Alles "picobello": Claudia Freund bei der Arbeit für die Erlacher Höhe. Foto: Püschner

Claudia Freund, Hotelfachfrau und Betriebswirtin, war Assistentin der Direktion in einem Luxushotel. Vor 25 Jahren wechselte sie jedoch zur Erlacher Höhe, die Wohnsitzlosen und Menschen in Notlagen Hilfe anbietet.

Freudenstadt - Sie hat den Schritt nie bereut. Anlässlich ihres Dienstjubiläums unterhielt sich unsere Redaktion mit ihr.

 

Frau Freund, ist das Leben ungerecht?

Nach meiner Erfahrung ist der Mensch aus sich nicht gerecht. Somit das Leben insgesamt nicht. Im christlichen Glauben habe ich jedoch für mich göttliche Gerechtigkeit gefunden.

Vor 25 Jahren sind Sie vom Luxushotel zu einer Einrichtung gegangen, die sich für sozial Schwache engagiert. Was gab den Ausschlag?

Mein Ziel war es schon von Anbeginn der Ausbildung, mit Menschen zu arbeiten. Im Hotelfach durfte ich den Weg dann weiter gehen bis zur Direktionsassistentin. Die Arbeit hat mir viel Freude gemacht und war sehr persönlichkeitsbildend. Der Wechsel zur Erlacher Höhe kam aus eher persönlichen Gründen zustande und war sicher auch ein Schritt des Glaubens.

Sie könnten heute vielleicht ein Leben mit mehr Geld und Annehmlichkeiten führen. Haben Sie an Ihrer damaligen Entscheidung mal gezweifelt?

In der Position als Gruppenleiterin in der Erlacher Höhe habe ich doch noch mehr mit den Menschen an der Basis zu tun. Das stand und steht nach wie vor im Vordergrund. Ich habe diesbezüglich keine Zweifel an meiner Entscheidung gehabt.

Was machen Sie genau in Ihrem Beruf?

Als Hauswirtschafts- und Gruppenleiterin arbeite ich direkt mit unseren Beschäftigten zusammen. Diese haben die unterschiedlichsten Zugänge zu meinem Arbeitsbereich. Die Bereiche Reinigung und Wäsche bilden meinen Schwerpunkt. Für die Tagesstätte "Windrad" mit Küchenbereich bin ich beratend tätig. Meine Abteilung nennt sich "Picobello". Als Wäscheservice sind wir ganz aktuell auch noch Annahmestelle für die Firma Exakt-Reinigung Schulz in Horb. Darüber hinaus gehört zu meinen Aufgaben die Betreuung und Anleitung von Beschäftigten im tagesstrukturierenden Bereich. Hier geht es unter anderem um die Wiedererlangung oder das Erlernen von Sozialkompetenzen sowie praktischen Alltagsfähigkeiten. Aktuell sind zehn beschäftigte Frauen in meinem Bereich tätig. Ebenfalls bin ich seit einigen Jahren ehrenamtlich in den Prüfungsausschüssen für die Hauswirtschaft und die Fachpraktiker der Hauswirtschaft engagiert und Mitglied im Qualitätszirkel der Erlacher Höhe. Hier treffen sich in regelmäßigen Abständen alle Hauswirtschaftsleiterinnen zum fachlichen Austausch und Erarbeitung neuer Konzeptionen.

Warum fallen Menschen wirtschaftlich und existenziell ins Bodenlose?

Viele Menschen erleiden schwere Schicksalsschläge, sind gesundheitlich stark beeinträchtigt, verlieren unverschuldet und längerfristig ihren Arbeitsplatz. Sie haben einen Suchthintergrund oder sogar noch nie die Möglichkeit gehabt, richtig im Leben Fuß zu fassen. Und dann fehlt es vielmals am guten sozialen Umfeld, um sich längerfristig zu stabilisieren. Da bringt jeder Mensch wirklich seine ganz eigene Biografie mit.

Wie ertragen Sie es, damit täglich konfrontiert zu werden?

Sicher durch ein eigenes stabiles, soziales Umfeld, dazu sinnhafte und erfüllende Freizeitbeschäftigungen. Aber auch durch gute Fortbildung und konstruktiven Austausch in einem starken Team. Resilienz und pädagogische Fähigkeiten durfte ich im Laufe der Zeit nach und nach dazu zulernen. Aber auch meine persönliche Glaubensbildung und Weiterentwicklung sind mir tägliche Stütze.

Kann man Menschen am Rand der Gesellschaft helfen, wieder Tritt zu fassen und ein bürgerliches Leben zu führen?

Dazu leiste ich gerne meinen Beitrag in einem Team, wie wie es in der Erlacher Höhe Freudenstadt sind, das breit aufgestellt sowie untereinander und auch nach außen hin gut vernetzt ist. Mit Begleitung und Hilfestellung in Alltags- und Behördenfragen, Hilfe bei Suchtproblematik oder Überschuldung, Beschäftigung in unserem sozialen Beschäftigungsunternehmen sowie Coaching für ein neuen Platz auf dem ersten Arbeitsmarkt gelingt das immer wieder.

Woran bemessen Sie, ob Ihre Arbeit von Erfolg gekrönt ist?

Wenn meine Beschäftigten täglich gerne kommen, ihre Arbeit und sonstige Aufgaben mit Freude und Motivation angehen, sich persönlich und fachlich weiterentwickeln. Auch durch Lob und positive persönliche Rückmeldungen von Klienten, vom Chef, von Kollegen und externen Kunden, die uns teilweise schon viele Jahre die Treue halten.

Was motiviert Sie?

Alle Menschen in meinem täglichen Arbeitsumfeld an sich, speziell natürlich die Beschäftigten und ihre jeweilige Geschichte. An ihrer guten Entwicklung teilhaben zu dürfen.

Welche Kundschaft weiß Ihre Dienstleistung mehr zu schätzen: jene, die nichts hat oder jene, die finanziell auf der Sonnenseite steht?

Wertschätzung erlebe ich ganz unabhängig vom finanziellen Status von jeder Person oder Personengruppe mehr oder minder.

Wenn Sie gesellschaftlich was verändern könnten –was wäre das?

Mein Wunsch wäre es, Arbeit insgesamt anders zu bewerten. Nicht so sehr hierarchisch nach viel und wenig Bildung. Breiter gesehen auch nach Motivation und Präsenz des Einzelnen. Nicht jeder hat die Möglichkeit oder die Befähigung zu hoher Bildung und dementsprechend höherem Entgelt. Viele aber möchten gerne täglich die Arbeitskraft unter Beweis stellen, sich von der eigenen Hände Arbeit würdig ernähren und am gesellschaftlichen Leben haben können.

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