Nils Schmid plädiert bei Redaktionsgespräch gegen Spaltung der Gesellschaft, für die er AfD verantwortlich macht. Mit Video

Oberndorf - Den Vitaminsaft kann Nils Schmid (SPD) gut gebrauchen. Im Wahlkampf hat der Endspurt begonnen. "Wir sind auf Hochtouren", berichtet der Finanz- und Wirtschaftsminister. Atemlos durch das Land. Zwischendurch ein Gespräch mit unserer Redaktion. Zu dem der 42-Jährige leicht verspätet eintrifft. Am Nachmittag sind Wahlkampfauftritte in Rottweil und Villingen geplant. Die verlorene Zeit will der Landesvorsitzende der SPD wieder aufholen. Wie seine Partei den Rückstand in den aktuellsten Umfragen.

Also ohne viel Vorrede in medias res. Nils Schmid hat die jüngsten Prognosen erfreut zur Kenntnis genommen, wonach es Grün-Rot bei der Landtagswahl doch noch knapp reichen könnte, die Regierung eine weitere Legislaturperiode zu stellen. Ohne Liberale. Und vor allem ohne die CDU. Oder, wie Schmid die Aussage der Umfrage wertet: "Früher war es so, dass es hieß: Schau’n ’mer ’mal, wer mit der CDU koalieren darf. Jetzt gibt es in Umfragen immer Mehrheiten jenseits der CDU. Das ist neu für Baden-Württemberg. Und bitter für die CDU."

Lässt es sich da irgendwie leichter verschmerzen, dass die Zahl der SPD-Wähler nur bei 16,5 Prozent liegt? Nicht ganz. In den letzten beiden Wochen bis zur Wahl am 13. März müsse man "die hohe Zufriedenheit mit der Landesregierung im Wahlkampf ummünzen in Stimmen für die SPD". Mit den Grünen sei das ja auch schön und gut, aber um für das Industrieland Baden-Württemberg eine gute Arbeit zu sichern, das, ja dies sei nur mit einer starken SPD möglich. Schmids Bitte an den Volkssouverän lautet, gern gehört bei Badenern und Schwaben: "Lassen Sie mich einfach weiterschaffen!"

Die niedrigen Umfragewerte für die Sozialdemokraten macht der Stellvertreter Winfried Kretschmanns (Grüne) an zwei Umständen fest: zum einen beeinflusse die Bundespolitik, Stichwort: Flüchtlinge, die Landtagswahl sehr stark, zum anderen sei es der Amtsbonus des Ministerpräsidenten: "Die Partei, die den Regierungschef stellt, hat mehr von einer starken SPD-Politik." In fünf Jahren, nach Kretschmann, könnte das schon ganz anders aussehen – und aus dem "kleinen Nils" ein Großer werden.

Natürlich wären dem Sohn einer Professorin der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg andere Themen, etwa Bildungspolitik, lieber, als sich nahezu ausschließlich mit Flüchtlingen oder rechter Hetze beschäftigen zu müssen. Aber weil er das Wort des ehemaligen SPD-Chefs Franz Müntefering, "Opposition ist Mist", nach wie vor teilt, bleibt dem promovierten Juristen dennoch nichts anderes übrig.

Wie dem aktuellen SPD-Vorsitzenden auch. Sigmar Gabriel hat die Leistungen wie bezahlbaren Wohnraum oder Bildung für alle angemahnt. Genau hier setzt auch Schmid, der Partner einer türkischstämmigen Ehefrau, an, wenn er fordert, nicht anzufangen, einzelne gesellschaftliche Gruppen voneinander abzugrenzen: "Wenn wir über sozialen Wohnungsbau reden, dann für alle." Dasselbe gelte für Kinderbetreuung und alle Wohltaten des Landes. Gemeinsamer Gegner: der Bundesfinanzminister: "Es kann nicht sein, dass sich Schäuble auf seinem Haushalt ausruht."

Dessen "schwarze Null" qualifiziert der Südwest-Ressortkollege ohnehin als "rote Null" ab: "Der Staat verschuldet sich verdeckt." Ein ausgeglichener Haushalt sei kein Selbstzweck. Es gehe nicht darum, alle zu beglücken, sondern es sei wichtig, "in den Wohlstand von morgen zu investieren". Wie es seine Partei seit der Übernahme der Regierungsverantwortung im Südwesten 2011 über Mietpreisbremse, sozialen Wohnungsbau oder Landesarbeitsprogramm vorexerziert habe.

Wohltaten also für den Wähler. Nur: Erreicht die SPD mit Themen wie Werkverträgen, Mindestlohn oder Mietpreisbremse eine Klientel außerhalb der typisch "roten" Wähler? Durchaus ein Problem für Schmid, der dennoch lieber den konsequenten Ausbau der Sprachförderung in Kindergärten herausstreicht, als Ängste vor Flüchtlingen und Migranten, vor Integration zu schüren, was er der AfD vorwirft.

Den Rechtskonservativen, Rechtsradikalen wie er sagt, wirft er regelrecht eine Wiederaufführung des Theaterstücks von Max Frisch vor. Jörg Meuthen, der AfD-Landesvorsitzende, trete als Biedermann auf, und "um ihn herum lauter Brandstifter: die Truppe, mit der er in den Landtag will". Generell müsse die Gesellschaft aufpassen, "dass nicht etwas verrutscht". Die AfD betreibe "ganz gezielt Wahlkampf auf dem Rücken von Flüchtlingen". Die Sozialdemokraten dagegen böten eine Politik, die "die Gesellschaft zusammenführt und nicht spaltet" – ganz nach dem Wort eines ihrer großen Staatsmänner, in diesem Fall des früheren Bundespräsidenten Johannes Rau.

Gemäß dieser Tradition kämpft Schmid nicht nur um Stimmen, sondern um Prinzipien – und gegen die Verachtung von Demokratie und Meinungsfreiheit, gegen ein Bild von Deutschland, das mit einem demokratischen Rechtsstaat nichts zu tun habe. Attribute, die er allesamt mit der AfD in Verbindung setzt.

Dafür weiß der Stellvertreter des Ministerpräsidenten Prominente an seiner Seite. Iris Berben, bekannte Schauspielerin und ausgewiesene Israel-Kennerin, wird im Stuttgarter Theaterhaus ihr Buch "Jerusalem" vorstellen. Darin erzählt sie von ihren vielfältigen Eindrücken und Erlebnissen in Israel. Als große Förderin der deutsch-jüdischen Aussöhnung hat sie das Land unzählige Male bereist. Im Gespräch mit Schmid wird es am heutigen Dienstag (16 Uhr) um aktuelle Themen wie Toleranz, kulturelle Vielfalt sowie ihr starkes Engagement für ein friedliches Miteinander der Kulturen gehen.

"Alternativlos" scheint für Nils Schmid jedenfalls kein Politik-Begriff zu sein. Weitere SPD-Politprominenz wie Altkanzler Gerhard Schröder, dessen Exfrau Doris Schröder-Köpf, Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz und der Parteichef Sigmar Gabriel höchstpersönlich sollen bis zum 13. März noch Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie spülen. Sie alle werden Schmids Credo predigen: "Am 13. März geht’s nicht um Angela Merkel, sondern um die Fortführung der Landespolitik von Grün-Rot."

Dass Promis allein nicht zu mehr Wählerstimmen führen, ist dem ehemaligen Zivildienstleistenden nur allzu bewusst. Nils Schmid befindet sich auf dem Sprung. Nach Rottweil. Tulpen verteilen. Als "Roter" durchs Schwarze Tor schreiten. Seit’ an Seit’ mit dem Bürger. Direktansprache. Schnellschnell, es pressiert. Oder, wie Schmid sagt: "Raus zu den Leuten!"