existenz eines Gestaltungsbeirats liefere Bereitschaft, auch andere Meinungen zu akzeptieren, stellt Prewo fest, der mit seinen Podiumskollegen von wichtigen Impulsen berichten kann, die Projekte voran bringen und ihnen öffentlichen Rückhalt verschaffen. Mithin so etwas wie Identifikationsfläche für die Bürger, also ein bisschen etwas wie die Antwort auf die Frage nach den Motiven auf dem Narrenkleid.

Über Architektur lässt sich streiten. Und wie! Das fängt nicht erst bei der Gestaltung an. Übrigens kein ganz neues Phänomen, denn diese Gebilde, die man in die Landschaft, gerne auch in eine Stadtlandschaft, stellt, sind ja Aussagen. Und sie haben in aller Regel Bestand. Gebaut wird normalerweise nicht für die nächsten fünf Jahre. Eine Null sollte mindestens noch dranhängen. Gut, es soll Sonnensegel geben, die es im Laufe der Jahre bis zum Wintergarten mit Betonfundament gebracht haben. Dürfte aber eher die Ausnahme sein, und wenn’s hinterm eigenen Häuschen unter Bäumen ist – Schwamm drüber. Privatsache. Da mag Eigentum zwar verpflichten, doch ist die Last nicht groß, die (Bau-)Sünde lässlich. Wer allzu lässig in den öffentlichen Raum tritt, hat dagegen mit anderen Faktoren zu rechnen.

Hier gibt es eine Verpflichtung. Punkt. Denn es gibt nur eine künstlerische Äußerungsform, der sich der Mensch nicht entziehen kann, seit er begonnen hat, sich zu zivilisieren: die Gestaltung der Behausung. Egal wie, man kann dieser manifest gewordenen Äußerung allenfalls auf Expedition und unter Verzicht auf jegliches Attribut, das vor Wetterunbilden schützen mag, entfliehen. Innerhalb von Siedlungsstukturen? Fehlanzeige.

Wir Menschen bewegen uns innerhalb dieser Strukturen. Sie bilden Räume – Wohn- und Arbeitsräume innerhalb der Mauern, Aufenthalts-, Verkehrs- und Lebensraum außerhalb. Da ist nichts mit Augen zu und durch. Da gibt es eine Verpflichtung, da das Private öffentlich ist. Und öffentlich ist längst manches, was die Erbauer vor Jahrzehnten oder gerne auch Jahrhunderten so vielleicht gar nicht gesehen haben. Denn nicht alles erhebt den Anspruch, repräsentativ zu sein, allerdings ist in diesem gestalterischen Bereich alles Repräsentation. Entsprechend genau sollte man hinschauen. Nicht erst, wenn’s zu spät ist. Kann man sich in fremden Zurschaustellungen wohlfühlen? Ja, man sollte sich wohlfühlen in Siedlungsräumen, sollte bei aller nötigen Reflexion sie als "Heimat" erkennen – oder besser: empfinden – können.

Jeder der Referenten beim Tag der Baukultur hat Beispiele gefunden, wie man dahin kommt. Jeder hat, nebenbei, auch von einem Mehrwert berichtet, der sich bei fast jedem Beispiel in Geld ausdrücken lässt. Dabei lässt sich über die Gestaltung, die dieses Geld bringt, streiten. Und wie! Dabei geht es nicht um Alt oder Neu. Klar, wenn heute alte Häuser gebaut werden, läuft etwas schief. Architektonische Eingriffe müssen zeitgemäß sein. Das hat ein Haus, hat eine Stadtlandschaft verdient. Sie müssen aber auch so sein, dass Identität nicht verloren geht, beziehungsweise neue Identität wachsen kann. Diese fällt dann aber nicht vom Himmel, sondern muss sich aus dem Gesamten entwickeln. Schwierig, wenn dann was stört. Ein Problem, wenn die Moderne rückblickend als Mode erscheint, der man gerne eine neues Mäntelchen umhängen würde. Geht nicht. Bauten sind keine Schaufensterpuppen. Da wäre es nicht schlecht, wenn ausgewiesene Expertise von außerhalb begleiten und Impulse geben könnte. Eben das, was einem Beirat so zugeschrieben wird.

Dass diese Herren Architekten jede alte Kiste vergolden, ist übrigens ein Gerücht. Nicht alles, was überkommen ist, muss Teil der Stadtlandschaft bleiben. Schlecht gebaut hat man auch schon früher. Zu denken, Moderne sei ein Wert an sich, ist allerdings genau so wenig in die Zukunft gedacht. Zu ermöglichen, dass es Projekte in die Zukunft schaffen, künftig Identität stiften, erfordert Qualität. "Das Bess’re ist des Guten Feind", heißt es nicht umsonst. Für die Menschen sollte das Bestmögliche gut genug sein. Das muss man kommunizieren, offen entwickeln. Nur dann können es sich die Menschen zu eigen, zu ihrer Heimat machen