Jörg Schlenker und Carmen Pestka präsentieren die Ausstellung „Ewald Jauch und die Kinder vom Bullenhuser Damm. Ein Schwenninger Bürger wird zum Täter“. Der Geschichte der Opfer steht das Paradebeispiel einer Karriere im Dritten Reich gegenüber.
Wie sich ein arbeitsloser Schwenninger Bürger zum NS-Schergen entwickelte, der im Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg an Hinrichtungen und in den letzten Kriegstagen an der Ermordung von 20 jüdischen Kindern beteiligt war, das treibt Jörg Schlenker aus Schwenningen und Carmen Pestka aus Villingen um. Ebenso die Frage, wie dies so lange unter Verschluss und der Name Ewald Jauch unerwähnt bleiben konnte. Sie wollten die Mauer des Schweigen durchbrechen und über die Verbrechen sprechen.
Herausgekommen ist die Ausstellung „Ewald Jauch und die Kinder vom Bullenhuser Damm. Ein Schwenninger Bürger wird zum Täter“. Jetzt präsentieren sie die Ergebnisse ihrer Recherchen in der Heimat des Täters, der als Kriegsverbrecher verurteilt und in Hameln hingerichtet wurde.
SS-Arzt Kurt Heißmeyer missbraucht Jungen und Mädchen für Versuche
Vor einigen Jahren habe er erfahren, dass eine Verbindung zwischen dem SS-Oberscharführer und den Verbrechen in der Schule am Bullenhuser Damm besteht, erklärt Schlenker. Und nach einem Besuch der Gedenkstätte ließ ihn das Schicksal der Kinder nicht mehr los: Im KZ Neuengamme hatte der SS-Arzt Kurt Heißmeyer Versuche an Häftlingen ausgeführt und zehn Jungen und Mädchen aus dem KZ Auschwitz holen lassen, um mit ihnen zu experimentieren.
Wenige Tage vor Kriegsende brachten sie die Aufseher in die Schule. Da die Briten bereits Hamburg erreicht hatten, kam der Befehl, die Spuren zu verwischen: In der Nacht des 20. April 1945 erhängten Nazis die Kinder im Keller, zudem ihre Pfleger und mindestens 24 KZ-Häftlinge. Der Journalist Günther Schwarberg begab sich über Jahrzehnte auf die Suche nach den Opfern und überlebenden Angehörigen, rekonstruierte ihre Lebenswege und war an der Gründung der Vereinigung „Kinder vom Bullenhuser Damm“ beteiligt. Am Tatort entstand eine Gedenkstätte samt Rosengarten. Die Inschrift „Hier stehst du schweigend doch wenn du dich wendest schweige nicht“ war es, die Jörg Schlenker keine Ruhe mehr ließ. Nachdem sie den Film „Nazijäger“ gesehen hatten, der wieder zu Ewald Jauch führte, beschlossen Jörg Schlenker und Carmen Pestka, gemeinsam die Taten des Schwenningers aufzudecken.
Eintritt in die NSDAP führt zu Anstellung bei der Stadt
Über Monate begaben sie sich auf Spurensuche, erhielten im Stadtarchiv die Personalakte des ehemaligen Verwaltungsmitarbeiters, konnten das Paradebeispiel einer NSDAP-Karriere im Dritten Reich rekonstruieren – vom Arbeitslosen, der mit seiner Frau Else das Schwenninger Schützenhaus betrieb, über den Eintritt in die NSDAP und die SS eine Anstellung bei der Stadt fand und zum Täter wurde.
Begeistert sind die beiden, welch Unterstützung sie von vielen Seiten bekamen, ob von der Stadt, der Bibliothek oder Archiven. Und mit der Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg war ein Kooperationspartner für das umfangreiche Projekt gefunden. So ist es den Initiatoren nicht nur gelungen, die Wanderausstellung der „Kinder vom Bullenhuser Damm“ aus Hamburg in die Doppelstadt zu holen, sondern sie auch um die Lebensgeschichte von Ewald Jauch zu ergänzen, um den Täter in seiner Heimat zu verorten.
Begleitprogramm
Öffnungszeiten
Die Ausstellung „Ewald Jauch und die Kinder vom Bullenhuser Damm“ ist von Samstag, 15. April, bis Sonntag, 7. Mai, täglich von 10 bis 18 Uhr im Karl-Haag-Saal in der Schwenninger Stadtbibliothek zu sehen. Die Vernissage ist am Samstag um 17 Uhr. Es sprechen Oberbürgermeister Jürgen Roth, Nicole Mattern von der Vereinigung Kinder vom Bullenhuser Damm und Andreas Baume von der Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg. In die Ausstellung führen Carmen Pestka und Jörg Schlenker mit der Theater-AG des Gymnasiums am Deutenberg ein.
Film und Vorträge
Der Film „Nazijäger – Reise in die Finsternis“ läuft am Donnerstag, 20. April, ab 19.30 Uhr im Kino Capitol in Schwenningen. Regisseur Raymond Ley geht dem Schicksal der Kinder im KZ Neuengamme und in der als Außenlager genutzten Schule am Bullenhuser Damm auf die Spur. Grundlage sind die Protokolle der Verhöre der britischen Ermittler von 1945 und 1946. In seinen Film führt Raymond Ley selbst ein, der aus Berlin anreist und auch für Gespräche mit den Zuschauern zur Verfügung steht. Zum Thema „Nationalsozialismus in Villingen. Nutznießer und jüdische Opfer“ spricht Wolfgang Heitner am Donnerstag, 27. April. Er zeigt, wie die Parteizugehörigkeit einer Reihe von Männern zu leitenden Posten verhalf und wie sich mit der Machtergreifung das Leben für die jüdischen Familien veränderte, wie die Erwachsenen darauf reagierten und was mit den Kindern geschah. Unter dem Titel „Mitmacher und Schweigende – Die nationalsozialistische Herrschaft in Villingen und Schwenningen“ beleuchtet Robert Neisen am Donnerstag, 4. Mai, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Herrschaftspraxis beider Städte. Die beiden Vorträge sind in der Stadtbibliothek in Schwenningen und beginnen jeweils um 19.30 Uhr.