Der "Schützen" an der gleichnamigen Steige hat eine lange Tradition.Foto: Wagner Foto: Schwarzwälder Bote

Serie: Oberndorf im Wandel: "Schützen" war Mikrokosmos der Zeitgeschichte

Im 17. und 18. Jahrhundert waren die Wirte in Oberndorf die größte Berufsgruppe. Damals kamen auf 1000 Einwohner 20 Brauereien und Wirtschaften. So gab es davon im Städtle in den vergangenen 200 Jahren wohl um die 100. Dazu kamen die Schankstuben. Der "Schützen" in der Oberstadt war eine davon.

Oberndorf. Der "Schützen" hat eine lange Tradition, und das Gebäude zwischen Schützensteige, Tuchbergstraße und Lindenstraße strahlt auch heute noch in altem Glanz, obwohl die Gaststube derzeit geschlossen ist.

Bereits 1778 wurden im Wirtshaus Schützen Gäste bewirtet und im gewölbten Bräuhaus Bier gebraut. Johann Nepomuk Franz Meinrad von Pflummern erteilte dem damaligen Schützenwirt Anton Frueth die Konzession, die sogenannte "Schildwirtsgerechtigkeit". 15 Gulden musste der Wirt für diese Genehmigung damals entrichten.

Zahlreiche Wirtsleute sorgten im Lauf der Zeit im "Schützen" für das Wohl ihrer Gäste. Namen wie Xaver Deifel, Gustav Kiene, Josef Frommer, Christian und Robert Kimmich, Friedrich Wenzler sowie der Bierbrauer Helle und der Bäckermeister Mutschler werden genannt.

1906 übernahm Franz Lauer den "Schützen", der samt Saalanbau im Jahr 1907 einem Brand zum Opfer fiel. Zügig wurde das Gebäude allerdings erneut aufgebaut, und bereits an der Fasnet 1908 weihte man den Saal mit einem großen Maskenball wieder ein. Der Ball mit Maskenprämierung durch die Narrenzunft war der Vorläufer der traditionellen Bürgerbälle, die heuer in der Neckarhalle stattfinden und jedes Jahr großen Zulauf haben. 1919 erwarb Fridolin Schwarz den "Schützen", der bis heute im Besitz der Familie ist.

Zehn Jahre später übernahmen der gelernte Bäcker Alois Schwarz und seine Frau das Lokal. Seine Kuchen- und Tortenkreationen waren dann auch ein Gütesiegel des "Schützen". Berühmt waren seine "Sarale" oder "Dallewätschle", ein Makronengebäck, dessen Rezept überliefert wurde und auch heute noch hergestellt wird.

Im "Schützen" hatten viele Vereine ihre Heimat gefunden und erkoren ihn zu ihrem Vereinslokal. Auch für Familienfeiern und Stammtischbesucher, zu denen unter anderem der ehemalige Finanzminister Robert Gleichauf zählte, war der "Schützen" ein sehr beliebter Treffpunkt. Politiker und Industrielle aus allen Herren Länder waren im Schützen zu Gast und unzählige Veranstaltungen fanden im großen Saal statt.

Die "Augsburger Puppenkiste" präsentierte regelmäßig ihr Programm im Schützensaal, und auch das Landestheater Tübingen gastierte mit großen Tragödien und Komödien der Weltliteratur im Schützen und sorgte für ein ausverkauftes Haus.

Bei einer von Werner Kopp organisierten Tischtennis-Großveranstaltung, bei der die Französische Meistermannschaft "A. C. B. B Paris" mit dem Weltklassespieler Roothoft 1953 im Schützensaal in Oberndorf teilnahm, zeigte sich, dass der Schützensaal durchaus auch als Sportstätte geeignet war.

Der große Festsaal wurde ab 1977 nicht mehr genutzt, und nachdem zwischenzeitlich ein griechisches Ehepaar die Gaststätte bewirtschaftet und "Athen" benannt hatte, hieß die Gaststätte kurze Zeit später "Zum Griechen".

Fassade gehört zu den prägendsten der Stadt

Danach erhielt das Lokal wieder seinen ursprünglichen Namen, und die Familie Schwarz bewirtschaftete den "Schützen" wieder, allerdings nur sporadisch. Derzeit ist das beliebte Lokal geschlossen, war allerdings am vergangenen Schantlesonntag geöffnet. Der ehemals prunkvolle Saal dient heute als Fahrradlager des Missionsausschusses der katholischen Kirche, und auch die Oberndorfer Funker hatten im Schützen ihr Domizil.

An der Fassade des prächtigen Hauses hat sich seit dem Wiederaufbau 1908 nicht viel geändert. Nach wie vor gehört es zu den schönsten und prägendsten Gebäuden in der Oberstadt. Im Umfeld allerdings wurde manches Gebäude abgerissen oder verändert, und auch ein Kreisverkehr hat vor der Traditionsgaststätte einen Platz gefunden.

In seinem Buch "Fragmente von 1939 bis 1959" hat Alois Schwarz die Ereignisse im "Schützen" während dieser Zeit festgehalten und veröffentlicht.

Der "Schützen" ist das letzte Traditionsgasthaus in der Oberstadt. Viele ältere Oberndorfer denken noch sehnsüchtig an die "goldenen Zeiten" des Schützensaals zurück, als dort noch legendäre Bürgerbälle stattfanden, das Landestheater Tübingen und andere Bühnen regelmäßig Gastspiele gaben, Konzerte die Besucher anlockten.

Alois Schwarz, der Bruder von Fridolin Schwarz, dem 2007 verstorbenen langjährigen Schützenwirt, hat nun zwei Jahrzehnte der Schützengeschichte von 1939 bis 1959 in sehr persönlich gehaltenen Erinnerungen lebendig werden lassen und in einem Büchlein mit dem Titel "Fragmente – 1939 bis 1959" lebendig werden lassen.

Wer die 68 Seiten des Büchleins studiert, wird feststellen, dass der "Schützen" in diesen zwei Jahrzehnten quasi ein "Mikrokosmos der Zeitgeschichte" war, wie Alois Schwarz konstatiert: Gasthaus, Festhalle für die Nazis, Quartier für die Wehrmacht, "Außenlager" für die holländischen Zwangsarbeiter, Standquartier für die französische Armee, Versammlungshaus für die nach dem Zweiten Weltkrieg neu gegründeten Parteien, Stadttheater, Konzerthaus, Ballhaus und Vereinshaus für den Gesangverein "Frohsinn", den Turnverein und andere Vereine.