Anja und Andreas Derbogen (von links) sowie Florian und Antje Riechelmann kennen sich mit der Altenpflege aus. Foto: Cools Foto: Schwarzwälder Bote

Soziales: Die Derbogens und Riechelmanns brechen eine Lanze für die Altenpflege und berichten, wo es hakt

Geringe Bezahlung, zu wenig Personal und körperlich wie psychisch belastend – kaum ein Beruf steht so in der Kritik wie die Altenpflege. Die Derbogens und die Riechelmanns sind in der Pflege tätig und wissen: Die Qualität ist stark von der Einrichtung abhängig.

Oberndorf. "Die Altenpflege hat ein schlechtes Image", spricht Antje Riechelmann aus, was weithin bekannt ist. Sie ist seit 16 Jahren in einer Pflegeeinrichtung im Raum Oberndorf tätig und setzt sich für ein positives Bild des Berufs ein. "Meine ganze Familie ist durch den Beruf geprägt. Und ja, er ist anstrengend, aber er ist genauso erfüllend", berichtet sie.

Auch Andreas Derbogen kennt den Beruf und die damit verbundenen Opfer, die man hin und wieder bringen muss: lange Arbeitszeiten, Extra-Schichten und Feiertagsdienste. "Ich bin damals ausgestiegen, weil meine Frau und ich uns die Klinke in die Hand gegeben haben", erzählt er. Pflege bedeute eben keinen Montag-bis-Freitag-Job und frühen Feierabend. "Da geht es um Menschen, die man nicht einfach abschalten kann. Die Pflege muss 24 Stunden an 365 Tagen gewährleistet sein", stellt er klar.

Mittlerweile arbeitet Derbogen als Pflegebegutachter. Im Zuge dessen sei er natürlich schon in vielen Einrichtungen gewesen. Daher wisse er: Die Qualität der Pflege variiert stark von Einrichtung zu Einrichtung. "Missstände gibt es überall, aber die Ausprägung ist verschieden", sagt er. "Natürlich gibt es schwarze Schafe", weiß er.

Dass es an Geld mangele, sei nicht der Punkt. Vielmehr komme es auf die Struktur und Führung der Einrichtung an. "Qualität zeigt sich unter anderem am Preis für die Heimplätze und an langjährigen Mitarbeitern", meint Derbogen. Ein guter Platz koste schon 4000 Euro pro Monat.

Natürlich stehe die Frage der Wirtschaftlichkeit, besonders bei privaten Trägern, auch im Fokus. Danach bemesse sich auch das Gehalt der Pflegekräfte. "Wer nach Tarif bezahlt wird, der verdient nicht so schlecht wie immer erzählt wird", stellt er klar. Mit rund 2000 Euro netto komme man als ausgebildete Pflegekraft gut über die Runden. Das Thema Bezahlung nehme nicht so viel Raum ein, wie vermutet werde.

Was er auch nicht leiden könne, sei das "Politikgefasel" darüber, dass man mehr Pflegestellen schaffen wolle. "Mehr Personal bedeutet mehr Kosten – entweder für den Staat oder die Heimbewohner", sagt er. Die Stellen, die es gebe, seien zudem meist besetzt. Zu Reibereien am Arbeitsplatz komme es meist bei ständigen Personalwechseln in einer Einrichtung. Zudem mangele es daran, dass es keinen einheitlichen Berufsverband für die Pflege gebe.

Andreas Derbogen sieht auch Probleme in der Qualitätsbewertung der Einrichtungen. Die Noten seien nicht aussagekräftig, meint er. "Da wird Papier geprüft, nicht Personal." Mängel in der Pflege könnten in der Bewertung mit einem groß ausgedruckten Essensplan ausgeglichen werden, nennt Derbogen ein Beispiel und will damit sagen: "Die Noten spiegeln die wirkliche Qualität nicht wider – und schon gar nicht, ob das Personal sich wohlfühlt".

Generell sei man in einem Dilemma. Auf der einen Seite gebe es die fachliche Qualität, auf der anderen Seite das Gefühl der Bewohner, ob sie mit dem Personal auf einer Wellenlänge sind. "So etwas ist einfach schwer messbar", sagt Derbogen.

Der Beruf fordert den ganzen Menschen

Drastisch negativ entwickelt habe sich seiner Meinung nach die Pflege in Krankenhäusern. Es gehe immer mehr nur noch um Geldmacherei, sagt er. Eingespart werde an der Pflege. Da sei es in den Heimen deutlich besser. Wichtig sei dabei eben, dass die Grundstruktur in der Einrichtung passe.

Das sieht auch Antje Riechelmann so. "Ich habe mal nahe Berlin gearbeitet, wo die Pflegekultur nicht gepasst hat. Da wurden Arbeitsabläufe so festgelegt, dass aus dem Duschen der Bewohner eine Art Massenabfertigung wurde", erzählt sie. Ihre Konsequenz war, die Einrichtung zu verlassen.

Auch in guten Einrichtungen klappere es mal, aber wenn die Grundstruktur stimme, müsse man Konfliktlösung auf allen Ebenen betreiben. "Ich habe gemerkt, welche Probleme ein gutes Team stemmen kann. Man muss sich gegenseitig bestärken."

Riechelmann hat festgestellt, dass die jungen Menschen heutzutage auch kaum mehr belastbar seien. "Natürlich ist es ein schwieriger Beruf. Es ist körperlich und psychisch belastend, man muss auf allen Ebenen funktionieren. Es fordert den ganzen Menschen. Aber dafür erhalten wir so viel zurück", meint die Wohnbereichsleiterin.

Ihrer Meinung nach sollte man den Nachwuchs richtig an den Beruf heranführen. Dazu gehöre auch ein verpflichtendes Vorpraktikum, damit niemand blauäugig an die Ausbildung herangehe. Mancherorts gebe es Kooperationen mit Schulen, weiß Derbogen. "So kann man die richtigen Leute herausfiltern", sagt er. Immer schneller werde die Ausbildung hingeworden, meint er. Und auch das Niveau der Bewerber sei gesunken. "Es wird immer schwieriger, die richtigen Menschen für den Job zu finden", so seine Beobachtung.

Antje Riechelmanns Sohn Florian ist seit eineinhalb Jahren in der Pflege tätig. "Für mich ist es definitiv der richtige Weg", sagt er. Die Ausbildung hätte ihn wahnsinnig weitergebracht, sagt er. Allein, wenn er höre, dass die Bewohner nach ihm fragen, gebe ihm das unglaublich viel Kraft und Glück. "Man wächst den Menschen ans Herz."

"Für die Heimbewohner ist man wie Familie", erklärt Andreas Derbogen. Man dringe in die intimsten Bereiche der Privatsphäre ein. Dadurch entstünden Vertrautheit und tiefe Dankbarkeit.

Dass es Tage gebe, an denen sie auch mal die Flinte ins Korn werfen wolle, das bestreitet Antje Riechelmann nicht. "Ist das nicht in jedem Job mal der Fall? Ich gehe nach Hause und weiß, ich hab etwas Gutes getan. Und wenn es möglich ist, will ich diesen Beruf bis zur Rente machen – mit all seinen Extra-Diensten", stellt sie klar.