Der US-amerikanische Botschafter John B. Emerson ist im Zuge der NSA-Spähaffäre ins Kanzleramt einbestellt worden. Foto: dpa

Die Spähaffäre rund um den US-Geheimdienst NSA weitet sich aus: Nicht nur die Kanzlerin, sondern auch Minister und Spitzenbeamte soll der US-Geheimdienst belauscht haben. Das Kanzleramt reagiert mit einem deutlichen Signal.

Berlin - Die neuen Enthüllungen über Abhöraktionen des US-Geheimdienstes NSA gegen Mitglieder der Bundesregierung verschärfen die Spannungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis. Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) bestellte am Donnerstag US-Botschafter John B. Emerson ein. Das wurde der Deutschen Presse-Agentur in Regierungskreisen in Berlin bestätigt. Das Gespräch habe Krisencharakter, hieß es.

 

Bereits im Oktober 2013 war bekannt geworden, dass der US-Geheimdienst wohl über Jahre das Handy von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ausspionierte. Nach neuen Informationen der Enthüllungsplattform Wikileaks soll die NSA aber nicht nur die Regierungschefin, sondern jahrelang weite Teile der Bundesregierung ausgespäht haben - darunter Spitzenbeamte und Minister aus dem Wirtschafts-, dem Finanz- und dem Landwirtschaftsressort.

Die Ausforschung soll mindestens bis in die 1990er Jahre zurückreichen. Die NSA habe sich demnach vor allem für die deutsche Währungs- und Handelspolitik interessiert, berichteten „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR, die vorab Zugang zu den Unterlagen hatten. In den Dokumenten findet sich auch das Protokoll eines Telefonats der Kanzlerin zur Griechenland-Krise aus dem Oktober 2011.

Zu Altmaiers Schritt hieß es auf Nachfrage, die Einladung des US-Botschafters zum Gespräch sei als Einbestellung zu verstehen. Eine Einbestellung gilt als scharfer Protest einer Regierung. Nach Bekanntwerden des Abhörens des Merkel-Handys 2013 hatte der damalige Außenminister Guido Westerwelle auch den US-Botschafter einbestellt.

Schäuble äußerst sich kritisch zu den neuen Enthüllungen

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) äußerte sich kritisch zu den neuen Enthüllungen. Es dränge sich der Eindruck auf, „dass bei den amerikanischen Diensten der eine oder andere möglicherweise Maß und Mitte ein wenig aus dem Blick verloren hat“, sagte er der „Bild“-Zeitung (Freitag).

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel reagierte relativ gelassen auf die neuen Spionagevorwürfe. „Man bekommt ein ironisches Verhältnis dazu“, sagte der SPD-Chef in der ARD. Die Abgeordneten im NSA-Untersuchungsausschuss forderten Konsequenzen. SPD-Obmann Christian Flisek rief Merkel auf, persönlich mit der US-Regierung über die neuen Vorwürfe zu reden. „Da gibt es kein Wegducken mehr.“ Die Linke-Obfrau Martina Renner mahnte, die Regierung müsse sofort wichtige NSA-Unterlagen offenlegen und dürfe nicht länger auf ein Einverständnis der USA warten. Der Grünen-Obmann Konstantin von Notz mahnte, der Generalbundesanwalt müsse Ermittlungen einleiten.

Die Bundesanwaltschaft hatte wegen des vermutlichen Lauschangriffs auf Merkels Handy bereits Ermittlungen eingeleitet, diese jedoch Mitte Juni aus Mangel an Beweisen eingestellt. Zu den neuen Vorwürfen erklärte die Behörde, Generalbundesanwalt Harald Range gehe den Veröffentlichungen nach. Aber: „Eine Entscheidung über die Wiederaufnahme der Ermittlungen ist damit derzeit nicht verbunden.“

Im Streit um den Umgang mit US-Spionagelisten benannte der NSA-Ausschuss - mit den Stimmen von Union und SPD und gegen den Willen der Opposition - den Ex-Bundesverwaltungsrichter Kurt Graulich als „Vertrauensperson“, um die Unterlagen zu sichten. Linke und Grüne pochen darauf, die Listen mit unzulässigen Spähzielen der NSA selbst einzusehen, was die Bundesregierung jedoch verweigert. Die beiden Fraktionen wollen nun vor dem Bundesverfassungsgericht klagen.