Im Pfalzstollen haben die Oberndorfer vor Fliegerangriffen Schutz gesucht. Viele befanden sich dort, als die Truppen einmarschierten. Der Bunker befindet sich beim jetzigen Seniorenzentrum.Fotos: Weber Foto: Schwarzwälder Bote

Kriegsende: Französische Truppen marschieren am 20. April in Oberndorf ein / Frauen und Kinder im Stollen

Der 20. April 1945 mag für einige Bewohner Oberndorfs und ihre Familien ein sehr bitterer Tag gewesen sein. Diese Wenigen flüchteten. Für einen Großteil der Oberndorfer war es ein Tag der Erleichterung, aber auch der Ungewissheit, welche Behandlung von den einrückenden alliierten Truppen erwarten dürfe.

Oberndorf. Für Tausende von politischen Häftlingen, Kriegsgefangenen, und Zwangsarbeitern aber war es der Tag der so lange herbeigesehnten Befreiung und dem Ende ihrer Leiden.

Am 20. April 2020 jährt es sich zum 75. Mal, dass französische Truppen in Oberndorf dem menschenverachtenden Hitler-Regime ein Ende setzten. Schon Wochen vorher konnte der Bevölkerung immer schwieriger der Glaube an den "Endsieg" vermittelt werden.

Panzer aus Richtung Freudenstadt rücken an

In einer Rückschau auf den 20. April 1945 schreibt der Schwarzwälder Bote genau zehn Jahre später: "Die Geburtstagsparade in Berlin flogen tausend schwere alliierte Bomber mit einem Tagesangriff auf die Reichshauptstadt." Weiter heißt es dort: "Der Empfang (zu Adolf Hitlers Geburtstag) im Führerbunker der Reichskanzlei wird den wenigen Männern, die den Krieg überlebt haben, in seiner gespenstischen Unwirklichkeit niemals aus der Erinnerung schwinden."

Französische Panzer rückten aus Richtung Freudenstadt, das in der Nacht vom 16. auf 17. April 1945 fast gänzlich dem Erdboden gleich gemacht wurde, auf Oberndorf vor. Ein Zeichen, das auch denen, die zu dieser Zeit noch an den Endsieg glauben wollten, zu denken hätte geben sollen, war die Einberufung des Volkssturms.

Jetzt sickerte allmählich durch, welche Verwüstung die Bombardierung Freudenstadts verursacht hat. Die Einnahme Oberndorf durch französische Truppen war nur noch eine Frage von Stunden.

Diese Vorgänge konnten auch den ausländischen Arbeitskräften, Dienstverpflichteten und Zwangsarbeitern nicht verborgen bleiben. Sie erwarteten sehnsüchtig das Ende des Krieges und ihrer Leiden. In dieser unübersichtlichen Lage verschaffte sich eine große Anzahl von "Fremdarbeitern" Zugang zum Keller des Klosterbaus im Tal. Hier waren große Mengen alkoholischer Getränke gelagert, die wahrscheinlich aus Sonderzuteilungen für Arbeitskräfte in Rüstungsbetrieben herrührten, von denen aber von der Belegschaft kaum irgendwer wusste.

"Angefeuert durch Gerüchte, in wenigen Stunden sei mit dem Einmarsch von Streitkräften der Alliierten zu rechnen und angefacht durch den Konsum ungewohnter alkoholischer Getränke entstand vor dem Südeingang des Klosterkellers eine überaus kritische Situation; sie drohte schließlich zu eskalieren und gab Anlass eine bewaffnete Abordnung des Volkssturms zu alarmieren, die den Befehl erhielt, Schlimmeres zu verhüten. Dies ist dann schließlich durch gutes Zureden gelungen", so berichtet der Schwarzwälder Bote am 20. April 1985.

Ähnlich, aus eigener Anschauung, schildert Edgar Güntensperger diese Vorgänge: "Etwas später kam ein schlanker, ja magerer Herr, sehr aufgeregt, atemlos ins Rathaus gerannt. Er war ein Angehöriger der Mauser-Dynastie, Alex Mauser, und schrie, komplett außer sich, die freigewordenen Russen, einige hundert, hätten die Kantine der Werke geplündert und seien zum Teil total betrunken. Ganz schlimm sei, dass diese Leute schon beim Rondelle angekommen sind. Wir [die anwesenden Polizisten und namentlich nicht genannte Honoratioren] bekamen Angst, dass diese Betrunkenen die Geschäfte demolieren könnten, mit allem was dazu gehört, also Vergewaltigungen, Mord und Totschlag. Die Polizei hatte noch eine grüne DKW-Maschine mit Seitenwagen zur Verfügung. Sofort wurde gestartet und drei Polizisten, Hr. Dase am Lenker, auf dem Sozius Hr. Rebholz und Hr. Scheffold im Seitenwagen. Sie fuhren so schnell wie möglich Richtung Rondelle und kamen auch gleich wieder zurück. Schneeweiß im Gesicht, ohne Mützen, und ihre Pistolen hatten sie auch nicht mehr, ihre Uniform war teilweise zerrissen. Auf die erregten Fragen gab es nur eine Antwort: ›Es sind zu viele, da können wir gar nichts mehr unternehmen.‹ Noch bis zu heutigen Stunde höre ich die angstvolle, panische Antwort von Hrn. Mauser: ›Diese besoffenen Russen werden uns die Schädel einschlagen‹."

Ganz nebenbei erwähnt der Erzähler, dass ihm ein Polizist auf der Wache zuflüsterte: "Vor du wieder aufs Revier kommst, ziehe Zivilkleider an, mit Führers Geburtstag ’wird’s nix meh’."

Schon am Vorabend war von Freudenstadt her Geschützdonner zu hören. Jetzt, so nach der Erinnerung des späteren Finanzministers Robert Gleichauf, schickten sich einige "Amtsträger" der Partei an, Oberndorf zu verlassen. Zuvor wurden aufgrund ihrer Weisung Mehl und andere Lebensmittel als "Wegzehrung" beschlagnahmt und auf ihre Fahrzeuge verladen. Ein Vorgang, so der Chronist, "der ein bezeichnendes Licht auf die von ihnen verkündete Sorge um das Wohl der Bevölkerung warf."

Dann kam der 20. April. Hier sagen alle Berichte das Gleiche aus. Gepanzerte Fahrzeuge drangen schließlich von Weiden und von Beffendorf her in die Stadt ein und boten mit ihren Geschützen den nachrückenden Einheiten ihren Feuerschutz.

Dass die französischen Streitkräfte schon weiter vorgedrungen waren, als manche angenommen hatten, lässt sich aus der Beschreibung des Geschehens im Polizeirevier ablesen. Die Stadtverwaltung hatte empfohlen, alle Fenster zu öffnen und keine Vorhänge vorzuziehen. So war es auch im Wachlokal im Parterre des Rathauses.

"Geh’ heim zu deiner Mutter"

"Auf einmal stand im offenen Fenster der Polizeiwache, mit auf uns gerichteter Waffe, mit verschmiertem Gesicht, ein Dunkelhäutiger. Ohne Kommando, ganz automatisch, streckten wir die Arme in die Höhe. Sekunden später mussten wir die Hauptstraße in Richtung Obertorplatz hinaufspringen", so der Zeitzeugenbericht. Dort wurden die Männer des Volkssturms und versprengte Soldaten gesammelt, auch die Gefangenen vom Rathaus. Hier wurde dem 15-jährigen Edgar von einem französischen Soldaten auf die Frage, was er tun solle, geantwortet: "Geh’ heim zu deiner Mutter."

Die vergangene Nacht hatten viele Frauen und Kinder in den Stollen, die in Oberndorf angelegt waren, verbracht; so auch die Familie Rinker. Sie war im Stollen, hinter dem Feuerwehrhaus, dem Pfalzstollen. Der Stollen war überfüllt mit verängstigten Menschen, und es gab nur eine Frage, ob das Schießen wirklich vorbei sei.

Für all diejenigen, die dort lange ausgeharrt hatten, war es ein glücklicher Moment zu erfahren, dass die Kampfhandlungen vorüber seien.

Als am 20. April um 14 Uhr die Volkssturmmänner nach Hause geschickt worden waren und um 16 Uhr die ersten Panzer durch die Straßen rollten, war dies der Augenblick für unbeschreiblichen Jubel bei allen, die bisher gezwungen waren in Oberndorf zu sein, also den Gefangenen und anderen zur Arbeit gepressten Personen.

So wird die Zeit, in der Oberndorf von französischen Truppen, vorwiegend Marokkanern, und ehemaligen Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern eingenommen ist, grundverschieden dargestellt. Von brutalen Übergriffen, Plünderungen – auch durch Deutsche – bis zu Vergewaltigungen reichen die Gräueltaten, die zu dieser Zeit verübt wurden.