Oberndorf - "Uneingeschränkt in Geschwindigkeit und Beweglichkeit" bewirbt der Waffenhersteller Heckler & Koch (HK) sein G36, das Standardgewehr der Bundeswehr. Auf der Internetseite des Unternehmens mit Sitz in Oberndorf heißt es: "Optimal in der Handhabung, im Gewicht und der Feuerdichte im Nahkampf sowie für ein schnelles, präzises und durchschlagskräftiges Einzelfeuer im Fernkampf."

Unternehmen: Bundeswehr hat Heckler & Koch bei G36-Untersuchung nicht eingebunden

Das klingt deutlich anders als die Stellungnahme von Ursula von der Leyen (CDU). Die Verteidigungsministerin prescht gestern voran: "Das G36 hat offenbar ein Präzisionsproblem bei hohen Temperaturen, aber auch im heißgeschossenen Zustand." Und sie bleibt nicht die Einzige. Generalinspekteur Volker Wieker warnt in einem Schreiben an die Bundeswehr-Kommandeure: Die Präzisionsprobleme beim G36 seien "signifikant größer" als bei vergleichbaren Waffen. Die Komplikationen könnten auch nicht auf externe Faktoren wie die Munition geschoben werden. Das G36 sei "eindeutig Teil des Problems", schrieb Wieker.

Ein Paukenschlag, von dem HK nach eigenen Angaben erstmalig über Presseanfragen erfahren hat. "Trotz mehrfacher Angebote von Heckler & Koch, die auf eine Einbeziehung des weitreichenden und über viele Jahrzehnte hinweg entwickelten Know-hows des Unternehmens gerichtet waren, hat die Bundeswehr Heckler & Koch in keiner Weise in die Untersuchungen eingebunden", teilte das Unternehmen unserer Zeitung mit. Unterlagen zu den aktuellen Erkenntnissen lägen nicht vor.

Das Rüstungsunternehmen wehrt sich: Die jetzt verbreiteten Ergebnisse widersprächen eigenen Prüfungen. Diese hätten bei sachgerechtem Gebrauch keine maßgeblichen Einschränkungen ergeben.

Erste Zweifel an der Treffsicherheit wurden 2012 laut. Die Rüstungsabteilung des Verteidigungsministeriums wies darauf hin, dass das G36 bei Schnellfeuer nach 150 Schuss Ziele in einer Entfernung von 200 Metern nicht mehr zuverlässig treffen könne. Die Abteilung Streitkräfteführung des Ministeriums war anderer Meinung: Sie stufte das Gewehr weiter als einsatztauglich ein.

Noch Anfang des vergangenen Jahres teilte die Bundeswehr zu angeblichen Problemen bei heiß geschossenen Waffen mit: Dass die Ursache bei der Waffe G36 liege, "konnte jedoch durch umfangreiche Untersuchungen eines unabhängigen Sachverständigen, das Ernst-Mach-Institut der Fraunhofer Gesellschaft, eindeutig widerlegt werden. Ursache sind vielmehr einzelne Munitionslieferungen (Lose) eines Herstellers." Die Munition als Ursache! HK war erleichtert.

Von der Leyen reichen die Erkenntnisse aus, um an die Öffentlichkeit zu gehen

Es folgten Gutachten und Gegengutachten. Die Zweifel an der Treffsicherheit wurden bekräftigt oder bestritten – je nach Sichtweise. Die Bundeswehr hielt trotzdem an dem Gewehr fest, das sie viele Jahre in den Einsätzen begleitet hat. "Ich würde sie unverändert für eine Waffe halten, die man im Einsatz und in der Vorbereitung zum Einsatz wirkungsvoll nutzen kann", erklärte 2013 der auch heute noch amtierende Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, Hans-Werner Fritz.

Dem Haushaltsausschuss des Bundestags und von der Leyen wurde das Hin und Her im Sommer 2014 zu bunt. Die Ministerin brachte erneut Experten an einen Tisch: von Bundeswehr, Fraunhofer-Institut und Bundesrechnungshof. Noch im April will die Arbeitsgruppe ihren Bericht vorlegen; doch schon jetzt reichen von der Leyen die Erkenntnisse aus, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Die neue Rüstungspanne ist eine schwerwiegende für die Bundeswehr. Das G36 gehört zur Grundausstattung jedes Soldaten. Mit den Gewehren haben sie etwa in Afghanistan gegen die radikalislamischen Taliban gekämpft.

Was nun mit den Gewehren passiert, von denen die Bundeswehr 176.000 angeschafft hat, ist noch unklar. Je nachdem, wie der Abschlussbericht ausfällt, könnten die G36 bei der Truppe mittelfristig ausgemustert werden.

Reaktionen aus der Opposition folgten prompt. Die Grünen nannten das Eingeständnis der Probleme einen "Super-Gau für die Bundeswehr". "Das Vertrauen der Truppe in die Leitung wird erneut erschüttert", erklärte der Haushalts- und Verteidigungsexperte Tobias Lindner.

Die Linke warnte trotz der Probleme vor neuen Rüstungsausgaben. Außenexperte Jan van Aken wetterte: "Von der Leyen versucht, die Öffentlichkeit sturmreif zu schießen für weitere Erhöhungen ihres Verteidigungsetats."

Also eher ein politisches Manöver als ein waffentechnisches Problem. Immerhin gilt das G36 als "weltweit anerkanntes, technologisch führendes Sturmgewehr". Und das sieht nicht nur der Oberndorfer Hersteller so. Dabei ist der Ärger um das G36 indes nicht die einzige Baustelle von Heckler & Koch. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt beispielsweise seit 2011, ob illegal Waffen in Unruheprovinzen nach Mexiko geliefert wurden. Ermittlungen gegen das Unternehmen im Zusammenhang mit dem Auftauchen von G 36-Gewehren in Libyen wurden dagegen im Juli 2014 eingestellt.

Im Oktober hatte Geschäftsführer Martin Lemperle außerdem über Exportbeschränkungen geklagt. "Die rosigen Zeiten sind vorbei", sagte Lemperle damals unserer Zeitung. "Wir befinden uns in der bislang größten Krise, die uns von der Politik eingebrockt wurde."

Und: Erst vor Kurzem wurde außerdem die Unternehmensführung verändert. Niels Ihloff, der seit 2009 HK-Geschäftsführer war, war zum 20. Februar fristlos gekündigt worden. Für den morgigen Mittwoch ist ein Gütetermin vor dem Arbeitsgericht in Villingen-Schwenningen angesetzt.

Jetzt gilt es für HK allerdings zunächst, den drohenden Imageverlust abzuwenden. So sieht der Rüstungsriese die Vorwürfe noch lange nicht belegt: Das Unternehmen erkennt "keine durch die Bundeswehr ermittelten Negativergebnisse zum Gewehr G36 an, die sich auf eine vermeintlich fehlende Tauglichkeit des Sturmgewehrs zum vorgesehenen Gebrauch beziehen".

Info: Das Sturmgewehr G36

Standardgewehr Seit Mitte der 90er-Jahre ist das G36 zum gängigen Sturmgewehr der Bundeswehr geworden, es gehört zur Ausbildung jedes Soldaten. Nach Bundeswehrangaben zeichnet sich die Waffe, von der es mehrere Varianten gibt, durch eine einfache Bauweise aus. Wesentliche Teile bestehen aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Damit ist das G36 leichter als sein Vorgängermodell G3, das bei der Bundeswehr seit 1959 zum Einsatz kommt.

Einsparungen Um Kosten zu senken, hatte sich die Truppe bei der Anschaffung für eine bereits erhältliche Waffe und gegen eine Neuentwicklung entschieden.

Einsatz in anderen Ländern Das G36 gehört auch bei den Armeen Spaniens, Lettlands und Litauens zum Standard.