Die Frauen 1993 beim Spaziergang nach dem Empfang bei der Stadt Oberndorf (von links): Lydia Adams, Fritz Berenbold, Archivar Schmidt, die Übersetzerin Olga Newedomskaja, Natalia Fedotowa, Eugenia Kotschnewa, Ljubow Parzmurzewa und Antonia Ryschakowa Archiv-Foto: Eberhardt Foto: Schwarzwälder-Bote

Vor 20 Jahren besuchen vier ehemalige russische Zwangsarbeiterinnen Oberndorf / "Auf den Spuren von damals"

Von Lothar Eberhardt

Oberndorf. "Begegnung in versöhnlicher Atmosphäre" – das war der Leitgedanke des Treffen mit den vier russischen Zwangsarbeiterinnen aus St. Petersburg, die im Oktober 1993 in Oberndorf weilten.

Natalja Fedowa (Jahrgang 1923), Antonia Ryschakowa (1919), beide sind zwischenzeitlich verstorben, Eugenia Kotschnewa, 87 Jahre alt, sowie Ljubow Parzmurzewa (86) waren von 31. März 1942 bis zur Befreiung durch die Franzosen am 19. April 1945, wie ein amtliches Dokument des Standesamts Oberndorf ausweist, mehr als drei Jahre lang zum Arbeiten in den Mauser-Werken gezwungen gewesen.

Die beiden Freundinnen Eugenia, damals 16 Jahre alt, und Ljubow, noch nicht 15, sind wohlauf, wie Olga Newedomskja (83) nun auf telefonische Anfrage mitteilte. Sie war die begleitende, unersetzliche Dolmetscherin der Begegnung vor 20 Jahren und selbst als Zwölfjährige in Schlesien zur Zwangsarbeit bei Bauern gewesen.

Beim ersten Zusammentreffen mit den "Oberndorferinnen" im April 1993 bei der Bürgerrechtsorganisation Memorial in St. Petersburg, ohne deren Netzwerk die anschließende Begegnung in Stuttgart und Oberndorf nicht möglich gewesen wäre, war sie schon die unersetzliche Kommunikatorin. Sie berichtete nun, dass sich die beiden Frauen sehr über die Zuwendung vom letztjährigen "Carmina Burana"-Benefizkonzert in Oberndorf freuten.

In Stuttgart stand die Begegnung vom Herbst 1993 unter dem Zeichen des Films "Vergeben, aber nicht vergessen", der damals aktuell im Südwest-Fernsehen ausgestrahlt worden war. Er war einer der ersten Filme zum Thema Zwangsarbeit mit viel dokumentarischem Material aus Oberndorf, produziert hatte ihn die Naturfreundejugend Württemberg 1986.

Die Begegnungsveranstaltungen legten den Schwerpunkt auf Menschen, die Opfer den Naziregimes waren, sowie auf politisch Verfolgte und den Verband der Naturfreunde.

In Oberndorf lautete das Motto: "Auf den Spuren von damals." Eindrücklich waren die Zeitzeugengespräche im Rathaus und in der zehnten Klasse der Realschule, beim Altennachmittag und beim Frühschoppen mit der Lokalpolitik. Sie ermöglichten Begegnungen mit Menschen, die vor 50 Jahren auf der anderen Seite des Zauns standen.

Der Besuch der Mauser-Werke mit Essen in der Kantine war für die Frauen damals ein Labsal. Für sie stand Mauser für Hunger, Schmach und unmenschliche Behandlung. Im Oktober 1993 wurden sie von der Geschäftsleitung empfangen und erhielten kleine Geschenke. Auch Begegnungen mit Menschen, die sich schon während der Zeit der Zwangsarbeit über das Verbot im Umgang mit den "Untermenschen" hinweggesetzt hatten, fanden statt.

Gespräche der Zeitzeugen im Rathaus

Etwa die, die Antonia – die älteste der Frauen, die mit 23 Jahren nach Oberndorf gekommen war, angeregt hatte. Das Foto, das sie von Lilie und Marianen aufbewahrt hatte, als sie bei der Ernte bei Bauern helfen mussten, war in der Vorankündigung abgedruckt. Die beiden gebürtigen Sigmarswangerinnen wurden erkannt, informiert und waren daraufhin beim Zeitzeugengespräch im Rathaus dabei. Natalja traf Emilie wieder, mit der seinerzeit in der Kantine von Mauser gearbeitet hatte.

Die vier Frauen waren im "Russenlager" – sie trugen als "rassisch Minderwertige" das Zeichen "Ost" auf blauem Hintergrund für Ostarbeiter – in Altoberndorf eingesperrt. Schuften mussten sie in den Mauser-Werken. Sie waren vier von 1353 im "Russenlager" Untergebrachten bei 12 800 Einwohnern. Davon waren 4107 "ausländische Zivilarbeiter", die 221 Häftlinge des Arbeitserziehungslagers Aistaig im Lauterbachtal eingeschlossen – wie die Einwohnerstatistik vom 1. August 1943 ausweist. Die Ostarbeiterinnen durften sicht erst in den letzten Monaten an Sonntagen außerhalb des Stacheldrahtzauns frei bewegen.

Ende April 1945 kamen sie als "Displaced Persons" (Flüchtlinge) ins Lager Zimmern ob Rottweil, bevor sie im September 1945 in die Sowjetunion zurückkehrten konnten. "›Vergeben, verzeihen, aber nicht vergessen‹, mit diesem Wollen haben sie die Reise angetreten", schrieb der damalige stellvertretende Bürgermeister Berenhold beim Empfang. Ministerpräsident Erwin Teufel würdigte im Schreiben an den Initiator die Arbeit und bot bei Deckungslücken Zuschüsse aus seinen "Verfügungsmitteln" an. Am Ende war alles bezahlt, die Arbeitskraft des Koordinators gab es gratis dazu.