Schubkarre in einem Gebäudeteil: Eigentlich sollte das Münchner NS-Dokumentationszentrum in diesem Frühjahr eröffnet werden, doch die Fertigstellung hat sich immer wieder verzögert. Foto: dpa

70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, am 30. April 2015, wird in der Hauptstadt Bayerns ein NS-Dokumentationszentrum eröffnet. Die Planungsphase verlief nicht ohne Reibungen.

70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, am 30. April 2015, wird in der Hauptstadt Bayerns ein NS-Dokumentationszentrum eröffnet. Die Planungsphase verlief nicht ohne Reibungen.

München - Es war der 10. März 1933, als der Anwalt Michael Siegel mit abgeschnittenen Hosen und barfuß vom Münchner Polizeipräsidium zum Hauptbahnhof getrieben wurde. Der von einer Nazi-Meute bedrohte Mann hatte sich ein großes Schild um den Hals hängen müssen, auf dem stand: „Ich werde mich nie mehr bei der Polizei beschweren.“  Siegel, ein Jude, hatte am Vortag Anzeige erstatten wollen, weil NS-Truppen die Fenster des Geschäftes eines jüdischen Kaufhauses zertrümmert hatten. Bei der Polizei wurde er zusammengeschlagen  und musste dann den Spießrutenlauf absolvieren. Das war in München, der „Hauptstadt der Bewegung“.

Keine sechs Wochen zuvor war Adolf Hitler in Deutschland an die Macht gekommen. Die Fotos des gedemütigten Michael Siegel, die so viel vom Unheil der kommenden zwölf Jahre der nationalsozialistischen Verbrecherherrschaft ahnen lassen, werden wieder öffentlich gezeigt – im Münchner NS-Dokumentationszentrum, das am 30. April 2015 eröffnet werden soll. Ein großes, nicht nur für München, sondern für Deutschland bedeutendes Projekt entsteht da gerade am Münchner Königsplatz. Der Platz ist ein Zentrum des von Leo von Klenze für München so prägenden Klassizismus des 19. Jahrhunderts. Und es ist ein Ort, den die Nazis perfekt für ihre Zwecke umzudeuten wussten.

Ein von Bauzäunen abgegrenzter Würfel mit sechs Stockwerken steht an einer Ecke des Areals, 22,5 Meter lang und breit und hoch. Tausende Meter Kabel werden gerade verlegt, im Innern stößt man auf jeder Etage auf Bauarbeiter. Winfried Nerdinger, Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums und emeritierter TU-Professor für Architekturgeschichte, sowie Münchens Kulturreferent Hans-Georg Küppers laden ein, das entstehende Haus zu besichtigen.

Kein Museum, sondern ein Ort zum Lernen

„Das ist kein Museum“, sagt Nerdinger, „sondern ein Lern- und Erinnerungsort.“ Gezeigt werden soll auf Bildern, mit Filmen und Texten, welche Bedeutung München für die Nationalsozialisten hatte, warum dies so war und welche Folgen es für die Gegenwart hat. Zur Architektur des Würfels mit 950 Quadratmeter Ausstellungsfläche meint Nerdinger: „Das ist ein Zeichen der Gegenwart in diesem einstigen NS-Viertel. Ein Störfaktor im klassizistischen Ensemble.“

Am 30. April 1945, bei der Befreiung Münchens, montierten zwei amerikanische Soldaten das Stadtschild ab, auf dem stand: „München – Hauptstadt der Bewegung“. Genau 70 Jahre nach diesem historischen Datum soll nun das Museum seine Pforten öffnen. Doch der Entstehungsweg war mitunter steinig und von Pannen und Verzögerungen geprägt. Eigentlich sollte das Haus in diesem Frühjahr eröffnen. Nach zeitraubendem Hickhack jedoch kam es im Herbst 2011 zur „einvernehmlichen“ Trennung der Stadt und der Gremien von der vormaligen Gründungsdirektorin Irmtrud Wojak, einer Bochumer Historikerin.

Ihr war vorgeworfen worden, dass sie keinen konkreten Plan für die Umsetzung des Projekts vorlegen konnte und ihr Kommunikationsverhalten zu wünschen übrig lasse. In der vergangenen Woche nun hat das NS-Dokuzentrum den bisherigen Ausstellungsgestalter vor die Tür gesetzt, das Berliner Büro Carsten Gebhards. Warum?

„Manche Anforderungen wurden abgearbeitet, andere nicht“, heißt es aus dem Umkreis des wissenschaftlichen Beirats, der die Arbeit betreut. Vermutungen über Streitigkeiten weist Nerdinger zurück: „Es gab keine Auseinandersetzungen über die Konzeption und die Umsetzung.“ Schließlich liege genau fest, wie jeder einzelne Punkt umzusetzen sei. Man wolle aber nun andere Gestalter haben, weil man die „tagtägliche Begleitung braucht“. Das NS-Dokumentationszentrum steht – keine 100 Meter entfernt vom Ensemble aus Glyptothek, Antikensammlung und Propylon – auf einem Gelände, das seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr bebaut war. Zuvor war hier das „Braune Haus“, die Parteizentrale der NSDAP bis zum Ende 1945.

Die ganze Umgebung war tiefbraunes NSDAP-Viertel

„Das ist ein authentischer Ort“, erzählt Nerdinger. Wenn er über die Nachbarschaft, die Blickachsen und geschichtlichen Zusammenhänge redet, dann spürt man die Leidenschaft des 70-Jährigen – und dass ihm das alles sehr wichtig ist. Die ganze Umgebung war tiefbraunes NSDAP-Parteiviertel. Dutzende Ableger der Nazi-Organisation waren hier untergebracht. Direkt neben dem Dokuzentrum steht der einstige „Führerbau“, errichtet für repräsentative Anlässe. Dort wurde 1938 das verhängnisvolle „Münchner Abkommen“ zwischen Deutschland und Großbritannien, Frankreich sowie Italien unterzeichnet. Es war Ausdruck der Beschwichtigungspolitik gegenüber Hitler, der „Anschluss“ des Sudetenlandes an Deutschland wurde gebilligt.

Schon im Mai 1933 fand auf dem später monströs erweiterten Königsplatz die Bücherverbrennung von Werken statt, die der NS-Ideologie nicht genehm waren. Es gab dort martialische Nazi-Aufmärsche. An dem Platz standen die von den Alliierten gesprengten „Ehrentempel“ zum Andenken an die beim Hitler-Putschversuch 1923 getöteten Nazis. In unmittelbarer Umgebung waren Organisationen wie der NS-Studentenbund, NS-Frauenschaft, NS-Propagandazentrale oder die SA-Führung untergebracht. Insgesamt existierten in dem Viertel 5000 NSDAP-Arbeitsplätze.

München hat sich seiner tiefbraunen Geschichte noch immer nicht gestellt – dieser vor allem von außen erhobene Vorwurf ist richtig, auch wenn der Kulturreferent Küppers auf viele Stadtteilprojekte hinweist, in denen die NS-Zeit aufgearbeitet wurde und wird. Aber auch politisch interessierten Münchnern ist die Geschichte des ehedem braunen Viertels in der Maxvorstadt, südlich von Schwabing gelegen, nicht in ihrer ganzen Dimension bekannt. Dort sind die Pinakotheken, das Haus der Kunst, die Sammlung Brandhorst untergebracht.

München wurde, so die Lesart, durch den Neo-Klassizismus und seine sonnigen Prachtbauten geprägt, die Münchner nennen es gerne die nördlichste Stadt Italiens. Und durch das wilde Schwabing nach dem Krieg, durch die Olympischen Spiele 1972, die das demokratische, friedliche Deutschland repräsentierten.

Nationalsozialismus? Da wird auf das ehemalige KZ Dachau verwiesen. Die zivilisationsvernichtenden NS-Gräuel gingen von Berlin aus. Doch auch in Bayern ist München mindestens 20 Jahre zu spät dran mit dem Dokumentationszentrum. Längst gibt es in Nürnberg auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände einen großen Lern- und Informationsort, ebenso auf dem Obersalzberg, dem Feriendomizil Hitlers.

Michael Siegel übrigens, der durch die Straßen gehetzte jüdische Anwalt, konnte sein Leben retten. Er emigrierte mit seiner Familie nach Peru. Dort arbeitete er als Jurist und starb 1979 im Alter von 96 Jahren.