Foto: © sunnychicka – stock.adobe.com Foto: Schwarzwälder Bote

37-Jähriger hintergeht Versicherungskunden,seinen Verein und seine Familie

"Du bist unser Topstar. Du wirst deine Provision eines Tages mit der Schubkarre rausfahren können", prophezeite man ihm. Dann kam der tiefe Fall. Am Freitag musste sich ein 37-Jähriger aus dem Norden des Landkreises vor dem Oberndorfer Amtsgericht unter anderem wegen 23-fachen Betrugs und Urkundenfälschung verantworten.

Oberndorf. Den Arbeitgeber, die Vereinskollegen, ja sogar die eigene Großmutter – es gibt kaum jemanden in seinem Umfeld, den der 37-Jährige nicht betrogen hat. Das Gerichtsverfahren am Freitag gab aber nicht nur Einblicke in die Gefühlswelt eines "Problemkinds", sondern auch in die fragwürdigen Strukturen einer renommierten Versicherungsgesellschaft.

Der 37-jährige Angeklagte wurde beschuldigt, den Abschluss zahlreicher Verträge bei der Versicherungsgesellschaft, bei der er als selbstständiger Handelsvertreter angestellt war, fingiert und die nötigen Unterschriften gefälscht zu haben, um die Provision zu kassieren, insgesamt rund 32 000 Euro. Des Weiteren soll er gefälschte Vollmachten ausgestellt haben, die ihn ermächtigten, rund 8000 Euro vom Konto des Vereins abzuheben, bei dem er eine Position im Vorstand innehatte. Zudem hatte der 37-Jährige offenbar rund 2500 Euro von einem Vereinsmitglied nicht, wie versprochen, weitergeleitet, sondern in die eigene Tasche gesteckt. Hinzu kam, dass der Angeklagte ein Auto geleast und dieses weiterverkauft haben soll.

Der Angeklagte, der einschlägig vorbestraft ist und vor einigen Jahren bereits wegen Betrugs im Gefängnis gesessen hat, gab alle Taten unumwunden zu und erklärte, es sei eine "Scheißzeit" gewesen, in der er viele falsche Entscheidungen getroffen habe.

Kometenhafter Aufstieg, Angst vor dem Fall

2016 habe er begonnen, bei der Versicherungsgesellschaft zu arbeiten, wo er in den ersten Monaten Verwandte und Freunde als Kunden gewann und einen Bruttoverdienst von bis zu 11 000 Euro einfuhr. Der 37-Jährige kam gut an und rangierte auf der Liste der Top-Verkäufer ganz oben.

Der plötzliche kometenhafte Aufstieg habe ihn aber auch verändert, meinte er. Nach vier Monaten hatte er seine Freunde und Bekannten "abgearbeitet", sein Verdienst schrumpfte. Und damit wuchs die Angst, plötzlich nicht mehr Top-Verkäufer zu sein. Zumal der Angeklagte zu dieser Zeit das erste Mal das Gefühl gehabt hatte, dass der Vater stolz auf ihn war.

Die Angst vor dem Fall, vor dem Versagen brachte den 37-Jährigen dazu, es mit Betrügereien zu versuchen. Und es wurde immer schlimmer. "Sie haben in der Zeit ja nichts ausgelassen, um Leute zu betrügen", stellte Richter Wolfgang Heuer fest. Auch nachdem der Strafbefehl eingegangen war, habe der Angeklagte noch weiter gemacht, obwohl ihm hätte bewusst sein müssen, dass er auffliegen würde.

Im April 2018 kam die Kündigung, und der Angeklagte musste große Summen zurückzahlen. Der finanzielle Engpass brachte ihn dazu, seinen Verein zu betrügen. "Sie haben immer wieder ein neues Loch aufgemacht, um ein altes zu stopfen", meinte Heuer. Das Ganze habe einen geradezu lawinenartigen Verlauf genommen.

Seine Vereinskollegen hatten dem 37-Jährigen vertraut und ihm trotz der bekannten Vorstrafe eine zweite Chance gegeben, wie der Vereinsvorsitzende vor Gericht ausführte. Er fühle sich von seinem Vize hintergangen und sei enttäuscht. Trotzdem wurde von Seiten des Vereins keine Anzeige erstattet, schließlich habe der Angeklagte nicht nur großes Ansehen genossen, sondern sei auch ein Freund gewesen. Dem Verein war vor allem wichtig, das Geld zurückzubekommen.

Der Angeklagte hatte seine Schulden aber in diesem Fall erneut mit einem Betrug beglichen, wie Richter Heuer aufdeckte. So habe der 37-Jährige eine Vollmacht für das Konto seiner Großmutter gefälscht und sie "ausgenommen wie eine zu melkende Kuh". Parallel hatte der Angeklagte wohl immer wieder auf den großen Gewinn beim Glücksspiel gehofft. So verbrachte er viele Tage in einer Spielothek.

Die Spielhallenaufseherin meinte vor Gericht, es sei ihm jedoch mehr um die sozialen Kontakte gegangen. Für ihn seien sie und ihre Kollegen seine Familie gewesen. Zu Hause habe er sich als das "schwarze Schaf" empfunden.

Die Zeugenaussage passte zur Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen Ralph-Michael Schulte. Der Angeklagte sei eher ein Einzelgänger. Sein Leben war von wechselnden Berufsfeldern und familiären Konflikten geprägt. Der Angeklagte sei eine sehr unsichere Person, die dies mit hohem Einkommen und Konsumgütern zu kompensieren versucht habe. Seine Ziele seien vor allem Anerkennung, insbesondere von der Familie, und soziale Akzeptanz. Durch die Betrügereien habe er den Schein des Erfolgs um jeden Preis bewahren wollen.

Tiefenpsychologische Therapie ist nötig

Schulte bezeichnete den 37-Jährigen als perfektionistisch und zwanghaft. Er lebe in seiner eigenen Welt, sei damit aber sehr zufrieden. Der Sachverständige stellte ihm eine gute soziale Prognose aus, zumal der Angeklagte aktuell ein unbefristetes Arbeitsverhältnis hat. Um die Probleme, die er aus dem Jugend- ins Erwachsenenalter mitgenommen habe, aufzuarbeiten, bedürfe es einer tiefenpsychologischen Therapie.

Schulte fand auch kritische Töne zu Versicherungsgesellschaften. Diese seien darauf ausgelegt, ihre Verkäufer mit hohen Einstiegsgehältern anzufüttern und den Erwartungsdruck hoch zu halten. Heuer bezeichnete diese Vorgehensweise und das große Einstiegsgehalt als "Heroin für eine Persönlichkeitsstörung". Defizite würden multipliziert.

Der Angeklagte sei aus seiner misslichen Lage, in die er sich selbst hineinmanövriert hatte, nicht mehr herausgekommen. Glücklicherweise habe der Vater die Rückzahlung der Schulden übernommen. Der Angeklagte steht bei ihm noch mit 40 000 Euro in der Kreide.

Zu Lasten des 37-Jährigen wurde gewertet, dass er einschlägig vorbestraft ist. Des Weiteren seien es sowohl viele Taten als auch große Summen gewesen. Entlastend wirkten das Geständnis des 37-Jährigen und das "dilettantische Vorgehen", das für eine geringe kriminelle Energie spreche sowie die Tatsache, dass die Taten eine ganze Weile zurückliegen und der Angeklagte sich seitdem nichts mehr hat zu Schulden kommen lassen. "2018 hätte es keine Bewährung gegeben", meinte Heuer. So jedoch verurteilte er den mehrfachen Betrüger zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wird.