Wie ein noch nicht volljähriger Schriftsetzer 1835 seine Vision einer eigenen Zeitung umsetzte.
Oberndorf - 185 Jahre Schwarzwälder Bote: Am Anfang dieser langen, außerordentlich erfolgreichen Geschichte einer bedeutenden Zeitung in Baden-Württemberg stand die Vision des jungen Oberndorfers Friedrich Wilhelm Brandecker, Sohn eines Tuchmachers.
Vom Beginn seiner Schriftsetzerlehre beim Schwäbischen Merkur in Stuttgart an verfolgte er ehrgeizig sein Ziel: Er wollte seine eigene Zeitung machen. Zunächst hatte er nach Abschluss seiner Ausbildung 1834 aber eine Hürde zu überwinden: In den Augen der Regierungs-Behörden war Brandecker mit seinen gerade 20 Jahren einfach zu jung, um eine politische Zeitung verantwortlich zu führen.
Brandecker dachte aber nicht daran, seinen Traum zu begraben, und so packten er und sein Vater Peter Brandecker zu, als sich im Herbst 1835 die Gelegenheit eröffnete, die erst Anfang des Jahres von Johann Jakob Fischer in Sulz gegründete Buchdruckerei mitsamt der Zeitung Schwarzwälder Bote zu erwerben.
Gutes Gespür für Themen
Am 22. September 1835 gab die Kreisregierung den Weg frei für Peter und Wilhelm Brandecker, und ab der Ausgabe des Schwarzwälder Boten vom 10. Oktober zeugte das Impressum schwarz auf weiß davon, dass der noch nicht volljährige Schriftsetzer nun seine Vision in die Wirklichkeit umsetzen konnte: "Redigiert, gedruckt und verlegt von W. Brandecker".
Brandecker bewies von Anfang an, dass er ein gutes Gespür dafür hatte, was bei seinen Lesern ankam. Mit einem bunten Themenmix, gewürzt mit heiteren Betrachtungen, und ergänzt durch einen auf die Landwirte zugeschnittenen Service wie den Hinweisen auf Fruchtpreise und Märkte, gelang es ihm rasch, die Zahl der Abonnenten sowie der Inserate zu steigern.
1837 Umzug nach Oberndorf
Ein weiterer Schritt, den jungen Verlag wirtschaftlich zu stabilisieren, war 1837 der Umzug von Sulz nach Oberndorf, wo ihm das väterliche Haus mehr Platz für sein Unternehmen bot. In dem kleinen, von Handwerksbetrieben und Landwirten geprägten Städtchen Oberndorf sollte Brandecker eine einzigartige Erfolgsgeschichte schreiben. Der Name seiner Zeitung war für ihn auch Auftrag, als Bote Nachrichten zu der weit verstreuten Bevölkerung zu bringen.
Seit dem 1. Januar 1837 ziert der charakteristische Bote, zunächst noch ohne Hund, den Kopf der Zeitung, immer wieder verändert und dem sich wandelnden Erscheinungsbild angepasst. Die Auflage stieg rasant und erreichte 1842 bereits 3500 Exemplare. Das Jahr 1842 bedeutete für Brandecker noch eine Zäsur: Er erhielt die Konzession, politische Nachrichten veröffentlichen zu dürfen, ein Ziel, das er immer angestrebt hatte.
Seine Ehefrau Amelie führte 1846 den Fortsetzungsroman ein
Am 8. Juli 1843 heiratete Wilhelm Brandecker, die 19-jährige Amalie Pfäfflin, die Tochter der Sulzer Stadtschultheißen August Pfäfflin. Er war katholisch, sie evangelisch, der Grundsatz gegenseitiger Achtung, Rücksichtnahme, Toleranz und Unterstützung prägte die Ehe Wilhelm und Amelie Brandeckers zeitlebens und zeugte auch von der liberalen Grundhaltung des Ehepaars. Amelie gab sich mit der damals üblichen Rolle als Hausfrau und Mutter nicht zufrieden, sie war ihrem Mann Partnerin und Mitarbeiterin, die mit neuen Ideen, vor allem was den Unterhaltungsteil der Zeitung betraf, wesentlich zum steilen Erfolg Brandeckers beitrug. Sie führte 1846 den Fortsetzungsroman ein, eine Premiere im deutschen Zeitungswesen.
Die Auflage des Schwarzwälder Boten stieg stetig: von 5000 (1855) über 7300 (1860) auf sage und schreibe 25 000 Exemplare im Jahr 1876. Bis 1848 musste sich Brandecker immer wieder mit der Zensur durch die Behörden auseinandersetzen. Mit der königlichen Verordnung vom 1. März 1848, welche das Gesetz zur Pressefreiheit vom 30. Januar 1817 wieder in Kraft setzte, wurde er wagemutiger, er bekannte sich zu den liberaleren Ideen dieser Zeit und berichtete offen über revolutionäre Vorgänge in Deutschland.
Politischer Obrigkeit ein Dorn im Auge
Wie Fred Sepaintner in seiner Kurzbiographie Brandeckers (im 7. Band der Baden-Württembergischen Biographien) betont, ließ das eindeutige Bekenntnis der Zeitung nicht mehr lange auf sich warten: "Die politische Farbe des Schwarzwälder Boten betreffend, stellt er sich eindeutig auf die Seite des Volkes. (Dezember 1848)".
Der politischen Obrigkeit war Brandeckers liberale Einstellung ein Dorn im Auge, eine einwöchige Haft im Oberndorfer Gefängnis blieb aber eine kurze Episode. Und selbst der Entzug des Amtsblatt-Status von 1850 bis 1856 konnte den Aufstieg des Schwarzwälder Boten nicht bremsen. Brandecker trug der rasanten Entwicklung mit stetiger Verbesserung der Infrastruktur und der Einführung technischer Innovationen Rechnung. 1872 wurde ein erster Neubau unter anderem mit Dampfkesselhaus, Setzersaal, neuen Büro- und Redaktionsräumen in Betrieb genommen, als erste Zeitung in Württemberg wurde der Schwarzwälder Bote ab 1879 auf einer Rotationsdruckmaschine der Maschinenfabrik Augsburg gedruckt.
Biograf Sepaintner stellt abschließend fest: "1885, zwei Jahre vor seinem Tod, konnte Brandecker auf das 50-jährige Bestehen seiner Zeitung zurückblicken und stolz resümieren, welch weiten, erfolgreichen Weg der Bote – und auch er, sein Macher! – inzwischen zurückgelegt hatten: Der Schwarzwälder Bote war jetzt eine der weitestverbreiteten Zeitungen im Lande."
Diesen erfolgreichen Kurs des Schwarzwälder Boten setzten sein Enkel Wilhelm Wolf, seine Urenkel Hermann Biesenberger und Hellmut Wolf, Irmgard Lamp, nicht nur die einzige Frau in der Riege der Schwarzwälder-Bote-Verleger, sondern auch die einzige, die nicht der Gründerfamilie angehörte, sowie der Ur-Ur-Urenkel Richard Rebmann bis heute fort.