Seit Jahrzehnten hört "Big Brother" mit: Nach neuen Enthüllungen von Wikileaks soll sich die NSA bereits in Zeiten Helmut Kohls für die Vorgänge im Kanzleramt interessiert haben.
Berlin/München - Die Parlamentsaufklärer zur NSA-Affäre fordern angesichts der neuen Enthüllungen über die Spähaktionen des US-Geheimdienstes Konsequenzen. Der SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Christian Flisek, rief Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag auf, sich einzuschalten und US-Präsident Barack Obama klarzumachen, dass die Bundesregierung solche Spähaktionen nicht hinnehme. Die Linke verlangte eine Sondersitzung des NSA-Ausschusses. Kanzleramtschef Peter Altmaier und Innenminister Thomas de Maizière (beide CDU) müssten dort erklären, was die Regierung gegen die Spitzeleien der Amerikaner unternehme.
Am Mittwochabend waren neue Hinweise auf umfangreiche Spähaktionen des US-Geheimdienstes NSA gegen deutsche Regierungsmitglieder bekanntgeworden. Nach Informationen der Plattform Wikileaks forschte die NSA über Jahrzehnte hinweg das Kanzleramt aus. Das berichteten die „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR unter Berufung auf Wikileaks-Unterlagen, die sie vorab einsehen konnten.
Schröder war auch betroffen
Betroffen waren demnach neben der Regierung von Merkel offenbar auch die Regierungen ihrer Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) und Helmut Kohl (CDU). Laut Wikileaks zapfte der US-Nachrichtendienst auch zahlreiche Telefone von Merkels engen Vertrauten an - darunter Kanzleramtschef Altmaier und dessen Vorgänger Ronald Pofalla (CDU).
Flisek appellierte an die Regierungschefin, sich einzuschalten. „Frau Merkel muss jetzt klare Worte finden gegenüber Obama. Das geht so nicht weiter“, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die Kanzlerin müsse klar machen, dass die Regierung diese Ausspähung nicht hinnehme. „Wir können jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“
Flisek sagte, die neuen Informationen überraschten ihn nicht mehr. „Der Vertrauensbruch setzt sich fort. Das Kanzlerinnen-Handy war die Spitze des Eisbergs. Wir wissen noch nicht, wie groß der Eisberg ist, aber wir müssen uns auf das Schlimmste einstellen.“ Dass die NSA wohl über Jahre das Handy der Kanzlerin abhörte, ist bereits seit Oktober 2013 bekannt.
Sondersitzung gefordert
Vor einer Woche hatte Wikileaks Unterlagen publik gemacht, wonach die NSA nicht nur Merkel, sondern mindestens seit den 1990er Jahren weite Teile der Bundesregierung ausgespäht haben soll - darunter Spitzenbeamte und Minister aus dem Wirtschafts- und dem Finanzressort. Altmaier hatte daraufhin den US-Botschafter John B. Emerson ins Kanzleramt zitiert.
Die Linke-Obfrau im NSA-Ausschuss, Martina Renner, verlangte eine Sondersitzung des Gremiums. Altmaier und de Maizière müssten dort erklären, was die Regierung tue, um die Spionage zu beenden. Die neuen Hinweise ließen sich nicht mehr durch Worthülsen abwiegeln. Merkel müsse aufhören, das Ausmaß der Spionage zu vertuschen und zu verharmlosen.
Die Grünen forderten den Generalbundesanwalt auf, angesichts der Vorwürfe zu ermitteln. Die Bundesanwaltschaft hatte wegen des vermuteten Lauschangriffs auf Merkels Handy bereits Ermittlungen eingeleitet, diese jedoch Mitte Juni aus Mangel an Beweisen eingestellt.