Kein Kind soll Gewalterfahrungen machen müssen: "Stark" engagiert sich lokal mit Präventionsangeboten und hilft Vereinen, ein Schutzkonzept aufzusetzen. Foto: Verein

Organisation Stark bietet Präventionsangebot an. Judith Müller: "Leider gibt es nicht das eine Signal".  

Oberharmersbach - Die Festnahme einer mutmaßlich zentralen Person in einem Pädophilen-Netzwerk im idyllischen Nordrach hat eines ganz aktuell gezeigt: Sexuelle Gewalt gegen Kinder geschieht nicht irgendwo weit weg – sondern auch mitten in der Ortenau. Judith Müller vom Verein Stark aus Oberharmersbach erklärt im Gespräch mit unserer Zeitung, was Anzeichen für Misshandlung sein können und wie ihr Verein versucht, Kinder zu stärken.

Frau Müller, Missbrauch kann viele 
Gesichter haben. Welche?

Immer dann, wenn Menschen gegen ihren Willen benutzt und manipuliert werden, wenn sie anderen ohnmächtig ausgeliefert sind und ihnen zu Willen sein müssen, ist dies eine Form von Missbrauch. Und gerade Kinder, die sowieso in der schwächeren Position sind gegenüber Erwachsenen und Erziehungsberechtigten, sind da besonders gefährdet.

Den betroffenen Kindern widerfährt Schreckliches. Warum suchen sie so 
selten Hilfe?

Nun, zur Täterstrategie gehört, dass Kinder eingeschüchtert werden und dass ihnen vermittelt wird, dies sei ein Geheimnis, da dürfen sie mit niemandem darüber reden und wenn sie es doch täten, würde Schreckliches passieren und sie wären dann schuld daran.

Wenn das Kind selbst 
keine Hilfe suchen kann – wie kann das Umfeld 
Anzeichen erkennen?

Das ist nicht einfach, am ehesten können Personen, die über einen längeren Zeitraum hinweg Kontakt mit dem Kind haben – zum Beispiel in der Kindertagesstätte, in der Schule, im Verein – solche Anzeichen erkennen. Manche Kinder malen Bilder, die auf einen Missbrauch hinweisen können oder verarbeiten das Erlebte in einem Rollenspiel, andere wirken erschöpft, müde, ängstlich oder klagen über Bauchweh – leider gibt es nicht das eine Signal, das rot aufleuchtet, wenn ein Kind betroffen ist.

Wie sollte man handeln, wenn man den Verdacht hat, dass ein Kind betroffen ist. Ein solcher Vorwurf wiegt ja schwer …

Gerade weil dies so ein so sensibles Thema ist, sollte man bei einem Verdacht zuallererst eine Beratungsstelle kontaktieren – hier bei uns in der Nähe zum Beispiel "Aufschrei" in Offenburg oder der Kinderschutzbund in Offenburg – dort sind die Experten, die dann auch bezüglich der weiteren hilfreichen Schritte Auskunft geben können.

Das Ziel von "Stark" ist es, Kinder und Jugendliche auf vielfältige Weise zu stärken und vor Gewalt, Missbrauch und Verletzung der Kinderrechte zu schützen. Wie tun sie das?

Wir finanzieren mit unseren Spendengeldern Präventionsveranstaltungen, zu denen Kindergärten Schulen und Familien eingeladen sind – zum Beispiel das Theaterstück "Pfoten weg!" oder den "Mut-macht-stark"-Tag, im Sommerprogramm der Gemeinden finanzieren wir Selbstverteidigungskurse für Kinder, bei unterschiedlichsten Veranstaltungen sind wir mit unserem Infostand präsent und wir haben ein vielseitiges Sortiment an Präventionsmaterial für Kindergärten und Schulen, das bei uns ausgeliehen werden kann. Außerdem unterstützen wir, sofern gewünscht, Vereine beim Erstellen eines Schutzkonzepts.

Sie sagen es: Ein wichtiger Baustein Ihrer Arbeit ist es, in Kindergärten, Schulen und Vereinen für das Thema zu sensibilisieren. Aktuell läuft in diesen Bereichen alles auf Notbetrieb. Macht Ihnen das Sorge?

Natürlich macht uns dies überaus große Sorge. In vielen Familien ist die Situation durch Corona sowieso angespannt, Homeoffice und Kinderbetreuung, finanzielle Probleme, das bekommen auch die Kinder zu spüren. Viele Kinder haben durch Corona kaum noch Kontakt zur Außenwelt gehabt und sind so eventueller Gewalt oder 
sexueller Gewalt hilflos ausgeliefert. Zum Glück läuft die reguläre Betreuung in Kindertagesstätten und der Schulbetrieb wieder langsam an, sodass wieder ein persönlicher Kontakt zu den Kindern möglich ist.

Mit welchem Wunsch 
blicken Sie in die Zukunft? Und plant ihr Verein Veranstaltungen/Vorträge zum Thema, sobald das wieder möglich ist?

Wir wünschen uns, dass die durch Corona bedingte ruhigere Zeit, gerade auch in den Vereinen, dazu genutzt wird, um tragende Schutzkonzepte zu erarbeiten – der Fall Nordrach hat uns wieder gezeigt: Wir leben auf keiner Insel der Glückseligen – es wird immer Menschen geben, die sich für ihre eigene sexuelle Befriedigung an Kindern vergehen. Deshalb wollen wir auch in Zukunft mithelfen, dass Kinder durch unsere Angebote gestärkt werden, dass sie ermutigt werden, sich Hilfe zu holen und dass die breite Öffentlichkeit für das Thema sexuelle Gewalt sensibilisiert wird. Im Moment bereiten wir in Zusammenarbeit mit der Polizei einen Infoabend zum Thema: "Schutz vor sexueller Gewalt mittels digitaler Medien" vor und werden dazu rechtzeitig alle Interessierten einladen.