Die Gedenktafel wurde wieder am ehemaligen Wohnhaus der Familie Eppstein in der Oberndorfer Bahnhofstraße angebracht. Foto: Danner

Jüdischer Schuhhändler wurde von Nationalsozialisten nach Theresienstadt transportiert.

Oberndorf - In Zeiten wieder zunehmenden Antisemitismus wollte der "Marsch des Lebens" vor Kurzem dem Holocaust gedenken. Dabei machten die Teilnehmer auch Station am ehemaligen Haus der Familie Eppstein. Der Oberndorfer Heimatforscher Alfred Danner hat die Geschichte der Eppsteins recherchiert.

Der aus Mühringen bei Horb stammende und in Hochmössingen wohnende Viehhändler Isaias Eppstein kauft 1860 das Haus des Oberndorfer Bürgers Conrad Fuchs und bittet beim Bürgermeister, als Bürger der Stadt aufgenommen zu werden. Ein Teil der Oberndorfer, vor allem die Kaufleute und Händler der Stadt, protestieren in einem Brief an den damaligen Gemeinderat gegen den Zuzug des Eppstein und seinem beabsichtigtem Viehhandel. Trotz der Proteste erhält Eppstein das volle Bürgerrecht.

Sein Sohn Jakob verheiratet sich 1868 in Oberndorf mit der in Dettensee geborenen Rosa, geborene Eppstein. Diese stirbt im Dezember 1877 kurz nach der Geburt ihres achten Kindes. Jakob Eppstein heiratet ein Jahr später Ricka, die Schwester seiner ersten Frau. Sie schenkt ihm weitere sechs Kinder. Er kauft schließlich das Haus Nummer 14 an der unteren Hauptstraße, unmittelbar neben dem Rathaus, und eröffnet dort ein Schuhgeschäft, stirbt aber bereits 1910, worauf seine Frau das Geschäft weiterführt.

Erste Repressalien

1917 – während des 1. Weltkrieges – gerät die Firma in Schwierigkeiten. Ihr werden Kriegswucherei und überzogene Schuhpreise vorgeworfen. Der Tatbestand wird vor dem Rottweiler Landgericht verhandelt und entsprechend dem Urteil musste die Firma Eppstein die gelagerten Schuhe abliefern. Ricka Eppstein ist nun aus finanziellen Gründen gezwungen, das Geschäftshaus beim Rathaus und in bester Geschäftslage an den Metzgermeister Rinker zu verkaufen. Sie stirbt 1931 in Oberndorf.

Ihr 1887 in Oberndorf geborene Sohn Josef erlernte den Beruf des Kaufmannes. Er nimmt am Vereinsleben der Stadt Anteil und nimmt 1908 im Gasthaus "Hirsch" an der Gründung der Narrenzunft teil und tritt als Mitglied bei. Bei Ausbruch des 1. Weltkrieges wird er als Soldat einberufen, aber wegen seiner schwächlichen Statur wieder entlassen. 1920 heiratet er in Wiesloch Ella Flegenheimer und gründet noch im gleichen Jahr in der Bahnhofstraße wieder ein Schuhgeschäft. Es genießt bei der Kundschaft aus der Stadt und Umgebung wegen der Bescheidenheit und Freundlichkeit der Besitzer große Beliebtheit und Zuspruch.

1921 wird sein einziges Kind, die Tochter Mathilda Dora, geboren. Durch die große Arbeitslosigkeit am Ende der 1920er-Jahre kann mancher Kunden das Geld für die dringend benötigten Schuhe nicht mehr aufbringen. Doch Josef Eppstein hatte Verständnis und händigte oftmals – nach mündlicher Überlieferung – mit den Worten "zahl’ halt, wenn du wieder Arbeit hast" die Waren aus.

1933, nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, beginnt in ganz Deutschland die Leidenszeit der Juden. Unter den vielen Schikanen wird auch zum Boykott der jüdischen Geschäfte aufgerufen. In Oberndorf bleibt dies zunächst ohne Auswirkung auf das Schuhgeschäft Eppstein. Doch die organisierte Hetze gegen die jüdischen Geschäfte und die Juden allgemein zeigte schließlich auch in Oberndorf Wirkung. Manche ehemalige Kunden bleiben aus, die Einnahmen gehen rapide zurück. 1935 wird das Gesetz "zum Schutze des deutschen Blutes" erlassen und im gleichen Jahr allen Juden das Wahlrecht aberkannt sowie allen jüdischen Firmen die Aufträge entzogen. Ein Jahr später müssen jüdische Geschäfte besonders gekennzeichnet werden, so auch das Schuhgeschäft Eppstein.

Hetze trägt Früchte

Bis 1935 blieben die wenigen jüdischen Mitbürger der Stadt Oberndorf weitgehend von den Anordnungen und Regierungsmaßnahmen unbehelligt. Doch die Hetzkampagne einzelner Parteimitglieder, vor allem des Leiters der Geschäftsstelle der NSDAP, Bürger, tragen schließlich auch in der Stadt ihre Früchte.

Zunächst wird gegen den Besuch des Oberndorfer Viehmarktes durch jüdische Händler protestiert.

Der bereits erwähnte Geschäftsstellenleiter der NSDAP und Zuträger für das Hetzblatt "Der Stürmer" wird durch seine unflätigsten Beschimpfungen der Juden in Oberndorf in seinen Briefen an den damaligen Bürgermeister Fritz selbst diesem lästig. Ein Teil der Oberndorfer Gemeinderäte hat gegen den Ausschluss jüdischer Händler vom Oberndorfer Markt erhebliche Bedenken. Zunächst wird geplant, den jüdischen Händlern einen gesonderten Platz mit Abstand zu den arischen Händlern zuzuweisen. Aber schließlich wird ihnen der Besuch des Oberndorfer Markts ganz verboten.

Wie es den Eppsteins ergeht

In sogenannten "Kristallnacht" vom 9. auf den 10. November 1938 organisiert der damalige Ortsgruppenleiter Priester die "Judenaktion" gegen die Familie Eppstein, und der SA-Führer Höhn teilte die Mannschaften zu dem geplanten Vorhaben ein. Unter anderem waren die SA, die Werkschar der Mauser-Werke und weitere Parteimitglieder an den Ausschreitungen beteiligt. Das Schuhgeschäft wurde beschädigt, die Fenster eingeschlagen und Waren entwendet. Die Mitglieder der Familie Eppstein flüchteten sich voller Angst in den nahen Wald und hielten sich trotz der November-Kühle mehrere Tage versteckt.

Am 16. November erkundigte sich Josef Eppstein in einem Brief an Bürgermeister Fritz, ob seine Familie bei weiteren antisemitischen Demonstrationen polizeilichen Schutz erhalten könne. Der Bürgermeister teilte ihm mit, dass er in dieser Sache machtlos sei. Dies sei allein die Angelegenheit der Partei, er habe als Bürgermeister da keine Weisungsbefugnisse.

Inzwischen wurden von der Reichsregierung "Einzelaktionen" gegen die Juden untersagt, mit dem Hinweis, dass die Judenfrage durch gesetzliche Maßnahmen geregelt werde. Dadurch konnte der Oberndorfer Bürgermeister Josef Eppstein in einem weiteren Brief mitteilen, dass wohl weitere Aktionen gegen seine Familie ausbleiben würden und ihm die Oberndorfer Polizei gegen Einzeltäter Schutz gewähren werde.

Frau flüchtet in USA

Im November 1938 verlangt der Rottweiler Landrat auf Anordnung der Reichsregierung eine monatliche Statistik über die personelle Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in Oberndorf. Die Polizei erhält darauf den Auftrag, diese Kontrollen durchzuführen und schriftlich der Stadtverwaltung die Ergebnisse mitzuteilen. Von hier geht am 1. November 1938 die Mitteilung an das Landratsamt, dass sechs "Volljuden" noch in der Stadt wohnen. Aber bereits am 15. Dezember geht die Meldung an das Bürgermeisteramt, dass einer der Juden nach Amerika "besuchsweise" abgereist sei, der Wohnsitz aber weiterhin in der Stadt beibehalten werde. Es handelt sich um Ella, Ehefrau von Josef Eppstein.

Am 12. April 1939 teilt die Stadtverwaltung dem Landratsamt mit, dass der jüdische und Schweizer Staatsangehörige Gutmann, Ingenieur bei den Mauser-Werken und Leiter des dortigen großen Kraftwerkes, nach Baden bei Zürich ausgewandert sei. Und im August gleichen Jahres ging die Mitteilung an den Landrat, dass kein landwirtschaftlicher Grundbesitz in Oberndorf mehr in "Judenhand" sei. Inzwischen mussten auf Anordnung der Reichsregierung alle Juden ihrem Vornamen den Zusatz "Israel" und bei Frauen "Sara" vorgesetzt werden. So wird aus Josef Eppstein ein Israel Josef Eppstein.

Nicht genug der Schikanen – im September 1939 muss der Oberndorfer Polizeihauptwachmeister Schuhkraft der Familie Eppstein persönlich die Nachricht überbringen und durch Unterschrift bestätigen lassen, dass durch Anordnung der Regierung ab sofort Ausgehverbot für alle Juden verfügt wurde. Zur Unterstützung der Familie wird für die nach Amerika gereiste Frau Ella Eppstein als Hausgehilfin die Sara Wallach aus Breitenbach im Hause Eppstein aufgenommen.

Nach seiner Frau bringt Josef Eppstein im Oktober 1940 auch seine Tochter Mathilda Dora in Sicherheit, indem er ihr die Auswanderung zu ihrer Mutter nach Nordamerika ermöglicht. Schließlich werden die in der Stadt verbliebenen Mitglieder der Familie Eppstein im Oktober 1940 nach Haigerloch zwangsevakuiert. Eppstein verkauft sein Anwesen an die Oberndorfer Brauerei Graf, seine verbliebenen Schuhwaren an den Schuhhändler Ziegler in Weiden.

Mehr als 100 auswärtige Juden werden in diesem Jahr nach Haigerloch verbracht und entsprechend eines bereits vorbereiteten Plans zum Transport in den Osten gesammelt. Der erste Transport geht mit der Bahn von Haigerloch am 27. November 1941 über Stuttgart nach Riga ab. Mit im Transport befindet sich die 42-jährige Hausgehilfin Eppsteins, Malchen Wallach.

Niemand kehrt zurück

In einem weiteren Transport wird die 55-jährige Minna Eppstein nach Icbica bei Lublin verschleppt. Im Frühjahr 1942 werden der 55-jährige Josef Eppstein und seine 69-jährige Schwester Regina mit den letzten Haigerlocher Juden nach Theresienstadt bei Prag transportiert – mit dem Versprechen, dort in einem neu errichteten, jüdischen Altenheim untergebracht zu werden. Schmuck und Wertsachen werden ihnen abgenommen, das Fahrgeld müssen sie selbst aufbringen.

Kein Mitglied der Familie Eppstein sollte in die Heimat zurückkehren. Malchen Wallach ist in Riga und Minna Eppstein im Lager Icbica verschollen. Josef Eppsteins Schicksal bleibt ebenfalls unbekannt. Er wird am 31. Dezember 1942 für tot erklärt. Seine Schwester Regina stirbt am 7. Dezember des gleichen Jahres in Theresienstadt.

Ella Eppstein und ihre Tochter Mathilda Dora sind die einzigen Überlebenden. Sie bleiben in Nordamerika und kehrten nach dem Krieg nicht mehr nach Oberndorf zurück.

Einige der Schuldigen und Teilnehmer an den Ausschreitungen in der "Kristallnacht" gegen die Familie Eppstein werden 1948 bei einem Prozess vorm Landgericht Rottweil Prozess wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu acht beziehungsweise vier Monaten Gefängnis verurteilt. In einer Revisionsverhandlung werden die Strafen auf fünf beziehungsweise vier Monate reduziert. Ein Angeklagter wird freigesprochen.

Dass es am einstigen Wohnhaus der Familie Eppstein in der Bahnhofstraße eine Gedenktafel gibt, ist Alfred Danner zu verdanken. Der heute 93-jährige Heimatforscher schrieb 1991 an den damaligen Bürgermeister Klaus Laufer und wies darauf hin, dass man in Oberndorf sichtbar Anteil am Schicksal der jüdischen Familie Eppstein nehmen müsse. "Sie musste alle Schikanen und Diskriminierungen bis zum Tod im KZ Theresienstadt bei Prag erdulden." Danner, der die Eppsteins als Kind noch persönlich kennengelernt hatte, schrieb auch an die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg und trug die Geschichte der Familie zusammen. Die Stadtverwaltung griff seinen Vorschlag auf, und 1994 wurde die Tafel angebracht. Nach Renovierungsarbeiten im vergangenen Jahr war sie verschwunden. Erst nachdem Stadtrat Günter Danner (Sohn von Alfred Danner) mehrfach in Gemeinderatssitzungen bei der Stadtverwaltung nachgehakt hatte, wurde sie kürzlich wieder ans Gebäude angebracht.