Boris Palmer will bei der Wahl am 23. Oktober wieder OB von Tübingen werden. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Bei der Kandidatenvorstellung in Tübingen stellt Boris Palmer inhaltliche Fragen in den Mittelpunkt. Seine Mitbewerberinnen versprechen hingegen einen anderen Stil.

Der Kandidat gelobt es feierlich: Auch wenn die Maischbergers, Lanzens und Illners ihm rote Teppiche ausrollten, werde er als Oberbürgermeister nicht in ihre Talkshows gehen, sondern brav im Tübinger Rathaus bleiben. Es ist – natürlich – nicht Boris Palmer, der bei der offiziellen Kandidatenvorstellung zur Tübinger OB-Wahl am Mittwochabend dieses Gelübde ablegt, sondern Markus Vogt. Dabei wäre auch der Kandidat der Satirepartei Die Partei mit seinem Zylinder auf dem Kopf telegen. Den innigsten Wunsch der Tübinger meint er jedenfalls zu kennen: einfach aus einer Stadt zu kommen, bei der niemand jenseits von Kirchentellinsfurt den Namen des Oberbürgermeisters kennt. Zum Beispiel Reutlingen. „Jeder hatte im Urlaub doch schon seinen ‚Ich wollt, ich wär aus Reutlingen‘-Moment.“

So viel ist klar: Ginge es um die Einschaltquote, wäre die OB-Wahl, die am 23. Oktober in die erste Runde geht, schon gelaufen. Doch darum geht es nicht, auch wenn die offizielle Kandidatenvorstellung im Internet übertragen wird und – für die OB-Wahl einer mittelgroßen Stadt eher ungewöhnlich – Journalisten vom Deutschlandfunk und dem „Spiegel“ unter den 400 Besuchern im Publikum sitzen.

Der Amtsinhaber verweist auf die kleinen Unterschiede

Palmer ist das egal. Er absolviert seinen Zwölf-Minuten-Auftritt in der streng getakteten Veranstaltung wie seine Sendeminuten im Fernsehen: selbstbewusst, fokussiert und allzeit angriffslustig, obwohl das starre Format keine direkte Konfrontation kennt. Die inhaltlichen Unterschiede zwischen ihm und seinen schärfsten Konkurrentinnen seien ja nicht allzu groß, sagt Palmer, um dann schnell zum Punkt zu kommen: Das Neubaugebiet auf der Freifläche Saiben, mit dem die SPD-Kandidatin Sofie Geisel die Wohnungsnot lindern wolle, sei sowieso erst nach 2030 zu realisieren. Es sei schlecht, Ökologisches gegen Soziales auszuspielen. Und der Ruf der Grünen-Kandidatin Ulrike Baumgärtner nach kommunalen Steuersenkungen entlaste vor allem Reiche. „Ich weiß nicht, was daran grün sein soll.“

Palmer selbst trägt einen Anzug in „ruhendem Grün“. Den hatte er neulich schon bei Lanz an. „Wir sind die Stadt mit der am schnellsten wachsenden Wirtschaft und den am schnellsten schrumpfenden Kohlendioxidemissionen. Wenn Sie meinen, dass das auch ein wenig mit mir zu tun hat, wählen Sie mich.“ Um das Klima zu retten, reichten 16 Jahre nicht aus.

Die lange Liste an Fehltritten

Der Erfolgsbilanz können die beiden Konkurrentinnen nicht widersprechen. „Tübingen steht gut da, aber es ist Zeit für einen Wechsel“, sagt Geisel. „Die Bürger fühlen sich zu wenig gehört, es wird zu viel gestritten.“ Noch drastischer stellt es Baumgärtner dar. Viele in der Stadt hätten Angst. „Damit muss Schluss sein.“ Dazu hält sie ein zerfetztes Wahlplakat hoch. „Weniger Rambo, mehr wir“, steht darauf. Nach wenigen Stunden sei es heruntergerissen worden. „Das ist der Rambo-Stil, den wir nicht mehr brauchen.“

Das scheint ein bisschen dick aufgetragen. Richtig ist aber, dass Palmers provokante Äußerungen vielen auf den Wecker gehen. Sandro Vidotto ist offenbar nur angetreten, um in seiner Rede an Palmers vermeintliche oder tatsächliche Fehltritte zu erinnern, die ihm fast einen Rausschmiss bei den Grünen, dafür aber ein Beitrittsangebot der AfD eingebracht haben. Die Liste reicht vom Unwort des Jahres 2018 „Menschenrechtsfundamentalismus“ über Beleidigungen gegen den Fußballspieler Dennis Aogo bis zu seiner umstrittenen Aussage während der Coronapandemie: „Wir retten jetzt Menschen, die in einem halben Jahr sowieso gestorben wären.“ Tübingen habe eine Verantwortung, Palmer nicht zu wählen, so Vidotto. Viele dürften da zwiegespalten sein. Am Ende hat der Amtsinhaber zwar die größte Gegnergruppe im Saal, liegt aber auch beim Applaus vorne.