Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt grenzt sich besonders deutlich von den Liberalen und Christian Lindner ab.

Oberndorf - Es ist diese "Es gibt viel zu tun. Also packen wir’s an!"-Botschaft, die das Grünen-Wahlplakat mit der Fraktionsvorsitzenden vermitteln will. Katrin Göring-Eckardt in Hab-Acht-Stellung und der Aufforderung "Unser Klimaziel: Endlich handeln!" Sie wäre bereit. Wenn der Wähler sie denn ließe.

In solcher Stimmung erscheint die Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl denn auch zum Redaktionsgespräch in Oberndorf (Kreis Rottweil). Wie alle Wahlkämpfer lässt sich die 51-Jährige nicht kirre machen von den aktuellen Umfrage-Resultaten und verweist auf eine Binsenweisheit, für die man in anderen Sparten fünf Euro ins Phrasenschwein werfen müsste: Die Wähler würden sich erst in den letzten zwei Tagen vor der Wahl entscheiden. Und grüne Themen lägen ja auf der Straße: Eier, Diesel, Hurrikane. Wenn das keine guten Aussichten im angeblichen Kampf um Platz drei zwischen ihrer Partei und der FDP seien! "Die Spitzenkandidaten haben alles andere gemacht, als sich auf grüne Kernthemen zu konzentrieren", ist Göring-Eckardt Kanzlerin und Kanzlerkandidatem regelrecht dankbar.

Obwohl Angela Merkel: Atomausstieg, Energiewende, Grenzöffnung, Frauenquote, Abschaffung der Wehrpflicht, Ehe für alle. Im Prinzip hat die CDU-Chefin viele Blütenträume der Grünen Realität werden lassen. Bürgerliche Grünen-Wähler haben in ihr ihre perfekte Kanzlerin gefunden. Was macht da noch den Unterschied aus? "Wir machen keine Klientelpolitik für irgendwen – uns geht es um die Interessen der Menschen", kontert Göring-Eckardt. Aber warum kommt dann Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg viel besser beim Wähler an, als sie und der Co-Vorsitzende Cem Özdemir bundesweit? "Bundespolitik ist nicht Landespolitik. Und wir haben in Berlin halt Frau Merkel – und nicht Herrn Mappus: Das ist ein weiterer grundlegender Unterschied zu Baden-Württemberg."

Apropos Merkel: Göring-Eckardt selbst ist Politikerin, die, obwohl sie einst in Leipzig "feministische Theologie" studiert hat, so christlich-wertkonservativ ist, dass sie mit Merkel glattweg verwandt sein könnte – als Schwestern im Geiste, beide aus der ostdeutschen Provinz stammend, beide evangelische Christinnen, beide politisiert in der DDR-Bürgerrechtsbewegung. Wahrscheinlich liegt darin das Problem: Eine "Mutti", wie Angela Merkel volkstümlich heißt, reicht. Zu ähnlich das Profil von Göring-Eckardt.

Die versucht jetzt natürlich, die Verbindung zu ihrem politischen Lebenslauf zu nutzen, indem sie Front macht gegen "Alternativlosigkeit" und angebliche Alternativen gleichermaßen. "Protest liegt mir am Herzen. Aber über die AfD wählt man Leute, die die Demokratie abschaffen wollen und  teilweise rassistisch denken." Das endet mit einem regelrechten Aufruf an den Wähler: "Überlegt euch, was das Ende dieser Stimmabgabe sein kann!"

An dieser Stelle folgt auch ein leidenschaftliches Plädoyer für Europa, für eine gemeinsame Außenpolitik. Nicht nur wegen des US-Präsidenten Donald Trump sei ein Zusammenhalten sehr wichtig. Aber einfache Lösungen in der Flüchtlingspolitik, wie sie Ungarns Premier Viktor Orban oder hierzulande die AfD versprechen, gibt es nicht: Davon sind die Grünen überzeugt. Mit Libyen, einem Staat, den es gar nicht gebe, zu verhandeln, bringe nichts, sagt die ehemalige Bundestags-Vizepräsidentin. Vielmehr dürfe man die Integration nicht weiter aussitzen. Und müsse ein Gesetz schaffen zur Unterscheidung von Asyl und Einwanderung. Die jüngste Abschiebung bezeichnet Göring-Eckardt vor allem als "eine symbolische Aktion: acht Leute in ein Flugzeug mit 119 Plätzen setzen. Man sollte sie lieber in deutschen Gefängnissen belassen, das ist vermutlich sicherer."

Nun halten die meisten Grünen Afghanistan für kein sicheres Herkunftsland, und auch in puncto Maghreb-Staaten Tunesien, Marokko und Algerien gibt es Fraktionsbildungen innerhalb der Partei. Göring-Eckardt strebt eine schnelle Rückführung von kriminellen Nordafrikanern an, aber Staaten wie Tunesien wollten für deren Aufnahme Gegenleistungen, etwa Visa für Studierende und Geschäftsreisende. So könne man eine praktische Veränderung der Integrations- und Sicherheitspolitik herbeiführen, Realpolitik statt populistischer Sprüche: sagt sie zwar nicht, der latente Umkehrschluss ist aber offensichtlich.

"Demokratische Partei" nennen sich die Grünen heute wie alle anderen Etablierten – 1980 diente diese Bezeichnung Union, SPD und FDP noch zur Abgrenzung von den Grünen. Schließen alle "demokratischen Parteien" eine Zusammenarbeit mit der AfD aus, so ist eine solche mit den Liberalen zwar nicht grundsätzlich unmöglich, aber doch recht unwahrscheinlich.  Das liegt unter anderem auch am FDP-Chef Christian Lindner. Zunächst, was den Umweltschutz und neue Energiepolitik anbelangt: "Lindner will keine Investition in Windkraft, Seehofer hat sie in Bayern schon abgeschafft. Auch die SPD klammert sich an die Kohle. Echten Klimaschutz gibt’s nur mit uns Grünen."

Vehement verteidigt die Mutter zweier Söhne den grünen Markenkern Artenschutz und neue Energien. Auch wenn es da durchaus zu Interessenkonflikten kommen kann, Stichwort: Mopsfledermaus oder Bahntunnel. Oder Windkraft: "Windräder kann man aufstellen unter der Prämisse: Wann fliegen wo welche Vögel? In welchen Landschaften legt man Leitungen? Und Bürgerbeteiligung ist besser als der Klageweg."
An Lindner hat sich die evangelische Theologin damit noch nicht genügend "abgearbeitet". Denn der liberale Hipster könnte auch noch Außen- oder Wirtschaftsminister werden – ein Ärgernis für die Grünen: "Außenpolitik, wie sie sich Herr Lindner mit der Krim vorstellt, geht mit uns nicht." Schließlich schreckt das Profil der Liberalen selbst ab: "Die FDP heute ist die alte FDP plus Werbeagentur. Es gibt keinen Gerhart Baum mehr, keine Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Das ist heute eine wirtschaftsliberale Partei – wir sind sehr weit auseinander." Offenbar auch, was die Wahlplakate betrifft: "Ich würde nicht im Unterhemd erscheinen wollen." Macht sie auch nicht, siehe oben. Aber ist es nicht so, dass die Lindner-Generation neben Veggie-Day-Bevormundern wie lässige Enkel neben meckernden Opas wirken? Eine Frage, die wir in der Runde lieber nicht stellen.

Zu Schwarz-Grün, in Hessen und in umgekehrter Version im Südwesten solide praktiziert, dürfte es bundesweit nicht reichen. Im Gegensatz zu 2013. Woran es damals scheiterte? Lapidare Antwort: "Wir haben uns bei den Klimafragen nicht kleinkochen lassen." Hing also nicht von persönlichen Differenzen (Schäuble – Trittin) ab.

Die momentane Krux: Eigentlich wolle niemand in Berlin eine Fortsetzung der großen Koalition, weder Union noch SPD: "Das tut dem Land auch nicht gut." Warum? "Eine Regierung muss den Eindruck vermitteln, dass sie was zusammen machen will. Nicht ein Projekt rechts, eines links" – das ist die Bilanz, die die eine der zwei Oppositionsführerinnen der vergangenen vier Jahre über die Regierungsarbeit zieht.

Aber so einen Flügelkampf müssten gerade die Grünen bestens kennen. Zwischen der Kretschmann-Palmer- und der Hofreiter-Künast-Fraktion erscheinen die politischen Wege oft weiter als zwischen CSU und SPD. Göring-Eckardt zählt sich zu den "Realos". Und da wägt sie bei den Themen Diesel und Elektro-Auto fein ab: "Da die Autoindustrie den Umstieg auf emissionsfreie Mobilität nicht will, muss die Politik klare Vorgaben machen – beim Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor sowie den Stickoxidgrenzwerten. Am Ende geht's drum, dass sie wettbewerbsfähig sein müssen."

Göring-Eckardt macht der Wahlkampf an der Seite Özdemirs – Argument für die Doppelspitze – Spaß. Viele Menschen, auch Schwaben und Badener, lernt man dabei kennen, Sitten und Gebräuche (nichts Neues für sie: die Kehrwoche). Nur die Fahrten (mit Hybridauto oder Bahn, wenn’s geht), verleiden ihr. "Ich würde mich gerne beamen können!" Zum nächsten Termin nach Villingen-Schwenningen hat’s (noch) nicht funktioniert.