Der Landtagsabgeordnete und Grünen-Obmann im NSU-Ausschuss, Jürgen Filius. Foto: dpa

Jürgen Filius, Grünen-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag, hat nach den Brandanschlägen auf Unterkünfte vor der zunehmenden Gewaltbereitschaft aus der rechten Szene gegen Asylsuchende gewarnt.

Stuttgart - Von Altheim bis Remchingen, von Weissach bis Wertheim: Die Orte im Land wechseln, doch die Nachrichten wiederholen sich dieser Tage. Unbekannte setzen geplante Flüchtlingsheime in Brand. Sie legen Feuer, wo Asylbewerber eine Zuflucht finden sollen. Gebäude brennen herunter zu Ruinen. Die Polizei stößt am Tatort nicht selten auf Brandbeschleuniger wie Benzin. Fremdenfeindliche Motive wollen die Ermittler häufig nicht ausschließen. Erst am Dienstag legten Unbekannte in einem leerstehenden Gasthaus in Remseck bei Stuttgart ein Feuer - direkt nebenan leben 50 Flüchtlinge.

Das Bundeskriminalamt (BKA) warnt vor verschärfter Agitation der rechten Szene gegen Flüchtlinge und ihren Helfern, wie die „Süddeutsche Zeitung“ sowie der NDR und der WDR berichten. Die Behörde zählte nach eigenen Angaben in diesem Jahr 576 Straftaten gegen Asylunterkünfte, hinter 523 steckten rechtsmotivierte Täter. Bundesweit wurden 2015 bislang 46 Brandstiftungen registriert. 2014 waren es 6.

Liste der Angriffe wird immer länger

Die Liste der Angriffe wird auch im Südwesten jede Woche länger. Das Innenministerium zählte dieses Jahr bereits 35 Übergriffe auf Unterkünfte (Stand: 9. Oktober), „von der Farbschmiererei bis zur Brandstiftung“, berichtet Sprecher Andreas Schanz. Im ganzen vergangenen Jahr waren es 21.

Die Ermittler tun sich schwer. Hinweise gehen in Rauch auf. Von den Tätern fehlt meist jede Spur. Diese Woche meldeten die Beamten einen Erfolg: Ein 42-jähriger Mann aus dem Enzkreis sitzt wegen des Brandanschlags auf ein geplantes Flüchtlingsheim in Remchingen seit Montag in Untersuchungshaft. Der Mann ist vorbestraft - aber nicht wegen rechtsextremistischer Umtriebe.

Polizei: Zwei Drittel Ersttäter

Zwei Drittel dieser Täter sei bisher noch gar nicht polizeilich in Erscheinung getreten, berichtet der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt. „Ein eher trauriger Befund“, sagt Wendt. „Das heißt ja, dass die Bereitschaft der Gewalt schon fast in der Mitte der Bevölkerung angekommen ist.“ Stecken hasserfüllte Einzeltäter hinter all den Flammen? Oder handelt es sich gar um organisierte Gewalt einer rechtsextremen Zelle?

„Es spricht sehr viel dafür, dass das in einer im Hintergrund gebündelten Aktion von statten geht“, meint jedenfalls Jürgen Filius (Grüne), der Grünen-Obmann im Landtags-Untersuchungsausschusses zur rechtsextremen Terrorzelle NSU. „Brände legen ist ein ganz markantes Zeichen für Rechtsradikalismus.“ Verfassungsschützer haben auch die Verbrechen der NSU jahrelang nicht erkannt. Organisationen wie die NPD würden die Stimmung mit Hetze zumindest anheizen, warnt Filius. „Personen fühlen sich angesprochen und lassen Worten Taten folgen.“

Ab wann wird die Gewalt zum Terrorismus?

Die Sicherheitsbehörden geben sich da sehr viel zurückhaltender. „Bisher gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass organisatorische Strukturen deutlich geworden sind“, sagt Schanz. „Aber natürlich können wir es nicht ausschließen.“ Auch Wendt erkennt bisher keine Anzeichen von organisierter rechter Gewalt. „Aber das muss uns nicht beruhigen, es gibt trotzdem Anlass, hochwachsam zu sein.“

Ähnlich äußern sich die Stuttgarter Staatsanwaltschaft und das Landesamt für Verfassungsschutz. „Die Themen „Asyl“ und „Zuwanderung“ stellen jedoch grundsätzlich relevante Themen für Rechtsextremisten dar, die durch die aktuell steigenden Zahlen von Asylsuchenden durch die Öffentlichkeit verstärkt wahrgenommen werden“, teilen die Verfassungsschützer mit.

Terror wolle Menschen einschüchtern und isolieren, sagt Filius. „Das ist leider eine Saat, wo ich große Sorge habe, dass sie aufgeht.“ Die Sicherheitsbehörden müssten deshalb aus dem NSU-Versagen lernen und ganz genau hinsehen. Der Landtag schaue den Verfassungsschützern zudem mit einem parlamentarischen Kontrollgremium bald stärker auf die Finger. „Wir brauchen eine wehrhafte Demokratie“, fordert Filius.

Politik muss Krise in den Griff bekommen

Die Politik müsse den Flüchtlingskrise in den Griff bekommen, warnt Wendt. „Wenn die Politik vermitteln kann, dass sie die Krise beherrscht, werden auch Gewalt, Unsicherheit und Hassmails nachlassen.“ Doch die Politik fährt bisher weiter auf Sicht. Werden auch weiter Flüchtlingsheime brennen?

Die Polizei gibt bei den Brandanschlägen meist an, sie wolle einen fremdenfeindlichen Hintergrund nicht ausschließen. Doch wieso sonst sollte jemand ein Heim für Asylbewerber anzünden? Die Beamten sichern sich damit ab, erklärt Gewerkschaftschef Wendt. In der Beziehung zog man offenbar bereits Lehren aus dem NSU-Skandal: „Das ist aus NSU erlernt worden, dass man sich neutralerer Begriffe bedient - um eine zu frühe Festlegung in eine bestimmte Ermittlungsrichtung zu vermeiden.“