Architekt Dietrich Hopf hat seinen Entwurf des Neubaus in einen visuellen Kontext zu den umliegenden Gebäuden gesetzt. Grafik: Architekturbüro "Hopf & Pfäffle"

Neubau mit viel Glas soll entstehen. Gemeinderat stimmt Grundstücks-Verkauf an Investor zu.

Oberndorf - Der Weg für einen Neubau mit viel Glas und Flachdach direkt neben dem "i-Dipfele" in der Kamaralstraße ist frei. Der Gemeinderat stimmte dem Verkauf des benötigten Gebäudes an einen Investor mehrheitlich zu.

Dem Beschluss vorausgegangen war eine kontroverse Diskussion um die Architektur des Wohnhauses, das nach Abriss der beiden Gebäude Kamaralstraße 10 und 12 dort auf 400 Quadratmetern entstehen soll. Nachdem sich zunächst Investor Manfred Martin, ein "alter" Oberndorfer, dem Gremium vorgestellt hatte, erläuterte Architekt Dietrich Hopf erst einmal den Entwurf des Sechs-Familien-Hauses.

Mit einem Diskurs durch die städtebauliche Entwicklung der Oberstadt vom Mittelalter bis heute bereitete er das Gremium auf sein Konzept vor. Laut Hopf füge sich der Neubau mit seiner modernen und zeitgemäßen Architektursprache auf selbstbewusste Weise in seine Umgebung ein. Großzügige Verglasungen gewährleisteten helle, lichtdurchflutete Räume und bezögen den öffentlichen Stadtraum in die privaten Innenräume mit ein. Der Bedarf an kleinen Wohnungen und Apartments sei gestiegen. Das Flachdach ermögliche anstelle einer herkömmlichen Dachgeschosswohnung mit Schrägen zudem ein komfortables Penthouse.

Der Anbau der nicht weit entfernten Kreissparkasse – ebenfalls ein Flachdachgebäude – sei sogar preisgekrönt, so Hopf.

Nachdem der Verkauf des benötigten Grundstücks im Verwaltungsausschuss aufgrund der Bauform bereits nichtöffentlich abgelehnt worden war, hatte Hopf "nachgearbeitet". In die großen Fensterfronten hatte er mehr Mauerwerk eingeplant, um dem Ganzen eher den Anschein einer Lochfassade zu geben.

Aufgrund eines Antrags der Freien Wähler war die Angelegenheit nun aus dem Ausschuss ins Gesamtgremium gerückt – diesmal öffentlich. Für SPD-Fraktionschefin Ruth Hunds ist damit ein Präzedenzfall geschaffen worden. Laut Hauptsatzung sei dies zwar grundsätzlich möglich, allerdings nur, wenn der Beschluss noch nicht vollzogen ist.

Ruth Hunds: Da wurde ein Präzedenzfall geschaffen

Nun könne jede Fraktion von der Verwaltung erwarten, dass Beschlüsse nicht sofort umgesetzt werden, wenn man per Antrag ankündige, dass die Angelegenheit nochmals dem Gemeinderat vorgelegt werden soll. "Müssen wir bei Beschlüssen im Ausschuss künftig immer fragen, wann werden diese vollzogen?"

Hunds monierte zudem das geplante Flachdach und wünschte sich ein "eher der Umgebung angepasstes" Satteldach – auch, wenn damit Flächen wegfielen, die sich vermarkten ließen.

Auch für ihren Fraktionskollegen Günter Danner fügt sich der Entwurf nicht in dieses Quartier ein. Er wolle keine Kulissenstadt mit Vorzeige- Haupt- und Kirchtorstraße haben, und dahinter werde die historische, bauliche Substanz dann nicht mehr gewürdigt. Dass ein gebürtiger Oberndorfer in seiner Heimatstadt investieren und Wohnraum schaffen wolle, begrüßte Danner ausdrücklich – aber eben optisch angepasster.

Hans Häckel (SPD) erläuterte, weshalb er sich bei der Abstimmung enthalten wollte. Zwar sehe er, dass die beiden Gebäude Kamaralstraße 10 und 12 "weg müssen". Mit der Optik des Neubaus aber habe er seine Probleme. So sah das auch Annette Elben (CDU).

Laut Thomas Rohr (CDU) gehören "alte Zöpfe" abgeschnitten. Ein gutes Beispiel für so ein modernes Gebäude gebe es in Hochmössingen.

Für CDU-Fraktionssprecher Wolfgang Maier fügt sich Hopfs "moderner Entwurf" ins Stadtbild ein. Eine nur angedeutete Satteldachform, wie etwa auf der Rückseite des Gebäudes Schuhmarktplatz 13 hält er für keine ehrliche Bauweise. Zudem gehe die Schaffung von Wohnraum vor.

Für Dieter Rinker (Freie-Wähler-Fraktionssprecher) war die Zustimmung zum Verkauf und damit zum Neubau gar keine Frage. Es komme wohl kaum noch einmal "ein weißer Ritter" mit so einem Angebot auf die Stadt zu.

CDU-Stadtrat Thorsten Ade sah das Projekt eher für ein Neubaugebiet geeignet.

Stefan Guhl (Freie Wähler) merkte an, man könne sich nicht ständig über Innen- vor Außenentwicklung unterhalten und dann so einer Entwicklung im Innenbereich entgegenstehen.

Mit einem Schmunzeln nannte Peter Gaberle (CDU) das Bauvorhaben "quadratisch, praktisch, gut." Der Architekt habe seinen ersten Entwurf ja bereits überarbeitet. Er hoffe nun einfach darauf, dass noch weitere Zugeständnisse an die Umgebungsbebauung gemacht würden.

Für Wolfgang Hauser (CDU) ist es "dringend notwendig", modernen Wohnraum in der Oberstadt zu schaffen. Er konnte die Diskussion nicht nachvollziehen. Schließlich liege das Grundstück nicht in zentraler Lage wie der Schuhmarktplatz.

Zwölf Stadträte und Bürgermeister Hermann Acker stimmten für den Verkauf des Gebäudes. Johannes Moch, Ruth Hunds, Günter Danner (alle SPD) und Thorsten Ade (CDU) stimmten dagegen. Hans Häckel (SPD), Annette Elben und Ralf Heinzelmann (beide CDU) enthielten sich der Stimme.

So gesehen: Dem Genius Loci entfährt ein Seufzer

Von Marcella Danner

"Die Oberstadt besteht aus einer Ansammlung von städtebaulichen Fehlentscheidungen." Dieses Zitat stammt von einem interessierten Bürger und Leser unserer Zeitung. Die Bündelung eines Schulzentrums im Herzen der Stadt, der Abbruch des legendären "Türkenbaus" oder des Dominikanerinnenklosters sowie das sukzessive Verschwinden der für Oberndorf charakteristischen Eckeingänge – diese Entscheidungen wurden vor Jahrzehnten getroffen und lassen sich nicht mehr rückgängig machen.

Und doch ist noch historische Bausubstanz in der Oberstadt vorhanden. Sie gilt es zu schützen. Das Argument, es sei ja schon so viel falsch gelaufen, da komme es jetzt auch nicht mehr darauf an, kann wohl niemand ernsthaft gelten lassen. Das Scheffelhaus und das Gebäude Schuhmarktplatz 13 beweisen das Gegenteil. Was Oberndorf fehlt, ist eine Gestaltungssatzung. Die Stadt Rottweil etwa hat örtliche Bauvorschriften für ihren historischen Stadtkern. Vorhergehende Oberndorfer Verwaltungen, Stadträte und Stadtbaumeister haben versäumt, so etwas auf den Weg zu bringen.

Für den Schulcampus wurde gerade ein Masterplan erstellt. Richtig so. Denn nur, wer das große Ganze überblickt, weiß, wo er hin will – auch gestalterisch. Ansonsten werden viele Einzelfallentscheidungen getroffen – je nach Gusto jener, die gerade das Sagen haben.

Dabei ist Geschmack bekanntlich keine Frage, worüber man streiten kann. Vielmehr entspringt er einem fundierten Wissen um die Formen und Materialien, aber auch um die Geschichte, die Atmosphäre und das Lebensgefühl einer Örtlichkeit – den berühmten Genius Loci – den Geist eines Ortes. Ihn bemühte Architekt Dietrich Hopf bei der Vorstellung seines Entwurfs für einen Neubau neben dem "i-Dipfele" im Gemeinderat.

So richtig glücklich sahen die wenigsten Stadträte aus – angesichts des geplanten gläsernen Kubus im Zwickel zwischen Kamaral- und Tuchrahmstraße. Hopf machte im Gremium einen guten Job. Er vertrat professionell die Interessen des Investors – seines Bauherrn. Flachdachformen seien im Wohnungsbau heutzutage gang und gäbe. Kaum jemand wolle noch in einer Dachwohnung leben. Investor Manfred Martin fügte an, ohne die maximale Ausnutzung der Fläche lohne sich das Vorhaben nicht. Aus der Sicht des Geschäftsmanns völlig verständlich.

Nun liegt der geplante Standort dieses Gebäudes aber innerhalb des historischen Kerns der Oberstadt. Der endet nicht etwa am Schuhmarktplatz oder an der Hauptstraße. Auch die dahinterliegenden Straßen wie der Bereich in der sogenannten Pfalz verdienen es, mit dem nötigen Fingerspitzengefühl behandelt zu werden. Zwischen dem "i-Dipfele" und der heutigen Musikschule sollten deshalb andere Maßstäbe gelten. Umliegende Neubauten wie die Ivo-Frueth-Schule mögen nicht den Geschmack aller treffen. Doch sie stören in ihrem historischen Umfeld auch nicht groß.

Die Stadt Oberndorf sitzt oder vielmehr saß als Besitzerin des Grundstücks am längeren Hebel. Für die Zukunft ist die erwähnte Gestaltungssatzung unerlässlich. Sie gibt dem entscheidenden Gremium Sicherheit, sodass die Stadträte nicht mit Bauchweh etwas zustimmen müssen, nur damit eine Gelegenheit nicht ungenützt verstreichet.